Jochen Groth schlenderte am Donnerstag mit seiner Frau durch Würzbug, als er überraschend zwei besondere „Sitzerlebnisse“ hatte. Zum einen entdeckte der Tagestourist aus Wetzlar eine besondere Skulptur hinter dem Dom: „Ich sah einen eingeschnürten Menschen, der in den Himmel schaut.“ Groth setzte sich neben den „Gefesselten“ und ließ sich anrühren: „Ich bekam dabei richtig eine Gänsehaut.“ Wenig später dann entdeckte er beim Schlendern die Stuhlinstallation im Rathaushof – und war begeistert: „Das ist ja absolut ungewöhnlich.“
Spontan nahm Groth mit seiner Frau an der „Midissage“ des Projekts „Komm und setz dich!***“ der Fürther Künstlerin Barbara Engelhard teil. Deren Installation wurde am Donnerstag bei einer Kunstaktion aufgelöst. Mit einer derart großen Resonanz auf das Projekt hatte man nicht gerechnet, sagt Bernd Schmidtchen, Vorsitzender des Kunstvereins: „Jeder zweite Stuhl war bei der Midissage besetzt.“ Mehrere Besucher wünschten, eine von der Künstlerin zertifizierte Sitzgelegenheit gegen Spende mit nach Hause zu nehmen.
Auch Jochen Groth und seine Frau fanden das Kunstprojekt inspirierend. Sich mit unbekannten Menschen zusammenzusetzen, Ideen auszutauschen, neue Impulse zu gewinnen, findet der Hesse wunderbar. Die Kunstinstallation selbst inspirierte ihn zu einer Idee, die er erwägt bei einer privaten Feier umzusetzen. „Wir haben bei zu Hause einen großen Platz und besitzen um die 20 Stühle, die wir normalerweise nicht mehr benutzen“, erzählte der Kunstfreund, der derzeit mit dem Wohnmobil unterwegs ist. Man könnte doch diese Stühle bei der nächsten Geburtstagsfeier so ähnlich wie hier auf den Platz aufstellen, überlegt Groth. Das wäre womöglich spannender und lebendiger, als wenn alle an einer langen Tafel sitzen.
Bedeutung von Kommunikation
Auch Monika Ganz nahm an der Midissage teil. Die Würzburgerin pilgert oft zu Eröffnungen von Kunstausstellungen. Selten geht es dabei so gemütlich zu wie bei der „Installationsauflösungsaktion“ auf dem Rathausplatz, sagte sie. Die Botschaft, die sich hinter Engelhards Kunstwerk verbirgt, die Bedeutung von Kommunikation ins Bewusstsein zu bringen, findet Ganz gut. Wobei Würzburg vielleicht nicht ganz der richtige Adressat für das Projekt ist, so die Kunstfreundin mit Blick auf die Zusammentreffen auf der Alten Mainbrücke: „Hier ist man sehr kommunikationsfreudig.
“ Allerding kommt man auf der Alten Mainbrücke in erster Linie zusammen, um Wein zu trinken. Anlässlich der Midissage aber betonte Engelhard, die sich seit 2010 mit „Kunst im öffentlichen Raum“ befasst, dass es ihr ausdrücklich darum geht, konsumfreie Räume zu schaffen. Überall in Städten gebe es immer weniger Platz, wo man sich hinsetzen und ungezwungen verweilen könne – ohne Kaffee oder Bier bestellen zu müssen.
Die Absichten, die Engelhard mit ihrem Projekt verbindet, gehen allerdings noch darüber hinaus: „Ich möchte den urbanen Raum den Bürgern zurückgeben.“ Denn durch strenge Auflagen werde es den Menschen zunehmend verleitet, sich auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten. Spontane Zusammenkünfte vieler Leute zum Beispiel seien kaum möglich, gerieten die Teilnehmer doch leicht in den Verdacht, gegen das „Versammlungsrecht“ zu verstoßen.
Zudem steht das Projekt „Komm und setz dich!***“ im Zeichen der Nachhaltigkeit. Engelhard will darauf aufmerksam machen, in welchem Überfluss viele Dinge vorhanden sind. Und wie unsinnig es aus ökologischer Sicht ist, immer Neues zu produzieren und zu kaufen.
Auf dem Kunstschiff Arte Noah im Alten Hafen läuft die Arbeitsdokumentation über die künstlerische Arbeit von Barbara Engelhard noch bis 28. September weiter. Die Arte Noah ist Donnerstag bis Samstag und an Feiertagen von 15 bis 18 Uhr, sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Am Mittwoch, 28. September, findet ab 19 Uhr zur Finissage eine Führung durch die Ausstellung auf der Arte Noah statt.