Die meisten Würzburger Buchhandlungen haben "schuld bewusstsein". Gleich das Cover des Buchs von Sonja Weichand fällt auf. Der Inhalt auch: Journalistin Anna recherchiert die Geschichte ihrer geliebten Oma Rose-Marie und besonders die des toten - und von Rose-Marie totgeschwiegenen - Opas. Bald wird klar, dass Anna unter psychischen Problemen leidet. Und sehr rasch wird spannend, wie Anna ihrer Oma mit dem geplanten Buch eine Freude machen will, wo doch Rückblenden auf Rose-Maries Leben die Gute als überzeugte Nationalsozialistin darstellen. Da stellt man sich die Übergabe des Skripts an die Großmutter nicht so lustig vor.
Einige Antworten deuten sich im Laufe des Buches an, dafür kommen andere Rätsel auf. Schauplatz des spannenden Doppelgeschehens ist im Wesentlichen Würzburg. Hier ist die Autorin Weichand aufgewachsen. Die Frage nach dem autobiografischen Anteil ihrer Familie am Roman stellt sich allerdings nicht. Denn schon früh fällt bei der Lektüre des 300-seitigen Buches auf, wie solide die künstlerische Architektur gelungen ist. Mit Material aus ihrem eigenen Leben gelingt Schriftstellern so ein guter Aufbau oft nur schwer. Tatsächlich, so berichtet Weichand, war die erste Idee zu ihrem Roman der dramatische Bogen in der Erzählzeit, in der Gegenwart; genauere Angaben würden hier Spoiler-Alarm auslösen.
Emotionale Herangehensweise
Zudem interessiert Sonja Weichand das Thema Frauen im Nationalsozialismus, auch wenn das "in meiner Familie kaum eine Rolle gespielt hat". Und hieran knüpft sich eine weitere Motivation für die Arbeit: Ihr lag daran, das Ganze stark emotional zu behandeln, damit sich "zukünftige Generationen auch damit beschäftigen können, wenn die Zeitzeugen gestorben sind". Damit die Geschichte nicht vergessen wird und sich möglicherweise deshalb wiederholt – dagegen lässt Sonja Weichand sich gern zu Lesungen in Schulen einladen. Einige Termine sind bereits geplant.

Sie selbst las früh und viel über die Zeit, angefangen mit dem "Tagebuch der Anne Frank", später stark beeindruckt von Heinrich Bölls "Billard um halb zehn", George Orwells "Farm der Tiere" und Bert Brechts "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui"; über dieses Drama und den historischen Stoff darin schrieb sie später ihre Examensarbeit. Inzwischen lehrt sie literarisches Schreiben an der Uni Würzburg. Dabei ist das Wahrnehmen, das Konkret-Sein, für sie eine der wichtigsten Lektionen. Die hat sie in "schuld bewusstsein" beherzigt. Trotzdem wirkt das Ergebnis nicht wie nach Lehrbuch konstruiert. So erzeugen Schreiber ja gern Spannung, indem sie Informationen weglassen. Hier jedoch ist die – nicht immer gradlinige – Abfolge des Erzählens ein Teil der Handlung selbst.
Das hat die Autorin wohl vom Theater. Denn Sonja Weichands Roman ist zwar ihr Debüt in längerer Prosa. Als Bühnenautorin hat sie jedoch schon Meriten. Vier Theaterstücke erschienen bei renommierten Verlagen, sechs Jahre lang arbeitete sie als Regieassistentin und Regisseurin in Augsburg, Vorpommern und in freien Produktionen.
Recherche der Historie war eine Herausforderung
Die größte Herausforderung beim Erarbeiten von "schuld bewusstsein" lag im Detail, in der "historischen Recherche, wenn es nicht um große Fakten ging", erzählt die Autorin, die – neben Germanistik – auch Geschichte studiert hat. Alltagsgeschichte kommt dort freilich kaum vor: Wie verbreitet waren vor 75 Jahren welche elektrischen Geräte? Wurden in Eisenbahnzügen damals schon Durchsagen gemacht oder nur auf dem Bahnsteig? – Viel besser dokumentiert sind dagegen die Bombenangriffe auf Würzburg im Zweiten Weltkrieg. Weichands literarischen Umgang damit sollte man miterlebt haben.
Fazit: "schuld bewusstsein" ist keineswegs ein Beleg dafür, dass Bücher von "Books on Demand" zweitklassig sind. Natürlich sähe die Autorin ihr Werk gern in einem "richtigen" Verlag. Doch beschränken sich ihre bisherigen Branchenbeziehungen auf Theaterverlage. Doch vor allem: Gerade als Sonja Weichand ihren Roman möglichen Verlagen vorstellen wollte, brach Corona aus. Eine Auswirkung zeigte sich im Frühjahr schon sehr bald: Verlage stellten Neuerscheinungen zurück. Weichand sagt dazu: "Bei einem solchen Stau ist es dann noch viel schwieriger für eine Debütantin." So entschied sie sich für das Print-on-Demand-Verfahren, "auch wenn man dann mit Vorurteilen rechnen muss". Aber sie sagt auch: "Ich wollte nicht länger warten."