Der amerikanische Kunstschutz-Offizier John D. Skilton organisierte im Sommer 1945 Material für ein Notdach, das die Tiepolo-Fresken der Residenz vor Feuchtigkeit schützen sollte. Manche seiner Kollegen von der US-Army hatten dafür kein Verständnis.
Er war nicht so attraktiv wie George Clooney und es wurde auch kein Film über seine Taten gedreht. Und doch hat der 36-jährige John D. Skilton im Sommer 1945 in Würzburg und Unterfranken filmreife Abenteuer erlebt. Skilton war einer jener „Monuments Men“, die im befreiten Europa seit der Invasion in der Normandie Kunstschätze und wichtige architektonische Monumente aufspürten oder vor weiterer Zerstörung schützten. Der Film über die „Denkmal-Männer“ mit George Clooney und Matt Damon, der auf der Berlinale Premiere feierte, läuft am Donnerstag in den deutschen Kinos an.
Skilton begleitete nach dem D-Day (6. Juni 1944) die Truppen der Alliierten durch Nordfrankreich, war bei der Entdeckung von in Schloss Neuschwanstein eingelagerten Kunstwerken dabei und rettete in Unterfranken unter anderem die wertvolle Bibliothek von Schloss Aschaffenburg, die auf einem Lastschiff notdürftig untergebracht war.
Am bekanntesten und bis heute in Würzburg unvergessen ist freilich die Rettung der unersetzlichen Fresken von Giovanni Battista Tiepolo in der Residenz.
Am 18. Juni 1945 kam Skilton in Würzburg an. Was er sah, erschreckte ihn zutiefst. Das Dach über der Residenz war ein ausgebranntes Gerippe, die weltberühmten Tiepolo-Fresken auf dem erhalten gebliebenen Gewölbe über dem Treppenhaus schwebten in größter Gefahr. Falls es länger regnen würde, musste Feuchtigkeit das Mauerwerk sprengen, von winterlichem Frost ganz zu schweigen.
Eine Gruppe von Würzburgern um den 25-jährigen Kunsthistoriker Rudolf Edwin Kuhn hatte im April und Mai bereits wertvolle Vorarbeiten geleistet. Kuhn, der zweimal abstürzte und sich dabei schwer verletzte, und seine Helfer entliehen von Brauereien große Planen für Bierzelte und spannten sie in mühsamer Arbeit über die Gewölbe. Ohne ihre Anstrengungen wäre Skilton womöglich zu spät eingetroffen.
Das Glück kam dem 36-jährigen Leutnant zu Hilfe. Juni und Juli waren warm und sonnig, es regnete kaum. Sein drängendstes Problem war die Beschaffung der ungeheuren Holzmengen, die er benötigte, um Notdächer über der Residenz und anderen Architektur-Denkmälern zu errichten.
Skiltons erstes Ziel war es, die Tiepolo-Fresken im Treppenhaus, den Kaisersaal, den Weißen Saal und die Hofkirche der Residenz zu retten. „In normalen Zeiten wäre es schon keine leichte Sache gewesen, aber unter den jetzigen Verhältnissen – ohne Transportmöglichkeiten, alle Brücken gesprengt, die öffentlichen Versorgungsbetriebe außer Betrieb – schien es beinahe töricht, sich an eine solche Aufgabe heranzuwagen", schrieb er später in seinen Erinnerungen. Alle Sägewerke sowie sämtliche in der amerikanischen Besatzungszone vorhandenen Holzvorräte standen unter Kontrolle der US-Pioniertruppe. Die Pioniere hatten den Auftrag, 60 000 Quadratmeter Bretter für den ausschließlichen Bedarf des Heeres zu liefern und lehnten jede Bitte um Holz ab, das nicht für einen militärischen Zweck Verwendung finden sollte.
Nicht nur Skiltons Kollegen von der US-Army machten Probleme, auch das Wetter spielte nach einiger Zeit nicht mehr mit. „Gerade zu der Zeit setzten schwere Regenfälle ein und ich musste die ganze Umgegend nach Dachpappe absuchen, um wenigstens das Äußere des offenen Gewölbes der Residenz vorübergehend vor der Witterung zu schützen", berichtete Skilton später. „Als das Unwetter seinen Höhepunkt erreichte, musste ich sogar einmal junge Deutsche anstellen, die das Wasser eimerweise herausholen."
Verzweifelt setzte sich Skilton mit einigen Kompanien der Pioniertruppe in Verbindung: „Leider interessierte sie sich absolut nicht für mein Problem: Wozu sollten sie diesen Deutschen ihre Kunstwerke erhalten?"
Zufällig erfuhr der Offizier, dass sich in einer kleinen Mainbucht bei Ochsenfurt eine große Menge Baumstämme angestaut hatte. Das Holz gehörte jemandem, der es nicht loswerden konnte, weil die gesprengten Brücken den Flussverkehr blockierten. Skilton besuchte den Eigentümer, der sich bereit erklärte, ihm das Holz zu überlassen gegen die Versicherung, dass der bayerische Staat ihm den Wert zurückerstatten würde.
Der Kunstschützer entdeckte einen Schleppkahn, beschaffte den nötigen Treibstoff und wollte das Holz so weit wie möglich auf dem Main in Richtung Heidingsfeld treiben lassen. In Ochsenfurt weigerten sich jedoch die Wachtposten einer amerikanischen Pioniereinheit, das Holz passieren zu lassen. Inzwischen holten andere Soldaten derselben Einheit die Stämme vom Fluss herunter und begannen, sie auf ihre Lastwagen aufzuladen. Als Skilton dies mitbekam, eilte er zurück, wies sich als rechtmäßiger Besitzer des wertvollen Holzes aus und überwachte persönlich vom Ufer aus, wie die Stämme den Fluss hinunter nach Heidingsfeld geschleppt wurden. Skilton: „In diesem Städtchen arbeitete noch ein kleines Sägewerk, dessen Leistung aber viel zu unbedeutend für die Zwecke der US-Armee war, so dass ich es für meine Abteilung der Schönen Künste in Anspruch nehmen konnte. Nun schien alles soweit in Ordnung zu sein."
Kaum war Skilton in Würzburg, als er erfuhr, dass Oberbürgermeister Gustav Pinkenburg sein ganzes Holz sowie das kleine Sägewerk zum Wiederaufbau seiner Verwaltungsgebäude beschlagnahmt hatte. Diese Angelegenheit wurde ebenfalls bereinigt, doch war das Drama damit noch nicht zu Ende. Eine andere Pioniereinheit requirierte Skiltons Baumstämme, um schnell eine Brücke zu reparieren. Es gelang dem Offizier schließlich, die Stämme gegen die entsprechende Menge an schon geschnittenen Brettern zu tauschen.
Aus einer Fabrik in Bamberg ließ er unter größten Schwierigkeiten 2000 Quadratmeter Dachpappe holen, aus Karlstadt 50 Tonnen Zement. „Lediglich auf Grund dieser schwierigen Transaktionen war es uns möglich, die Schutzdächer über den Gewölben der Residenz fertigzustellen", heißt es in Skiltons Memoiren.
Am 6. September 1945 fand ein kleines Richtfest im unbeschädigten Gartensaal statt. Brot und Leberwurst (Skilton: „damals eine köstliche Rarität") hatte der im Beschaffen begehrter Waren erfahrene Amerikaner bei deutschen Freunden besorgt. Später kümmerte sich der Offizier, der zahlreiche deutsche Helfer hatte, auch um die Festung, das Neumünster, die Marienkapelle und den Dom. Dessen wiederhergestelltes Dach stürzte dann aber im Februar 1946 doch noch ein, weil die morschen Mauern und Pfeiler es nicht tragen konnten.