Eine leere grüne Flasche steht auf dem Regal hinter dem Bürgermeisterschreibtisch von Stefan Hemmerich. Und sie hat, davon darf man ausgehen, für Reichenbergs neuen Rathauschef eine große Bedeutung. Ist es der Sekt vom Wahlabend? Diese und andere Fragen beantwortet Hemmerich im Gespräch mit der Redaktion.
Nach einem Bürgermeisteramt sah es für Stefan Hemmerich zunächst nicht gerade aus. Im Stadtteil Grombühl wächst der Würzburger in den 70er Jahren als Sohn eines Lokführers auf und besucht dort die Pestalozzischule. „Immer im Mittelfeld und Durchschnitt“ sei er leistungsmäßig gewesen, berichtet der 44-Jährige über seine schulischen Leistungen.
Von überdurchschnittlicher Originalität ist dann aber der erste und einzige Verweis, den Hemmerich im Alter von 16 Jahren im Röntgen-Gymnasium erhält: „Turtelei auf dem Schulhof“, lautet das Vergehen, das ein strenger Lehrer in einem Schreiben an die Eltern formuliert.
Von Würzburg nach Reichenberg
Die pädagogische Negativerfahrung hält Stefan Hemmerich nicht davon ab, sich Anfang der 90er Jahre nach bestandenem Abitur und seinem Zivildienst am Körperbehindertenzentrum als Lehramtsstudent einzuschreiben. Nach erfolgreich absolviertem Studium an der Universität Würzburg und der Hochzeit mit seiner Frau arbeitet er sieben Jahre als Sonderschullehrer. 1998 zieht die Familie mit Tochter Yasmin nach Reichenberg. „Dass es Reichenberg wurde, war reiner Zufall“, erinnert er sich. „Unsere Superlage ganz nah an Würzburg wird kaum wahrgenommen“, ärgert er sich bis heute, „dass Reichenberg für viele ein blinder Fleck ist.“ In der 4000-Einwohner-Gemeinde engagiert er sich schnell bei örtlichen Turn- und Sportverein TSV. Er ist zwar kein Fußballspieler, aber er hofft, dass man ihn bei den Alten Herren mitspielen lässt. Man lässt, und die „Taktik“ des Neubürgers, geht sportlich wie menschlich auf.
Im Mobilen Sonderpädagogischen Dienst der Schweinfurter Carl-Sonnenschein-Schule berät er fortan Eltern, Lehrer und Förderschüler. Als Hemmerich merkt, dass sein pädagogischer Anspruch und dessen Umsetzbarkeit im Schulalltag zu weit auseinander klaffen, kommt dem PC-affinen Lehrer ein Berufsangebot der Main-Post wie gerufen. 2005 orientiert er sich beruflich um und unterstützt die Onlineaktivitäten des Medienhauses als Produktmanager für digitale Medien. Und das bis zu seiner Wahl.
Auch die Verwurzelung in Reichenberg geht voran. 2009 übernimmt der „Nichtfußballer“ den Vorstandsposten der Fußballabteilung, gleichzeitig tritt er der SPD bei. Seit 2013 steht Stefan Hemmerich dem gesamten 800 Mitglieder umfassenden Verein vor.
Kandidatur als Bürgermeister
Anfang 2013 kommt die Idee auf, sich ohne Gemeinderatserfahrung für das Amt des Reichenberger Bürgermeisters zu bewerben. „Ein Entwicklungsprozess“ sagt der 44-Jährige heute. Der Umstand, dass es zunächst keinen Gegenkandidaten für Amtsinhaber Karl Hügelschäffer gibt, widerspricht auch dem Demokratieverständnis des gelernten Pädagogen. Gespräche mit SPD-Bürgermeistern aus dem Landkreis und der Rückhalt im SPD-Ortsverein sorgen im März 2014 für die Entscheidung, sich nominieren zu lassen.
„Wenn ich es mache, dann möchte ich es auch schaffen“, betont Hemmerich seine Entschlossenheit, dem Favoriten Karl Hügelschäffer Paroli zu bieten – obwohl der seit 18 Jahren im Amt ist. Die Strategie, sich auf eigene Stärken zu besinnen, darunter die offene Kommunikation, sei letztendlich aufgegangen. „Ich habe nur das versprochen, wofür ich stehe und wo ich gerne ansetzen möchte.“
Im April gewinnt der politische Quereinsteiger die Bürgermeister-Stichwahl für viele überraschend mit knapp 55 Prozent. Jetzt, mehr als ein Jahr später später, schätzt Hemmerich vor allem die Vielfalt der Themen, mit denen er täglich konfrontiert wird. An die Verantwortung, die die neue Position mitbringt, hat er sich inzwischen gewöhnt. Auch an die Tatsache, dass man auf den Bürgermeister Hemmerich anders zugeht als auf den Privatmann.
Und trotzdem, „die Trennung von Person und Amt“ sei nach wie vor eine der größten Herausforderungen, die sich für einen neuen Bürgermeister stelle. „Möglichst wenig Geplantes tun“ ist es dann auch, was er sich an einem freien Wochenende mit seiner Frau und den beiden Kindern Yasmin und Felix wünscht.
Und was hat es mit der leeren grünen Flasche auf sich? „Nein, kein Sekt“, winkt Stefan Hemmerich ab. Es ist ein mit Schokolade gefülltes Willkommensgeschenk der Rathausbelegschaft an den neuen Chef, das ihn sehr gefreut habe. Überhaupt schätze er es sehr, wie konstruktiv die Mitarbeiter der Gemeinde mit dem für viele überraschenden Wechsel an der Rathausspitze umgehen. „Eine der vielen positiven Erfahrungen der ersten Monate.“
Sonderpädagoge, Produktmanager für digitale Medien, Bürgermeister. Stefan Hemmerich ist ganz offensichtlich vielseitig begabt. Ob er sich etwas fürs Alter vorgenommen hat? „Nö“, lautet die prompte Antwort. „Weil ich festgestellt habe, das das Leben viele Wendungen nimmt.“
Bürgermeister-Serie: Am 16. März 2014 wurden im Landkreis Würzburg 51 Bürgermeister gewählt. 18 von ihnen zogen erstmals in ein Rathaus ein und leiten seit 1. Mai vergangenen Jahres die Geschicke ihrer Gemeinden. In loser Folge stellen diese Frauen und Männer in der Serie „Die Neuen im Rathaus" vor.
Sechs Fragen:
Welches Lied passt als „Filmmusik“ zu Ihren ersten hundert Tagen?
„Ein Hoch auf uns“ (Andreas Bouranis WM-Song) auch im Zusammenhang mit der Fußball-WM.
Welcher Teil der Bürgermeisteramtes ist für Sie der Schönste?
Der Kontakt mit Menschen, vor allem, wenn man etwas lösen kann.
Welcher Teil ist der Anstrengendste?
Sich in alle Themen intensiv einzuarbeiten.
Welche Lektion haben sie als Bürgermeister bereits lernen müssen?
Person und Amt zu trennen ist nicht einfach.
Was würden Sie einem Freund raten, der zu Ihnen kommt und sagt: Ich will Bürgermeister werden?
Authentisch sein und bleiben.
Welche Kompetenz aus Ihrem erlernten Beruf können Sie im Amt am besten brauchen?
Alles rund um die Kommunikation.