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Würzburg: Vom Zauber der Unvollkommenheit: Die merkwürdig nostalgischen Arbeiten von Marco Wagner im Würzburger Museum am Dom

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Vom Zauber der Unvollkommenheit: Die merkwürdig nostalgischen Arbeiten von Marco Wagner im Würzburger Museum am Dom

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    "Hahnenkampf"  von Marco Wagner: Kinder der 1960er und 1970er Jahre werden sich stark an die Ästhetik ihrer Jugend erinnert fühlen.
    "Hahnenkampf"  von Marco Wagner: Kinder der 1960er und 1970er Jahre werden sich stark an die Ästhetik ihrer Jugend erinnert fühlen. Foto: Mathias Wiedemann

    Zuerst sollte es nur eine Intervention werden, also ein kleiner Eingriff in die ständige Ausstellung im Würzburger Museum am Dom. Doch dann wurde es mehr: Mit rund 50 Arbeiten hat der 1982 in Würzburg geborene Künstler Marco Wagner nun unter dem Titel "leaving paradise" seine erste Ausstellung in seiner Geburtsstadt (bis 25. Februar).

    Wagner, der mit seiner Familie am Fuße des Kreuzbergs lebt, hat als Illustrator für Magazine wie "Cicero" etliche Preise gewonnen. Er ist aber längst auch als freier Künstler erfolgreich, es vertreten ihn Galerien in Hamburg, Leipzig und Frankfurt. Jürgen Emmert, Leiter der Abteilung Kunst der Diözese und damit des Museums am Dom, hat Wagners Bilder teils übers ganze Museum verteilt, wo sie in verblüffend pointierte Dialoge mit der historischen Kunst treten.

    In der "Voliere": Der Rechtshänder Marco Wagner stellt ganz selbstverständlich technisch perfekte Arbeiten solchen gegenüber, die er mit der linken Hand gemalt hat. 
    In der "Voliere": Der Rechtshänder Marco Wagner stellt ganz selbstverständlich technisch perfekte Arbeiten solchen gegenüber, die er mit der linken Hand gemalt hat.  Foto: Maria Walter

    Eine große Werkgruppe ist im geschlossenen Raum des  "Labors" zusammengefasst, das für diesen Anlass in "Voliere" umbenannt wurde. Die Motive hier: Vögel. Und sonst? Menschen, Pflanzen, Ornamente, mal scheinbar plakativ naiv, mal hintergründig und vieldeutig, mal meisterhaft naturalistisch. Marco Wagner spielt mit Stilen, Situationen, Deutungen. Und stellt dabei immer die grundsätzlichen Fragen nach unserer Vergänglichkeit, unserem Umgang miteinander und mit der Natur.

    Merkwürdig vertraute Anklänge an die Gebrauchsästhetik der Nachkriegszeit

    Was vor allem Angehörige der Jahrgänge 1970 und älter frappierend finden dürften: Oft arbeitet der Künstler mit merkwürdig vertrauten Anklängen an die Gebrauchsästhetik der Nachkriegszeit und der Boomer-Jahre. Es scheint, als habe der deutlich jüngere Künstler eine Art privilegierten Zugang zum kollektiven Bildgedächtnis seiner Eltern- und Großelterngeneration. "Er hat ein ganz besonderes Bewusstsein für die Vergangenheit", sagt Jürgen Emmert.

    Gegenüberstellung: Ein Andachtsbild aus dem Jahr 1587 und eine Zeichnung von Marco Wagner.
    Gegenüberstellung: Ein Andachtsbild aus dem Jahr 1587 und eine Zeichnung von Marco Wagner. Foto: Marco Wagner

    Marco Wagners Arbeiten sind chiffriert und erschließen sich oft dennoch verblüffend schnell. Dabei helfen die listigen Gegenüberstellungen. Ein Beispiel: Links unten an einer grasgrünen Wand ein Andachtsbild aus dem Jahr 1587. Es zeigt Dietrich Echter von Mespelbrunn und seine Familie. Rechts darüber eine Zeichnung Wagners basierend auf einem Familienfoto aus den 1950er Jahren - den Kopf des Kindes in der Mitte hat Wagner ersetzt durch den Kopf des Heilands. Der Titel "Rodina a Svaty" (Familie und Heiligkeit) erklärt sich aus der Auseinandersetzung des Künstlers mit der Volkskunst der Slowakei, dem Heimatland seiner Frau.

    Beide Motive werfen die Frage nach dem Verhältnis von Ideal und Wirklichkeit auf. So hat sich Dietrich Echter von Mespelbrunn, Abkömmling eines eher unbedeutenden Adelsgeschlechts, in einer Galarüstung darstellen lassen, die er sich in echt wohl kaum hätte leisten können. Und wie das in den meisten Familien mit der Heiligkeit ist, das mögen Betrachterinnen und Betrachter selbst beurteilen.

    Vernissage: Marco Wagner (links) und Jürgen Emmert bei der Ausstellungseröffnung.
    Vernissage: Marco Wagner (links) und Jürgen Emmert bei der Ausstellungseröffnung. Foto: Marco Wagner

    Der Rechtshänder Marco Wagner sucht in seiner Arbeit auch die Grenzerfahrung, etwa, indem er sich auferlegt, jeden Tag mit der linken Hand einen Vogel zu zeichnen. Dass er das weitaus weniger perfekte Ergebnis gleichberechtigt neben bis ins kleinste Detail vollendeten Arbeiten zeigt, kann man durchaus auch als Statement interpretieren.

    Als Konsum und Wachstum noch nicht als global zerstörerische Kräfte entlarvt waren

    Apropos Perfektion: Dass er brillant malen kann, zeigen Marco Wagners Darstellungen der Keramikfiguren, wie sie in hunderten Haushalten standen und möglicherweise noch stehen. Relikte einer Zeit, als Lumpensammler von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof zogen und ebendiese Figuren als Anreiz zur Herausgabe von Stoffen und Kleidern verschenkten. Schäferhund, Jockey auf Pferd, Papagei - Wagner verleiht den Nippesfiguren einen hyperrealistischen Glanz, wie sie ihn auf ihren alten Standplätzen, auf Kaminsimsen oder Röhrenfernsehern möglicherweise niemals hatten. 

    Marco Wagner verleiht sogar der Nippesfigur künstlerischen Glanz.
    Marco Wagner verleiht sogar der Nippesfigur künstlerischen Glanz. Foto: Mathias Wiedemann

    So atmen viele Arbeiten eine gewisse Wehmut. Vielleicht die - freilich mehrfach gebrochene - Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Welt einfacher erschien? Als dekorativ stilisierte Tiere und Pflanzen oder großflächig gemusterte Tapeten für Aneignung und Aufgeräumtheit standen. Als Konsum und Wachstum positiv besetzt waren und noch nicht entlarvt als global zerstörerische Kräfte.

    Es geht um weit mehr als die Rekonstruktion einer trügerisch heilen Welt

    Und doch wirkt hier eine Kraft, die weit über die nostalgische Rekonstruktion einer heilen Welt hinausreicht, die es ohnehin so nie gegeben hat. Marco Wagners Bilder vereinen eine frappierende Empfänglichkeit für die Ausstrahlung der damaligen Ästhetik mit dem Versuch zu verstehen. 

    Zu verstehen, wo wir herkommen, wie wir wurden, was wir sind. Und nicht zuletzt zu ermessen, was wir verloren haben auf dem Weg in eine glattgezogene, KI-generierte Realität ganz ohne den Zauber menschlicher Unvollkommenheit. Oder, um auf den Ausstellungstitel zurückzukommen: Wann wir das Paradies verlassen haben.

    Museum am Dom, Würzburg, bis 25. Februar. Geöffnet: Di.-So. 12-17 Uhr

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