Natascha Kohnen sitzt seit Oktober 2008 für die SPD im Landtag, kaum ein Jahr später wurde sie schon zur Generalsekretärin gewählt. Von ihrer Partei wird sie bereits als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2018 gehandelt.
Frage: Ihre Wut-Rede aus einer Plenarsitzung im Februar wurde im Internet rund 820 000 Mal angesehen und 8000 Mal bei Facebook geteilt. Haben Sie mit diesem Video Karriere gemacht?
Natascha Kohnen: Es lief gerade eine extrem unschöne Flüchtlingsdebatte im Landtag. Ich habe einfach gesagt, dass die CSU dem ganzen Land auf die Nerven geht mit ihrem populistischen Rumgeplärre. Es war eine kurze, aber ehrliche Rede. Ich war sehr überrascht, wie das Video bei Facebook durch die Decke ging.
Was hat das Ihnen gezeigt?
Kohnen: Soziale Medien werden in der Politik eine sehr große Rolle spielen. Es gab über 1000 Kommentare zu diesem Video. Diese haben mir gezeigt, dass wir unseren Politikstil ändern müssen. Wir müssen authentischer sprechen. Ein Medientrainer sagte einmal zu mir: Rede einfach wie am Küchentisch, wie du mit deinen Kindern redest. Die Wirkung des Videos hat uns alle ganz schön überfahren. Ich wurde daraufhin sogar zu „Menschen bei Maischberger“ eingeladen.
Wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre, würde die SPD nur 16 Prozent der Stimmen bekommen. Wie führen Sie Ihre Partei aus dem Tief?
Kohnen: Es gibt eine große Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Solidarität. Da werden wir ansetzen und uns auf vier große politische Bereiche konzentrieren: auf den Wohnungsbau, die Familien-, die Arbeitsmarkt- sowie die Integrationspolitik. Wir wollen klar zeigen, wie wir sozialen Zusammenhalt besser organisieren können.
Im Februar haben Sie gesagt: „Wir haben Zulauf bei der SPD, es geht voran.“ Stimmt das?
Kohnen: Wir haben Zulauf bei der SPD, das stimmt. Vor allem was jüngere Menschen angeht. Doch in den letzten Jahren konnte man nicht mehr fühlen, wo die SPD hingeht. Der Wähler wählt kein Wahlprogramm, sondern es entscheidet ein Gefühl. Dieses Gefühl müssen wir wieder hinbekommen.
Horst Seehofer distanzierte sich von Merkels „Wir schaffen das“. Wo steht die Bayern-SPD in der Flüchtlingsdebatte?
Kohnen: Sollen wir etwa antworten: „Wir schaffen das nicht?“ Ich hänge mich doch nicht an einem Satz auf. Jeder Kommunalpolitiker macht Integration, tagtäglich – und die reden gar nicht groß darüber. Wir müssen uns darüber unterhalten, warum die Menschen aus ihren Heimatländern weggehen. Wir müssen es schaffen, dass die Menschen dort leben können, wo sie wollen, nämlich zu Hause.
Welche Konsequenzen zieht die Bayern-SPD nach den Attentaten in Würzburg und Ansbach?
Kohnen: Wir fordern mehr Unterstützung der Polizeiarbeit. Der Freistaat muss mindestens 2000 Polizisten mehr einstellen. Bereits im Februar hatten die bayerischen Polizistinnen und Polizisten 1,6 Millionen Überstunden angehäuft. Die Schmerzgrenze ist mehr als erreicht. Nach Ansbach und München ist auch klar: Wir brauchen mehr Schulpsychologen, wenn wir Radikalisierungstendenzen früh erkennen und bekämpfen wollen.
Wie kann man große Veranstaltungen wie das Oktoberfest, aber auch Weinfeste oder Festivals besser vor Anschlägen schützen?
Kohnen: Der SPD-Bürgermeister von Zeil am Main, Thomas Stadelmann, hat das bei der Eröffnung des Weinfestes sinngemäß sehr schön gesagt: „Wir sind offen, wir feiern und wir zeigen euch die Stirn.“ Wir müssen es schaffen, dass wir offen bleiben. Dennoch müssen wir bei jedem Fest vor Ort genau hinsehen, welche Maßnahmen in Zukunft zusätzlich ergriffen werden können – wie in München, wo der Oberbürgermeister Dieter Reiter ein Rucksackverbot für das Oktoberfest erwägt.
Der bayerische Städtetagspräsident Ulrich Maly hat die Staatsregierung für ihre unentschlossene Haltung zum G 9 kritisiert. Sehen Sie das auch so?
Kohnen: Die klare Mehrheit der Eltern und Schüler ist für das G 9, das zeigen alle Umfragen. Wir brauchen ein gutes, zukunftsfähiges G 9. Das angestrebte Systemdurcheinander am Gymnasium, wie Ludwig Spaenle es in einer Pressekonferenz vorgestellt hat, schafft viele Probleme. Der Parallelbetrieb von G 8, G 9 und Mischvariante stellt Schulen und Kommunen vor viele ungelöste Fragen.
Welche Antworten hat die Bayern-SPD darauf?
Kohnen: Wir wollen ein zukunftsfähiges G 9, in dem Schüler nicht in maximalem Tempo durchgeschleust werden, sondern in dem sie Zeit finden, sich zu entwickeln und zu entfalten.
Spessart oder Rhön? Was hat Bayern von einem dritten Nationalpark?
Kohnen: Ein Nationalpark bringt unheimlich viel, das sage ich Ihnen vor allem als Biologin. Die Artenvielfalt nimmt immer mehr ab und wir sind gut beraten, Schutzzonen zu vermehren. Denn wir haben nur die eine Natur. Der Nutzen ist extrem hoch.
Warum schließt die Staatsregierung den Steigerwald, der zuerst im Gespräch war, nun komplett aus?
Kohnen: Die Schutzwürdigkeit des Gebietes „Der Hohe Buchener Wald“ ist auch im Umweltschutzministerium anerkannt. Vielleicht kommt der Steigerwald als Weltnaturerbe oder Weltkulturerbe infrage. Ich würde mich freuen, wenn Franken durch einen Nationalpark oder ein Weltnaturerbe touristisch attraktiver werden würde.
Franken wird von der Staatsregierung oft etwas stiefmütterlich behandelt. Welche Projekte würden Sie in Franken auf den Weg bringen?
Kohnen: Wir brauchen die digitale Versorgung, vor allem in den ländlichen Regionen. Das Ziel ist klar: Bis 2018 soll Bayern in allen Lebensbereichen das Land für digitale Anwendungen werden. Das wollen wir als Bayern SPD voranbringen, in Franken, aber auch in ganz Bayern.
In Ihrer Partei werden Sie bereits als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl gehandelt. Treten Sie an?
Kohnen (lacht): 2016 ist das für mich überhaupt keine Frage. Wir warten jetzt erst mal die Bundestagswahl ab – und dann können Sie ja 2017 noch mal nachfragen.
Natascha Kohnen Die Biologin, Jahrgang 1967, ist in München aufgewachsen. Von 1997 bis 1999 hat sie in Paris gelebt. Seit November 1999 wohnt sie mit ihrer Familie in Neubiberg (Lkr. München). Kohnen ist erst seit 2001 in der Politik, hat es aber schnell in die Führungsriege der Bayern-SPD geschafft. Seit 2008 ist sie Landtagsabgeordnete für München-Land Süd, 2009 wurde sie Generalsekretärin der Bayern-SPD. Im Dezember 2015 schaffte sie den Sprung nach Berlin und wurde Mitglied im Bundesvorstand der SPD. Lange galt sie als etwas farblos, doch mit ihrem Auftritt im bayerischen Landtag zum Thema Flüchtlingspolitik schaffte sie es auch in die TV-Talkshows. Ihr Auftritt bei Sandra Maischberger etwa bescherte ihr bundesweit Aufmerksamkeit. clk/Foto: Obermeier