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Hubland: Tropenforscher Karl Eduard Linsenmair und der Termiten-Trick

Hubland

Tropenforscher Karl Eduard Linsenmair und der Termiten-Trick

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    Tropenbiologe Karl Eduard Linsenmair hat die Biologie hinter der Zai-Methode erforscht.
    Tropenbiologe Karl Eduard Linsenmair hat die Biologie hinter der Zai-Methode erforscht. Foto: Daniel Peter

    Überrascht war Karl Eduard Linsenmair nicht, als in diesem Jahr die Träger des Alternativen Nobelpreises bekannt gegeben wurden. Aber er freute sich. Und bei der Freude schwang ein klein wenig Genugtuung mit – wenn nicht sogar ein bisschen Schadenfreude. „Vor allem haben wir uns eins gegrinst“, sagt der Würzburger Tropenbiologe über den Moment, als er von der Auszeichnung für den afrikanischen Bauern Yacouba Sawadogo erfuhr. Im Norden Burkina Fasos, im kleinen Dorf Ouahigouya, hat Yacouba Sawadogo eine alte Anbaumethode neu entwickelt, mit der die ausgemergelten, kargen Böden des Sahel wieder fruchtbar werden. Linsenmair sagt, mit bitterem Lächeln: „Genau diese Anbaumethode haben wir der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit wie Sauerbier zur Weiterentwicklung vorgeschlagen.“ Aber dieser simple Ansatz habe die GiZ schlicht nicht interessiert.

    Seit 1963 arbeitet und forscht Karl Eduard Linsenmair, 78 Jahre alt inzwischen, auf dem afrikanischen Kontinent. Als junger, neugieriger Biologieprofessor,  der bis viel in Nordafrika geforscht hatte, machte er sich 1973 sich mit seiner Frau und einem Kollegenehepaar von Würzburg aus im Auto auf Richtung Elfenbeinküste. Im Sahel, erzählt der Biologe, habe er damals „noch überall normale Vegetation“ gesehen. Karge Trockenwälder. Aber Wälder, immerhin.

    Nach der ersten Fahrt kehrte der Tropenforscher wieder und wieder in die Savanne zurück. Und er „konnte zuschauen, wie innerhalb von 20 Jahren der bei weitem größte Teil aller waldähnlicxhen Vegetation in weiten Arealen des Sahel verschwand“. Das Bevölkerungswachstum, die Intensivierung der Landwirtschaft, der steil ansteigende Bedarf an Feuerholz, „in großen Mengen und oft genug fürs Brennen von Schnaps“, forderten Tribut: Die Bäume wurden abgeholzt, konnten nicht nachwachsen. Und mit den Wäldern verschwand der Ackerboden. „In dem Moment, wo die Bäume weg sind, geht es rapide“, sagt Linsenmair. Der Wind bläst die Humusschicht weg, die Ziegen machen alles, das doch noch wächst, kurz und klein. Irgendwann ist da nichts mehr als als eine geschlossene Schicht nackter Steinchen.

    Auf kargem Wüstenboden: Würzburger Forscher im Gespräch mit Bauern und Landwirtschaftsexperten in Burkina Faso.
    Auf kargem Wüstenboden: Würzburger Forscher im Gespräch mit Bauern und Landwirtschaftsexperten in Burkina Faso. Foto: Prof. Karl Eduard Linsenmair

    Der Würzburger Tropenbiologe konzentrierte sich auf Westafrika, begeistert von der unglaublichen und bis dato weitgehend unbekannten Vielfalt des Lebens in der ivorischen Savanne. Allein die vielen völlig verschiedenen Froscharten mit ihren so unterschiedlichen Lebensweisen im Uferschlamm, in den Baumwipfeln, am Boden. Linsenmair wollte es nicht bei einzelnen, mehr oder weniger kurzen Besuchen bewenden lassen, er wollte die Voraussetzungen für kontinuierliche und möglichst vielseitige Forschungen schaffen. Wollte ein Grundverständnis der Ökosysteme gewinnen. Und zusammen mit anderen, vor allem  afrikanischen Wissenschaftlern, weiterarbeiten in einem der artenreichsten und empfindlichsten Ökosysteme der Welt.

    Im Comoé-Nationalpark baute der Tropenbiologe – trotz aller Warnungen vor tödlichen Krankheiten, Wilderei und politischen Wirren, trotz Bedenken von vielen Seiten, trotz jahrelanger bürokratischer Widerstände und Hürden – mit Geldern der Fritz Thyssen Stiftung eine Station auf, die zur Anlaufstelle von Forschern aus aller Welt werden sollte.

    1989 hatte Linsenmair begonnen, 8000 Kilometer von Würzburg entfernt, mit Pfählen ein erstes einfaches Provisorium zu zimmern. 2003 stand er endlich vor einer soliden, voll einsatzfähigen ökologischen Forschungsstation. Einmalig für Westafrika. Nicht nur das Verhalten der Frösche, die ihn so begeistert hatten, nicht nur das Vorkommen einzelner Tierarten wollten Linsemair und seine Kollegen hier untersuchen. Sondern die Folgen des gobalen Wandels, den Verlust der Artenvielfalt, die Ausbreitung der Wüsten. Auf den ungezählten Fahrten an die Elfenbeinküste war er wieder und wieder durch den Sahel gekommen – und erlebte Dürre und Degradation. In Burkina Faso waren vielerorts die Böden steinhart und unfruchtbar geworden. „Eine Katastrophe“, sagt Linsenmair.

    "Eine Katastrophe."

    Karl Eduard Linsenmair über die Verwüstung im Sahel

    An der Elfenbeinbüste begann, kaum warim Comoé-Nationalpark das Forschungscamp fertig eingerichtet und eröffnet, 2003 die menschliche Katastrophe: Hier Rebellen, da Regierungstruppen – und am Grenzfluss zwischen ihnen die Wissenschaftler. Direkt vor der Station tobte der Bürgerkrieg. Die französische Armee flog die Tropenbiologen aus dem Land. Und Linsenmairs Hoffnung, nach ein paar Wochen, vielleicht Monaten wieder zurückkehren zu können – sie trog.

    Über Jahre hinaus war an eine Rückkehr nicht zu denken. Der Würzburger Professoraber blieb Westafrika treu. Als einziger Biologe im zuständigen Nationalkomitee entwickelte Linsenmair für das Bundesforschungsministerium das Programm „Biolog-Biota“ mit, das Erkenntnisse aus der ökologischen Grundlagenforschung für konkrete Problemlösungen auf dem afrikanischen Kontinent einsetzen sollte. Von Benin und Burkina Faso aus leitete Linsenmair das Teilprojekt Biota-West – und koordinierte die Forschung von 16 Unis und Instituten in Deutschland und Afrika.

    Bauer Yacouba Sawadogo aus Burkina Faso, Träger des Alternativen Nobelpreises 2018.
    Bauer Yacouba Sawadogo aus Burkina Faso, Träger des Alternativen Nobelpreises 2018. Foto: Karl Eduard Linsenmair

    Und so begegnete der Würzburger Tropenökologe dem Bauern Yacouba Sawadogo. Im Norden von Burkina Faso hatte sich der Farmer auf den ausgemergelten, steinigen Feldern, die nichts hergaben, an die alte Anbautradition erinnert, die er von seinem Vater gelernt hatte: das Zai-System. Die Familien der Region hatten kleine Kuhlen gegraben, hangabwärts vor jedes kleine Loch die Erde halbmondförmig aufgeschüttet zum Schutz und die Hirsesamen hineingestreut. „Bei Regen sammelt sich das Wasser kurz in den Kuhlen“, sagt Linsenmair. „Ob es gleich davonfließt oder ein, zwei Stunden steht, macht einen enormen Unterschied.“

    Doch die traditionelle Anbaumethode hatte sich nicht durchgesetzt. Zu oft wehte der Wind die trockene Saat davon. Yacouba Sawadogo begann zu experimentieren. Er vergrößerte die Halbmonde etwas, schob Kuhfladen, Erntereste oder herumliegende Blätter hinein und deckte die Kuhlen mit etwas Erde ab. „Das organische Material“, sagt Linsenmair, „ist der Trick. Es lockt die Termiten an.“ Sie bewegen sich unterirdisch in kleinen Kanälen, durchlöchern und lockern dabei den harten Boden. „Die Fähigkeit, Wasser zu speichern wird durch das Kapilarsystem der Termiten um das Zwei- bis Vierfache gesteigert“, sagt der Ökologe.

    Eine kleine Kuhle im Boden, gefüllt mit organischem Material.
    Eine kleine Kuhle im Boden, gefüllt mit organischem Material. Foto: Prof. Karl Eduard Linsenmair

    Viele Jahre sei Sawadogo dafür belächelt worden, erzählt Linsenmair. Irgendwann aber sprachen sich die erfolgreichen Ernten des Bauern aus dem Dorf Ouahigouya herum. Sawadogo hatte bei seinen Experimenten auch gesehen, dass es nützt, die Triebe junger Bäume in den Hirse-Kuhlen stehen zu lassen. Groß geworden, spenden die Bäumchen Schatten, ihr Laub schützt den Boden. „Und wenn man Bohnen als Stickstoffanreicherer neben der Hirse gibt, hat man gleich eine Düngung.“ Der Knackpunkt aber: die Ökosystem-Ingenieure, die Ameisen und Termiten. „Sie machen enorme Umschichtungen im Boden“, sagt Linsenmair. „Im Monat bewegen sie bis zu 216 Tonnen pro Hektar.“

    Boden-Ingenieure: Termiten in Aktion.
    Boden-Ingenieure: Termiten in Aktion. Foto: Prof. Karl Eduard Linsenmair

    Doch welche Insekten waren da so umtriebig? Wie fanden sie den Weg zu den Kuhlen? Linsenmair begann mit seinem Biota-Team, die tierischen Landwirtschaftshelfer und die Zai-Technik zu erforschen. Sie sammelten die Insekten, bestimmten die Gattungen, lockten die Tiere mit unterschiedlichem organischem Material an und wogen, wie viele Erde jeweils umgewühlt wurde. In einer umfangreichen Arbeit fand Doktorandin Dorkas Kaiser heraus, dass erste Termiten der Gattung Odontotermes ein Gebiet erschließen. Und dann Mactrotermes-Termiten nachziehen und die Hauptmenge an Boden durchwühlen.

    „Alles, was ich besitze, sind ein Esel und ein Wagen. Mein einziger Reichtum ist der Wald, den ich gepflanzt habe.“  

    Yacouba Sawadogo bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises

    Wie klug die traditionelle Anbauweise hier im Norden Burkina Fasos war, wie schnell man damit völlig degradierte Flächen begrünen konnte, war den Würzburger Biologen schnell klar. „Nach einem Jahr hat man ein Feld. Wenn sie lang genug warten, bekommen sie Wald.“ Die GIZ, die staatliche Entwicklungszusammenarbeitsorganisation, aber hätte keinerlei Interesse gezeigt, sagt Linsenmair mit dem Lächeln des Unermüdlichen: „Das war denen zu primitiv. Die wollen gleich mit großem Gerät ran.“ Heute wächst in der Umgebung von Ouahigouya wieder Wald, auch in den Nachbarländern Niger und Mali beackern viele Bauern ihre Felder nach der Zai-Methode, die Grundwasserspiegel stiegen. Und Ende November wurde dem 77-jährigen Yacouba Sawadogo in Stockholm von der Right-Livelihood-Stiftung der Alternative Nobelpreis verliehen.

    Wieder fruchtbar und grün: ein Feld in Burkina Faso, das Bauern mit der Zai-Methode bewirtschaften. 
    Wieder fruchtbar und grün: ein Feld in Burkina Faso, das Bauern mit der Zai-Methode bewirtschaften.  Foto: Prof. Karl Eduard Linsenmair

    „Es ist eine Genugtuung zu sehen, dass es auch mit traditionellen Methoden geht, bei der man nichts weiter braucht als Arbeitskraft“, sagt Karl Eduard Linsenmair. Gerade ist er wieder aus der Elfenbeinküste zurückgekommen, er hatte eine Wirtschaftsdelegation der bayerischen Staatsregierung begleitet. Erst zehn Jahre nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges hatte der Tropenökologe wieder in den Norden des afrikanischen Landes, in den Comoé-Nationalpark reisen können – und seine Forschungsstation in der Savanne als ausgeplünderte Ruinen gefunden. Zwei Millionen Euro für Gebäude und Geräte – verloren. Mit 72 Jahren fing Linsenmair noch einmal von vorne an. Weil er von afrikanischer Seite dringend gebeten wurde, weiterzumachen. Und obwohl, wie er mit Bitternis erzählt, das bayerische Staatsministerium „alle schriftlichen Verträge brach“ und Gelder zurückzog.

    Jetzt gibt es wieder eine Station, funktionsfähig und voll belegt. „Es läuft“, sagt Linsenmair. Über Monate hinaus sei das Camp mit seinen 14 Gästehäusern von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt belegt. „Immer bis zu 30 Leute, das absolute Maximum. Wer in den Tropen forschen will, kommt zu uns.“ Bibliothek, Büros, Labors, inzwischen funktioniert hier auch das Internet. Aber wie es weitergeht? Der 78-jährige Gründer weiß es nicht, für einen Nachfolger gibt es keine Stelle. „Wir können die laufenden Kosten bestreiten“, sagt Linsenmair über zusammengekratzte Drittelmittel, „aber jede nötige Reparatur ist eine Katastrophe.“ Der Fuhrpark bestehe nur noch aus Schrottautos, „jede Fahrt ist ein Risiko“. Aufgeben? Kommt nicht in Frage. Dafür gibt es zu viel zu erforschen.

    Die Zaï-Methode und die Wiederbegrünung der Wüste Zaï oder Tassa bezeichnet ein im westlichen Sahel (Burkina Faso, Niger, Mali) ein verbreitetes System, um degradierte Trockengebiete zu regenerieren und den Boden wieder fruchtbarer zu machen – und die Ausbreitung der Wüste aufzuhalten. Mit dem Grabstock werden dabei kleine Löcher ausgehoben und mit Blättern, Ernteresten oder Dung gefüllt. Termiten tragen das organische Material in den Boden ein und lockern ihn auf, so dass auch Wasser leichter eindringen kann. Beginnt die Regenzeit, können dann Feldfrüchte oder Gehölze zur Wiederbegrünung eingesetzt werden. Yacouba Sawadogo hat im Norden Burkina Fasos die traditionelle Methode weiterentwickelt. Ende der 1970er Jahre begann der Bauer, im Dürregebiet beim Hirseanbau mit der traditionellen Weise des Zaï zu experimentieren – mit Erfolg. Einen ganzen Landstrich begrünte er durch seine Versuche neu. Auch Bauern aus Niger und Mali wurden auf die Methode aufmerksam und arbeiten heute danach. In diesem Jahr erhielt der 77-jährige Sawadogo den Right Livelihood Award, „Alternativer Nobelpreis“ genannt. Der „Preis für die richtige Lebensweise“ ist eine Auszeichnung „für die Gestaltung einer besseren Welt“. Er wird seit 1980 jedes Jahr von der Stiftung Right Livelihood Award Foundation, gegründet von Jakob von Uexküll, vergeben.

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