Sie seien keine Ratgeber, sondern vielmehr dazu gedacht, dass sich der Lesende Fragen stellt. So auch bei "Allein", seinem jüngsten Essay, erklärt Autor Daniel Schreiber. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, wie Modelle von Beziehungen einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung unterliegen.
Frage: Was ist die Intention Ihres Essays "Allein", erschienen 2021 - das sich, wie Ihre früheren Bücher, mit einem persönlichen, aber gesellschaftsrelevanten Thema auseinandersetzt?
Daniel Schreiber: "Allein" ist ein Buch über das Alleinleben, über Freundschaft und Einsamkeit und über die unsicheren Umbruchzeiten, in denen wir leben. Ich habe den Eindruck, dass wir aufhören sollten, in Hierarchien zu denken, wenn es um Beziehungsmodelle geht. Das Leben allein ist so ambivalent wie das Leben in einer Partnerschaft. Beide Beziehungsmodelle sind von Zweifeln geprägt, haben ihre guten und schlechten Seiten.
Sie schreiben in Ihrem Buch von einer Sehnsucht nach einer erfüllten Paarbeziehung, die in der Gesellschaft verankert ist und es dahingehend eine Erwartungshaltung gibt. Man gehe davon aus, dass jeder in einer Paarbeziehung leben möchte…
Schreiber: Die bürgerliche Vorstellung der romantischen Liebe ist seit über 250 Jahren tief in unserer Gesellschaft verankert. Viele Generationen vor uns haben selbstverständlich Paarbeziehungen geführt, die von diesem Ideal beeinflusst waren. Und es ist ein schönes Ideal. Aber derzeit erleben wir einen sozialen Wandel, der so schneller vonstatten geht als dass sich unsere Vorstellungen vom Zusammenleben ändern können. Allein in Deutschland leben knapp 18 Millionen Menschen allein, 40 Prozent mehr als vor 30 Jahren. Es ist komplett absurd, diesen Menschen zu sagen, euer Lebensmodell ist defizitär, das einzig richtige Leben ist das in einer Paarbeziehung.
Sind Nähe und soziale Beziehungen nicht ein Grundbedürfnis?
Schreiber: Nähe ist ein universales Grundbedürfnis. Doch die Vorstellung, dass sie nur in einer romantischen Beziehung entstehen kann, ist falsch. Wir erleben Nähe auch in vielen anderen Beziehungen, Freundschaften etwa, und manchmal ist sie dort sogar größer als in einer Paarbeziehung.
Aber ist Freundschaft nicht auch ein Beziehungsmodell, das von der Gesellschaft zumindest teilweise "verklärt" wird?
Schreiber: In unseren Leben wiederholen wir, was wir in familiären, sozialen, medialen Umkreisen vorgelebt bekommen. Alle unsere Beziehungsformen sind deshalb kulturell geprägt. Freundschaften und ihre Ideale sind da nicht ausgenommen. Interessanterweise glauben die meisten von uns zu wissen, was Freundschaft ist. Aber Soziologinnen und Soziologen haben festgestellt, dass wir alle unterschiedliche Freundschaften führen und auch jeweils andere Vorstellungen davon haben. Das ist eigentlich ziemlich lustig, wenn man es sich durch den Kopf gehen lässt. Einige Menschen haben viele Bekanntschaften und nur wenige sehr innige Freundschaftsbeziehungen, bei anderen ist es andersherum. Einige Leute behalten ihre Freundinnen und Freunde ihr Leben lang, andere tauschen sie in jeder neuen Lebensphase aus. Wir halten an den Idealen fest, aber meistens haben sie wenig Bezug zu unseren wirklichen Freundschaftsbeziehungen. Häufig hindern sie uns sogar daran, sie zu leben.
Wie verstehen Sie "Alleinsein" und wie "Einsamkeit"? Ist das eine ein Zustand, das andere ein Gefühl?
Schreiber: Alleinsein ist immer etwas, das man gestalten kann. Einsamkeit kann man nicht gestalten. Sie ist ein psychologischer Ausnahmezustand, den wir alle erfahren, wenn Beziehungen enden, wenn wir trauern, in gesellschaftlichen Umbruchsituationen wie einer Pandemie. Wir alle fühlen uns einsam, wenn wir längere Zeit keine bedeutenden sozialen Beziehungen führen. Dieser Ausnahmezustand ist damit verbunden, dass wir Gefahren sehen, wo es keine gibt und wir hypersensibel für die Ablehnung und Zuneigung anderer Menschen werden. Wir sind nicht mehr wir selbst. Uns fehlen jene Seiten an uns selbst, die nur in Verbindung mit anderen Menschen existieren. Wir wollen all das nur nicht wahrhaben, verdrängen unsere Einsamkeitsgefühle, spalten sie ab und reden nicht darüber – doch genau das müssen wir, genau das ist es, was hilft.
Sie berichten in Ihren Essays viel Persönliches - haben Sie das schon einmal bereut?
Schreiber: Meine Bücher drehen sich um Fragen, die ich mir nicht zu stellen traue und die wir uns auch als Gesellschaft nicht wirklich stellen. Der Punkt ist der, dass sich auch die Lesenden beim Lesen diese Fragen stellen sollen: Ist mein Leben gut genug? Habe ich Angst vor dem Alleinleben? Bin ich in meiner Beziehung glücklich? Um das zu erreichen, muss ich zeigen, wie ich das tue, muss mich verletzlich zeigen. Es ist so wichtig, dass wir über solche Fragen reden, und wir tun es viel zu wenig. Deswegen: Nein, ich habe es noch nie bereut.
Machen Sie sich dadurch verletzlich?
Schreiber: Wir alle sind verletzlich und wollen es uns oft nicht eingestehen. Dennoch wird Verletzlichkeit in unserer Gesellschaft häufig tabuisiert und als Schwäche missdeutet: Zeig mir bitte nicht, dass du verletzlich bist, damit ich meine eigene Verletzlichkeit nicht spüren muss. Was so schade ist, denn sie verbindet uns und ist Teil unseres Menschseins. Sie ermöglicht, dass wir auf ehrliche Weise miteinander reden. Es liegt eine große Stärke darin, sich verletzlich zeigen zu können. Es öffnet Türen zu echten Gesprächen. Es kann uns nur helfen, sich unsere Verletzlichkeit einzugestehen.
Daniel Schreiber liest am Donnerstag, 23. Juni, in der Würzburger Stadtbücherei aus seinem Buch "Allein" und am 21. Juli im Bad Mergentheimer Klanggarten beim Sommerfestival von "Literatur im Schloss".