Minutenlanger Applaus, zahlreiche Jubel-Plakate („Martin, ich will eine Regierung von Dir“) und lautstarke „Martin, Martin“-Rufe: Auch in Würzburg feiern 1000 Zuhörer im Vogel Convention Center Martin Schulz, den designierten Kanzlerkandidaten der SPD. Die Aufbruchstimmung unter den Genossen ist auch bei der dritten von deutschlandweit fünf Regionalkonferenzen spürbar.
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Walter Kolbow, Ehrenvorsitzender der SPD in Unterfranken, hat dieser Tage bei Facebook sein rotes Mitgliedsbuch mit dem Eintrittsdatum gepostet: 1. März 1967. Fragt man den 72-Jährigen, wann er seine Partei zuletzt so euphorisch, so optimistisch erlebt habe, antwortet dieser: „Beim Eintritt vor 50 Jahren.“ Willy Brandt, damals Außenminister einer Großen Koalition unter CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger, sei seinerzeit die Lichtgestalt der Genossen gewesen. Zwei Jahre später stellte die SPD erstmals den Bundeskanzler. So soll es jetzt mit Schulz wieder gelingen.
Klage über Gerechtigkeitslücken
„Dass der 61-jährige ehemalige Fußballer („bin FC-Köln-Fan“) auf Sieg spielt, daran lässt er in seiner 50-minütigen Rede keinen Zweifel. Die SPD trete unter seiner Führung mit dem Anspruch an, die stärkste politische Kraft in Deutschland zu werden. Wer dann ein Koalitionspartner sein könnte, darüber spricht Schulz erwartungsgemäß nicht.
Ihm gehe nicht darum, ein blühendes Land schlecht zureden, sagt er. Doch es gebe Gerechtigkeitslücken, wenn Studenten, Alleinerziehende und viele Familien in Ballungsräumen keinen bezahlbaren Wohnraum finden, wenn zwar der Bäckermeister um die Ecke seine Steuern bezahle, nicht aber der amerikanische Kaffee-Konzern.
Konkret fordert er unter anderem „Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Universität“, mehr Unterstützung und eine bessere Bezahlung für Pflegekräfte sowie Investitionen in Qualifizierung und Weiterbildung auch von älteren Arbeitnehmern. Dafür solle man die derzeitigen Milliardenüberschüsse der öffentlichen Haushalte verwenden statt Steuergeschenke zu verteilen, von denen vor allem Besserverdienende profitierten. Schulz mahnt mehr Chancengleichheit an. Dazu gehöre, dass Frauen und Männer – „im Osten und im Westen“ – den gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten und dass Infrastruktur überall ausgebaut wird.
„Menschen im ländlichen Raum sind genauso viel wert wie Menschen, die in der Großstadt leben.“
Bei den Genossen punktet der Kandidat bei den Genossen auch mit seiner Herkunft. Elf Jahre war er „Dorf-Bürgermeister“ der 40 000- Einwohner-Stadt Würselen bei Aachen. Kommunalpolitiker erführen „unmittelbar“ von den Sorgen der Menschen, sagt Schulz unter großem Applaus. Diese Erfahrung sei ihm ebenso wichtig wie die als Europa-Politiker. Der langjährige EU-Parlamentspräsident hält ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa. Nationalismus helfe nicht, um die Demokratie vor Anfeindungen wie dem islamistischen Terrorismus, aber auch vor Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu schützen. Insofern sei die AfD keine Alternative für Deutschland, sondern eine „Schande für Deutschland“. „Für alles haben sie Sündenböcke. Für nichts haben sie eine Lösung.“
„AfD gefährdet Demokratie“
Schulz kritisiert AfD-Vize Alexander Gauland, der analog zu US-Präsident Trump aktuell einen Einreisestopp für Muslime forderte. Im Grundgesetz stehe nicht, die Würde der Deutschen sei unantastbar, so Schulz. „Da steht, die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der Kandidat stellt sich auch hinter die Pressefreiheit. Wer andere Meinungen als „Lügenpresse“ diffamiere, lege „Axt an die Wurzeln der Demokratie“ – egal, „ob er Präsident der Vereinigten Staaten ist oder in einer Pegida-Demonstration mitläuft“.
Persönlich wird Schulz auch, wenn er in Anspielung auf Schulabbruch und Alkohol-Absturz gesteht, er habe in jungen Jahren die „Orientierung verloren“. Doch Familie und Freunde hätten ihm eine „zweite Chance“ gegeben, die er als Buchhändler genutzt habe. Solche Erfahrungen wünsche er sich auch für andere Menschen. „Es geht um den gegenseitigen Respekt vor der individuellen Lebensleistung.“

Mit Vorwürfen gegen CDU und CSU oder gar die Bundeskanzlerin hält sich Schulz zurück. Die anderen Parteien seien Mitbewerber, „keine Feinde“. Nur eine Spitze will er sich nicht verkneifen: Der CSU-Generalsekretär habe am Aschermittwoch von der „gefühlten Mehrheit“ gesprochen, die zur CSU-Veranstaltung gekommen sei. Er aber sei froh, so Schulz, „dass in der Demokratie noch immer die reale Mehrheit entscheidet“. Da jubelt der Saal.
Verspätung wegen Stau
Nach knapp einer Stunde ist der Hoffnungsträger dann auch wieder weg. Viel Zeit für Selfies und Autogramme hat Schulz nicht. Schließlich ist er mit Verspätung in Würzburg angekommen. Er saß fest im Stau auf der A 3. „Wahrscheinlich ist der Dobrindt schuld“, spotteten da die Genossen in Anspielung auf den CSU-Verkehrsminister.
Derweil präsentieren sich im VCC die unterfränkischen Bundestagskandidaten Bernd Rützel (Main-Spessart), Sabine Dittmar (Bad Kissingen), Eva Maria Linsenbreder (Würzburg) und Markus Hümpfer (Schweinfurt/Kitzingen). Ulrich Maly, der Oberbürgermeister von Nürnberg, sprach angesichts des Aufwinds für die SPD von „Martin-Schulz-Festspielen“.