Die Zahlen sind gigantisch, der eigene Anspruch groß: 50 Professuren, mehr als 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und über 4000 Studierende, dazu Investitionen des Freistaats von rund 700 Millionen Euro sollen Bayern schon bald zum "Space-Valley" Europas machen.
Oder genauer gesagt: München und seinen wirtschaftlichen Speckgürtel. Denn dort, in den Vorort-Gemeinden Ottobrunn und Taufkirchen, soll Europas größte Fakultät für Luft- und Raumfahrt entstehen. "Hier bringen wir Wissenschaft, Start-ups und Industrie zusammen", sagt Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU): "Das bringt Wachstum und steigert die Wettbewerbschancen für ganz Bayern."
Viel prämierte Spitzenforschung in Würzburg, aber wenig Förderung
Was das mit Würzburg und Unterfranken zu tun hat? Bislang wenig. In Würzburg gibt es zwar mit dem "Zentrum für Telematik" (ZfT) und seinen technisch ausgereiften Mini-Satelliten ebenfalls viel prämierte Spitzenforschung in der Raumfahrttechnik, allerdings tut sich die Münchner Staatsregierung schon seit Jahren schwer, die Raumfahrt-Spitzenforschung auch im fernen Unterfranken ähnlich engagiert zu unterstützen wie das neue Münchner "Space Valley".

Aktuell kämpft das ZfT um staatliche Hilfen für den Aufbau einer auf rund 60 Millionen Euro geschätzten Forschungsfabrik am Standort Würzburg. Ziel ist eine industrielle Fertigung der weltweit technisch führenden Mini-Satelliten, die bislang in mühevoller Handarbeit montiert werden. Gelänge die automatisierte Produktion, könnten die wirtschaftlichen Chancen gewaltig sein: Denn die Zahl satellitenbasierter Anwendungen wird in den kommenden Jahren "dramatisch steigen", glaubt etwa die Boston Consulting Group. Klein-Satelliten, die vom autonomen Fahren im Pkw bis zur Klimabeobachtung viele Funktionen übernehmen können, könnten ein echter Milliarden-Markt werden.
Im Münchner Wirtschaftsministerium sieht man mehr Probleme als Chancen
Im Münchner Wirtschaftsministerium scheint man dennoch deutlich mehr Probleme als Chancen zu sehen: Man habe zusammen mit dem ZfT-Vorstand Prof. Klaus Schilling "eine Reihe von konzeptionellen und rechtlichen Themen identifiziert, die noch geklärt werden müssen", teilt das Ministerium von Hubert Aiwanger auf Nachfrage mit. Und: "Selbstverständlich sind wir bereit, Herrn Prof. Schilling dabei zu unterstützen."

Offenbar hätte man in München vor einer Finanzierungszusage unter anderem gerne einen detaillierten Business-Plan mit konkreten Zahlen für künftige Umsatz- und Gewinnziele sowie eine direkte finanzielle Beteiligung von großen Industriepartnern wie etwa Airbus gehabt.
Genau hier allerdings beißt sich die Katze in den Schwanz: Denn mit der Forschungsfabrik sollen ja gerade erst die technischen Voraussetzungen für eine industrielle Fertigung erprobt werden, die Industriepartner vor einer direkten finanziellen Beteiligung fordern. Auch konkrete finanzielle Ziele scheinen erst möglich, wenn klar ist, ob eine automatisierte Produktion denn am Ende überhaupt kostengünstig auf die Beine gestellt werden kann.
Satelitten-Experte Schilling: Andere Länder sind deutlich schneller als Bayern
Fragt man bei Prof. Schilling nach dem Stand der Verhandlungen, spricht er von "zuletzt kooperativeren Gesprächen" mit dem Ministerium, kann aber seine Frustration nicht verbergen: Die Rückfragen, die das Ministerium stelle, "sind alle gut beantwortbar, aber leider kosten unsere Förderprozesse extrem viel Zeit", sagt er: "Andere Länder sind hier deutlich schneller."

Verpasst man in Bayern also wieder einmal eine wirtschaftliche Chance wie einst beim MP3-Musikplayer - in Bayern erfunden und dann damit in den USA und Asien Milliarden Dollar verdient? Ein solches wirtschaftliches Desaster werde es in Bayern nie wieder geben, beteuerte Ministerpräsident Markus Söder erst kürzlich wieder vor den versammelten bayerischen Uni-Präsidenten.
Weltweit gebe es einen "brutalen Wettbewerb" um wissenschaftliche Erkenntnisse und damit verbundene wirtschaftliche Chancen, warnte er. Deshalb hat Söders Regierung nun Bayerns Universitäten in einer schriftlichen "Rahmenvereinbarung" auch zur "Transformation", also zur Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in marktfähige Produkte, verpflichtet.
Gehen Söders High-Tech-Milliarden nur dahin, wo schon viel ist?
Doch wird Söders Regierung im Fall der Mini-Satelliten diesem Anspruch selbst gerecht? "Das Potenzial im ZfT wird bereits seit Jahren von der Staatsregierung nicht genutzt und das schmerzt", kritisiert der Würzburger SPD-Landtagsabgeordnete Volkmar Halbleib. Dabei stehe die gesamte Region - vom Regierungspräsidenten über die Hochschulen bis hin zu einer überparteilichen Koalition regionaler Politiker - hinter dem Projekt mit den Mini-Satelliten.
Söders milliardenschwere High-Tech-Agenda dürfe sich auch nicht nur im Großraum München abspielen, sondern müsse ganz Bayern nutzen, verlangt Halbleib: "Es drängt sich aber der Eindruck auf, dass man nur dahin gibt, wo schon viel ist."

Der Eindruck liege nahe, dass die Forschungsfabrik "längst gebaut wäre, wäre sie für den Großraum München geplant", sagt der unterfränkische FDP-Abgeordnete Helmut Kaltenhauser. Das Aiwanger-Ministerium müsse endlich "Mittel und Wege finden, die Forschungsfabrik tatkräftig zu unterstützen", fordert Grünen-Abgeordneter Patrick Friedl.
Unterfränkische CSU-Politikerinnen und -Politiker machen Druck auf das Aiwanger-Ministerium
Söders unterfränkische Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) bittet Aiwanger sogar schriftlich "um zeitnahe Prüfung" notwendiger Fördermittel für die Forschungsfabrik. Und der unterfränkische CSU-Landtagsabgeordnete Winfried Bausback erwartet von Aiwanger, dass er "die Möglichkeiten in diesem Bereich ohne Scheuklappen prüft", um endlich auch das Würzburger Know-How "im Rahmen einer klug verfolgten Raumfahrt-Strategie" zu nutzen.
Doch ob solche Appelle einen Effekt in München haben? Derweil bleibt die weltweite Entwicklung auch bei den Mini-Satelliten nicht stehen: Allein das dem Tesla-Gründer Elon Musk gehörende Raumfahrtunternehmen SpaceX hat seine "Starlink" genannte Mini-Satellitenflotte bereits massiv ausgebaut: Schon jetzt auf mehr als 3000 Stück.