Anfang April 1945 rückten die Amerikaner auf der linken Mainseite in Richtung Würzburg vor und eroberten die Trümmerwüste in mehrtägigem Kampf. Vorher musste der 43-jährige Würzburger August Deufert noch einen Pflug organisieren, um das Rollfeld des Fliegerhorsts am Galgenberg in einen Acker zu verwandeln.
Deufert hatte von 1916 bis 1922 die Lehrerbildungsanstalt am Wittelsbacherplatz besucht und ab 1928 in Untereisenheim unterrichtet. Am 21. März 1945 wurde der nunmehrige Inspektor des Luftwaffen-Wetterdienstes nach Würzburg versetzt. Nicht um das Wetter zu beobachten – es war kühl und regnerisch in diesen Tagen –, sondern um den wichtigsten Teil des Fliegerhorsts, das Rollfeld, unbenutzbar zu machen.
Nach seiner Ankunft überzeugte sich Deufert zunächst davon, dass seine Familie noch lebte. Seine Frau war mit den Kindern Margot und Günther aus der Neubergstraße nach Randersacker evakuiert worden. Auf dem Flugplatz richtete unterdessen der neue „Kampfkommandant“ Richard Wolf, ein besonders fanatischer Nazi, sein Hauptquartier ein. Er sollte die kurz zuvor zerstörte Stadt ohne Rücksicht auf Verluste verteidigen.
Am 22. März 1945 meldete sich Deufert auf dem Fliegerhorst. „Großer Dienstbetrieb war nicht mehr“, schrieb er später in seinen Lebenserinnerungen, aus denen im Buch „Zukunft, die aus Trümmern wuchs“ zitiert wird: „Die amerikanische 7. Armee setzte nach der Rheinüberquerung ihren Vormarsch fort und nichts konnte sie mehr aufhalten.“ Wolf sei „der Ruf eines unerbittlichen Kriegers“ vorausgegangen.
Auf dem Galgenberg hatte bis 1935 ein kleiner Flugplatz mit einigen Hangars und einer Flugschule existiert. Im Rahmen der Wiederaufrüstung wandelten die Nazis das Gelände 1935 in einen großen Fliegerhorst der Luftwaffe um. Durch immense Erdarbeiten entstand auf dem schrägen Flugfeld und dem unebenen Gelände ein ebenes Plateau für Starts und Landungen. Neue Flugzeughallen und Kasernen machten die alte Fliegerschule zum Nebengebäude. Auf dem Horst war die zweite Staffel der Fernaufklärungsgruppe 123 stationiert. Zu Beginn des Frankreich-Feldzuges wurden von Würzburg aus Einsätze geflogen, ist in der Broschüre „Luftfahrt in Würzburg“ von Heinz Gräf und Otto Weber nachzulesen. Dann war der Horst für den Rest des Krieges Überholungs- und Ausbesserungswerft für Frontflugzeuge.
August Deufert war eine Maßnahme des Widerstandes gegen die Amerikaner zugedacht: „Als ich mich am 2. April auf der Dienststelle meldete, informierte mich mein Chef, dass ich laut Befehl von Oberst Wolf für die Zerstörung des Flugfeldes, das aus einer Rasenfläche bestand, verantwortlich sei. Bis zum Abend müsse das Rollfeld umgepflügt sein, um Landungen feindlicher Flugzeuge auszuschließen.“
Zunächst galt es, einen Pflug zu organisieren. Ein Fahrer brachte den 43-Jährigen mit einem Traktor zum Gut Gieshügel. Auf dem Weg dorthin erlebte Deufert eine große Überraschung: „Als wir durch Gerbrunn fuhren, schien es mir, als seien wir in eine andere Welt gekommen. Eine Gruppe weißgekleideter Mädchen, Kränzchen im Haar, hie und da ein Junge, festlich gekleidet, mit erwartungsvollen Mienen, strebten der Kirche zu. Der Gegensatz war zu krass. Jenseits des Galgenberges Krieg, Kanonendonner, explodierende Granaten, Maschinengewehrsalven, diesseits Osterstimmung, Ostermontag, vorverlegter Weißer Sonntag! Ich konnte meinen Blick nicht von diesen Kindern losreißen.“
Und doch war der Krieg auch in Gerbrunn sehr präsent, wie sich Deufert erinnert: „Auf dem Weg marschierten, von einem jungen Leutnant geführt, Hitlerjungen und alte Volkssturmleute, letztes Aufgebot, bergan. Sie sollten den Hang des Gieshügels besetzen, eine kleine Widerstandsgruppe, die keinen ernstlichen Widerstand leisten konnte.“
Auf dem Gut angekommen, beschlagnahmte Deufert einen Pflug, der an den Traktor angekoppelt wurde, und fuhr zurück. Von einer kurzen Mittagspause abgesehen, stand er den ganzen Tag auf dem Rollfeld und beobachtete das Aufpflügen. Im Abstand von drei bis vier Metern zog der Pflug tiefe Furchen in die Grasfläche.
Am Nachmittag war von der Stadt her eine mächtige Detonation zu hören; die Löwenbrücke wurde gesprengt. Gegen Abend, als Deuferts Auftrag erfüllt war, ereilte die Alte Mainbrücke und die Luitpoldbrücke (heute Friedensbrücke) dasselbe Schicksal. Den Vormarsch der Amerikaner konnten diese Maßnahmen nicht beeinträchtigen. Sie setzten zunächst mit Schlauchbooten über und schlossen dann provisorisch die Lücke, die in der Alten Mainbrücke klaffte. Der Nachschub an Menschen und Material rollte ununterbrochen, und bald waren weite Teile Würzburgs erobert.
In der Nacht zum 5. April sollte die Stadt, die inzwischen bis zur Eisenbahnlinie im Frauenland unter der Kontrolle der Alliierten war, zurückerobert werden. Beinahe wäre auch August Deufert, der sich immer noch im Fliegerhorst auf dem Galgenberg befand, Teil dieser gefährlichen Aktion geworden: „Alle verfügbaren Kräfte wurden zusammengezogen. Ausgerüstet mit einem französischen Beutegewehr warteten wir in einem großen Saal als Eingreifreserve auf den Einsatzbefehl. Unter Führung eines Hauptmanns, der sich, wie mir schien, durch allzu großen Alkoholgenuss Mut angetrunken hatte, sollten wir nach erfolgtem Angriff nachstoßen und die Amerikaner über den Main zurückwerfen.“
In der Nacht gab es in der Stadt Kampflärm, dann kehrte Ruhe ein. Der Gegenangriff war abgewiesen worden, Deuferts Einsatz entfiel.
Der 43-Jährige hatte sich damit abgefunden, dass der Weg in die Gefangenschaft in seiner Heimatstadt beginnen würde. Doch es kam anders. In der Nacht waren bei den erbitterten Kämpfen vier Amerikaner gefangen und in den Luftschutzbunker des Flugplatzes gebracht worden. Deufert erhielt den Auftrag, sie mit einem Unteroffizier und einem Soldaten als Begleiter nach Schwabach zu bringen. Erst am 4. Mai geriet er bei Innsbruck in amerikanische Gefangenschaft
In Band III der vom Stadtarchiv herausgegebenen „Geschichte der Stadt Würzburg“ ist nachzulesen, wie der folgende Kampf um das Hubland, den letzten noch nicht eroberten Teil Würzburgs, ablief. Im Tagesbericht der an den Gefechten beteiligten US-Regimenter 222 und 232 heißt es: „Am 5. April 1945 zeigte sich das Wetter kühl mit Schauern, die Sicht war schlecht. Das 1. und 2. Bataillon blieben in den erreichten Stellungen unmittelbar östlich der Eisenbahngeleise. Sie kamen unter gegnerisches Feuer aus Handwaffen und automatischen Waffen.“
Um 14 Uhr gingen die US-Bataillone zum Angriff über, um das Hubland einzunehmen. Dazu der Tagesbericht: „Zuerst waren deutsche Scharfschützen auszuschalten. Das 2. Bataillon nahm den Hügel westlich von Gerbrunn, zwei Kompanien drangen in den Ort ein. Sie zogen sich allerdings bei Einbruch der Dunkelheit auf das Gelände westlich von Gerbrunn zurück. Das 1. Bataillon nahm einen weiteren Hügel ein und hielt ihn.“
Ebenfalls in diesem Band beschreibt Stadtarchivleiter Ulrich Wagner weitere Details „Konzentriertes Maschinengewehrfeuer der Verteidiger fügte den Alliierten beträchtliche Verluste zu. Mehrfach wurde die deutsche Abwehrfront durchbrochen. Die deutschen Panzer älteren Typs waren den Sherman-Tanks nicht gewachsen, sie fielen aus oder wurden zerstört.“
Als sich abzeichnete, dass eine Einschließung drohte, gab Oberst Wolf den Befehl zur Räumung des Fliegerhorsts. Die restlichen Soldaten wichen auf die nördlichen Höhen zurück und versuchten, die Straße nach Schweinfurt zu sperren. Von der Keesburg aus stießen US-Panzer zum Horst vor.
Nach dreitägigem hartem Kampf fiel Würzburg am 5. April 1945 in amerikanische Hand. Es waren nochmals rund 1000 Deutsche und 300 Alliierte gestorben.
Neue Serie: Die Geschichte des Galgenbergs
Das Galgenberg genannte Gelände, auf dem sich bis vor Kurzem die Leighton Barracks befanden, ist der Kern des neuen Stadtteils Hubland. In einer losen Artikelfolge werden wir in den nächsten Monaten die Geschichte des Galgenbergs in Wort und Bild beleuchten.
Bis ins 18. Jahrhundert wurden Verbrecher hier an einem steinernen Galgen hingerichtet. 1830 entstand hoch über der Stadt ein Exerzierplatz mit einem „Kugelfang“, einem Erdwall, der bei Schießübungen Kugeln abfing. Der Biergarten „Zum Letzten Hieb“ war einer von Richard Wagners Lieblingsorten, als er 1833 und 1834 in Würzburg wohnte.
Im Jahr 1905 wurde in Würzburg der „Fränkische Verein für Luftfahrt“ gegründet; Motor- und Segelflugzeuge starteten auf dem Galgenberg. 1924 fand die Eröffnung eines kleinen Flugplatzes und einer Fliegerschule statt. Würzburgs Traum von einer Anbindung an den überregionalen Luftverkehr platzte jedoch. 1935 wandelten die Nazis den Flugplatz in einen Fliergerhorst um und erweiterten ihn.
Buch "Zukunft, die aus Trümmern wuchs"
Der Kampf um Würzburg spielt eine zentrale Rolle in Roland Flades Buch „Zukunft, die aus Trümmern wuchs. 1944 bis 1960: Würzburger erleben Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“. Der 336 Seiten umfassende Band mit zahlreichen Abbildungen, davon viele in Farbe und unveröffentlicht, versammelt die Erinnerungen von Dutzenden Würzburgern.
August Deufert berichtet beispielsweise ausführlich über die Zerstörung des Rollfelds auf dem Fliegerhorst und seine anschließende Kriegsgefangenschaft. Das Buch ist für 16,95 Euro in allen Main-Post-Geschäftsstellen und in vielen regionalen Buchhandlungen erhältlich.
Videos, Berichte und Fotos im Internet: www.mainpost.de/geschichte