Im September beginnt das neue Ausbildungsjahr. Wer in diesem Jahr seinen Schulabschluss macht, fragt sich schon jetzt: gleich in einen Beruf einsteigen?
Der Start in einem Unternehmen, die erste Phase der Einarbeitung, wird in Fachkreisen gerne "Onboarding" genannt. Diese Zeit sei außerordentlich wichtig, damit Auszubildende bei der Stange bleiben, meint der Würzburger Prof. Roland Stein. Der 62-Jährige beschäftigt sich als Sonderpädagoge seit 35 Jahren mit der dualen Berufsausbildung in Deutschland.
Stein leitet am Institut für Sonderpädagogik der Uni Würzburg das neue Forschungsprojekt "Duales Onboarding in der Berufsausbildung". Es untersucht mit Blick auf den Fachkräftemangel, was Betriebe und Berufsschulen in der ersten Phase der Ausbildung besser machen können. Denn in Deutschland brechen jedes Jahr etwa 30 Prozent der Lehrlinge ihre Ausbildung ab.
Ein Lehrling kommt an seinem ersten Tag in die Firma. Was sollte der Ausbilder an diesem Tag mit ihm machen?
Roland Stein: Er sollte ihn ausdrücklich willkommen heißen und sollte sich Zeit nehmen für den Azubi. Gut ist auch, ihm einen Begrüßungsordner zum Beispiel mit einem Organigramm des Unternehmens zu geben – gerade, wenn die Firma groß ist. Alles in allem ist es wichtig, dass eine Atmosphäre des Willkommens geschaffen wird. Und dass dem Azubi stets ein Ansprechpartner im Betrieb zur Verfügung steht. Dieser Ansprechpartner muss Zeit haben. Das ist ein Punkt, an dem es oft scheitert.
Das klingt alles selbstverständlich, das tun viele Ausbildungsbetriebe bereits. Wo sehen Sie noch Defizite?
Stein: Was ich genannt habe, ist die Basis. Ich unterstelle keinem Unternehmen eine schlechte Willkommenskultur. Es gibt eine Fülle weiterer Möglichkeiten. Zum Beispiel kann eine Art Paten- oder Mentorensystem aufgebaut werden, bei dem ältere Azubis die Betreuung jüngerer Azubis übernehmen. Auch das machen schon viele Betriebe, aber eben nicht alle.

Welche Unternehmen haben beim Onboarding Luft nach oben?
Stein: Wir wissen aus der Forschung, dass das Vorgehen breit gestreut ist. Zum Teil fehlt einfach das Wissen darüber, wie gutes Onboarding gestaltet werden kann. Das kann von gemeinsamen Ausflügen mit den Azubis gehen bis hin zu Kennenlernaktionen, wenn von auswärts kommende Azubis die Stadt ihres Betriebes noch nicht kennen. Erlebnispädagogische Aktionen gehören auch dazu. Das sind aber schon Luxusvarianten.
Warum ist das Onboarding so wichtig?
Stein: Beim Onboarding geht es nicht nur um die ersten Tage. Doch diese Zeit ist besonders sensibel, sie prägt. Die meisten Auszubildenden erinnern sich an ihre ersten Tage im Betrieb noch sehr lange. Hinzu kommt die Phase davor, man spricht hier vom Preboarding. Das fängt beim Einstellungsgespräch an. Mit der Frage: Welche Atmosphäre erzeuge ich da? Oder: Wenn zwischen Einstellungsgespräch und Einstellung eine lange Zeit liegt, sollte der Betrieb dann zwischendurch Kontakt zum neuen Azubi aufnehmen, um den Faden zu halten? Das Onboarding wiederum kann bis zum sechsten Monat der Ausbildung gehen. Wir wissen, dass in dieser frühen Phase noch viele Auszubildende abbrechen.
"Die Azubis immer nur in Watte zu packen, ist nicht gut und gar nicht notwendig."
Prof. Roland Stein über das Onboarding im Betrieb
Wenn sich Chefs selbst intensiv um das Onboarding und die Azubis kümmern, könnte die angestammte Belegschaft neidisch werden. Eine Gefahr?
Stein: Ja, diese Gefahr sehe ich. Doch die Azubis immer nur in Watte zu packen, ist nicht gut und gar nicht notwendig. Aus Erhebungen wissen wir, dass es Auszubildende gibt, die nicht unter Überforderung leiden, sondern unter Unterforderung. Der Betrieb sollte auf jeden Fall realistische individuelle Ansprüche an die Azubis stellen.
Wichtig in der Ausbildung ist die Berufsschule. Wie sollte dort das Onboarding sein? Bleibt in den Lehrplänen Spielraum?
Stein: Wichtige Frage. Deshalb bezieht unser Forschungsprojekt nicht nur die Betriebe, sondern auch die Berufsschulen ein. In der Forschung gibt es in dieser Hinsicht kaum etwas. Es ist aber wichtig, denn ein Azubi hat zwei Rollen: Er ist Auszubildender und er ist Berufsschüler. Wir wollen auch mit den Berufsschulen daran arbeiten, ihr Potenzial beim Onboarding zu steigern. Da fangen wir beispielsweise bei dem an, was ich für die Betriebe schon erwähnt habe: Dass jemand da ist, der die Azubis am ersten Tag in der Berufsschule begrüßt. Dass die Azubis eine Orientierung über die Berufsschule bekommen. Dass es vielleicht auch ein funktionierendes Mentorensystem gibt.

Warum ist das Onboarding so wichtig, dass die Sie gleich ein Forschungsprojekt daraus machen?
Stein: Weil es eine Menge Befunde gibt, die zeigen, dass das Gelingen einer Ausbildung sehr stark in ihrer ersten Phase grundgelegt wird. Wir kamen zu dem Projekt, weil wir Forschung zu Ausbildungsabbrüchen gemacht haben. Dabei wurde klar: In der ersten Zeit der Ausbildung steht und fällt vieles.
Was ist beim Onboarding der Fehler schlechthin, der unbedingt vermieden werden sollte?
Stein: Den gibt es nicht. Das liegt schon daran, dass die Azubis ganz unterschiedlich sind. Die einen brauchen gar nicht viel und gehen stabil durch die Ausbildung. Andere sind viel empfindlicher, kippen eher weg und scheitern dann.
Würzburger Forschungsprojekt zu Onboarding in der BerufsausbildungZiel: Was können Berufsschulen und Betriebe tun, um mehr junge Menschen in eine Berufsausbildung zu bringen und sie dort zu halten - dies erforscht jetzt ein Team um Prof. Roland Stein vom Institut für Sonderpädagogik der Uni Würzburg. Im Mittelpunkt steht die Zeit der Eingliederung eines Lehrlings in das Unternehmen.Vorgehen: Zunächst wird das Team Azubis, Ausbilder und Lehrpersonal an den Berufsschulen befragen. Nach der Auswertung sollen die Erkenntnisse in unterfränkischen Betrieben und Berufsschulen getestet werden. Laut Uni soll es ab Mitte 2027 ein Internetportal geben mit Tipps und Hintergründen zum Onboarding.Kooperationspartner sind Berufsschulen in Würzburg, Kitzingen, Ochsenfurt, Lohr und Karlstadt sowie die Handwerkskammer für Unterfranken und die IHK Würzburg-Schweinfurt. Beratend stehen die Agentur für Arbeit in Würzburg sowie das bayerische Kultusministerium zur Seite. Den Angaben zufolge fördert das Bundesbildungsministerium das Onboarding-Projekt mit 337.000 Euro.aug