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Würzburg: Von Grombühl zum Bürgerkrieg: Warum sich ein Würzburger für Binnenvertriebene in Kamerun einsetzt

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Von Grombühl zum Bürgerkrieg: Warum sich ein Würzburger für Binnenvertriebene in Kamerun einsetzt

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    Aaron Haas, Amelie Brockhaus und Alejandro Giribás (von links)  kommen aus Deutschland und engagieren sich für Binnenvertriebene in Kamerun.
    Aaron Haas, Amelie Brockhaus und Alejandro Giribás (von links)  kommen aus Deutschland und engagieren sich für Binnenvertriebene in Kamerun. Foto: Eric Julien Dom Kanse

    Im Westen Kameruns tobt seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Laut UN-Schätzungen haben fast eine Million Menschen ihre Heimat verlassen. Zusätzlich wird das Land durch Terror im Norden und eine Flüchtlingskrise in der Zentralafrikanischen Republik belastet. Trotzdem gibt es international nur wenig Aufmerksamkeit für die Konflikte im Land, im Jahr 2019 erklärte der Norwegische Flüchtlingsrat die Krisen in Kamerun zu den am meisten vernachlässigten Krisen der Welt. 

    Aaron Haas (24) aus dem Würzburger Stadtteil Grombühl setzt sich bei der kamerunischen Nichtregierungsorganisation "SOPISDEW" ein, die Menschen unterstützt, die aufgrund des Bürgerkriegs aus der Oku-Region im Westen des Landes ins Zentrum flüchten. Nach einem Bachelorstudium im Luftverkehrsmanagement in Frankfurt und einem fast abgeschlossenen Masterstudium in internationaler Wirtschaft und Governance in Bayreuth war er von Juli bis Oktober für ein Projekt in der Hauptstadt Jaunde. Im Interview erklärt er die Hintergründe des Bürgerkriegs und warum die Lage der vertriebenen Menschen eine besonders dramatische ist.

    Aaron Haas (dritter von links) und seine Projektpartnerinnen und -partner aus Deutschland und der Oku-Region. 
    Aaron Haas (dritter von links) und seine Projektpartnerinnen und -partner aus Deutschland und der Oku-Region.  Foto: Eric Julien Dom Kanse

    Frage: Wie bist du darauf gekommen, dich für ein Projekt in Kamerun zu engangieren?

    Aaron Haas: Ich habe im August 2021 im Auswärtigen Amt in Berlin ein Praktikum gemacht, im Referat für Ostafrika. Da hatte ich schon vermehrt mit den Themen Flucht und Binnenvertriebenenkrisen zu tun. Dabei ging es vor allem darum, Gelder zu verteilen. Danach wollte ich mal sehen, wie sowas vor Ort funktioniert – am Beispiel von Kamerun in Zentralafrika.

    Worum geht es bei dem Bürgerkrieg in Kamerun?

    Haas: Der Ursprung des Konfliktes liegt in der kamerunischen Kolonialgeschichte. Die nordwestlichen und südwestlichen Regionen standen unter der britischen Krone und der Rest des Landes unter Frankreich. Heute wird das gesamte Land von einer französischsprachigen Regierung kontrolliert. Diese betreibt eine Assimilationspolitik gegenüber den englischsprachigen beziehungsweise anglophonen Gebieten. 2016 ist die Lage dann eskaliert, weil das französischsprachige Regime Lehrer und Richter in die englischsprachigen Regionen sandte, um dort das Schul- und das Justizsystem an das Französische anzupassen.

    "Seitdem gibt es brutale Kämpfe, Tote und Kriegsverbrechen auf beiden Seiten"

    Aaron Haas, SOPISDEW

    Und was ist dann passiert?

    Haas: Die lokalen englischsprachigen Lehrer und Richter haben gestreikt, Schulen wurden geschlossen und schließlich kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. 2017 haben Separatisten in Teilen der anglophonen Regionen dann ihre Unabhängigkeit ausgerufen und sich Republik Ambazonien genannt. Seitdem gibt es brutale Kämpfe, Tote und Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Und damit auch knapp eine Million Binnenvertriebene.

    Was sind Binnenvertriebene? 

    Haas: Das sind Menschen, die innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen fliehen und oftmals keine Unterstützung seitens ihrer Regierung erhalten. Im Gegensatz zu Flüchtlingen, die Landesgrenzen überschreiten, erhalten Binnenvertriebene oftmals auch kaum Unterstützung von internationalen Organisationen. Sie haben häufig keine Arbeit, kein Geld und medizinische Probleme. Da sie meistens keine Papiere besitzen, kommen sie auch immer wieder in Konflikt mit der Polizei. Und die kamerunische Regierung tut zu wenig, um die Binnenvertriebenen zu unterstützen. Sie sind somit auf sich allein gestellt und auf die humanitäre Hilfe von internationalen Organisationen angewiesen. 

    Wie wollt ihr diesen Menschen helfen?

    Haas: Im Zuge unseres Projekts führen wir Interviews mit Binnenvertriebenen durch. Wir hören uns deren Geschichten an und nehmen Daten und Bedürfnisse auf. Danach stellen wir Projektanträge, um Gelder von internationalen Organisationen zu erhalten. Es gibt medizinische Bedürfnisse, schulische, wirtschaftliche und viele weitere. Wir versuchen Interessengruppen zu bilden und diese längerfristig zu unterstützen.

    Aaron schießt ein Selfie von sich und seinen Projektpartnern aus der Oku-Region. Die Oku-Region ist nur ein kleiner Teil des Krisengebiets. Trotzdem bilden sich lange Schlangen, wenn die Interviews anstehen. 
    Aaron schießt ein Selfie von sich und seinen Projektpartnern aus der Oku-Region. Die Oku-Region ist nur ein kleiner Teil des Krisengebiets. Trotzdem bilden sich lange Schlangen, wenn die Interviews anstehen.  Foto: Aaron Haas

    Das bedeutet, die Binnenvertriebenen bekommen erstmal kein Geld von euch?

    Haas: Nein, ich habe kein Geld dabei, was ich ihnen einfach geben könnte. Deshalb sagen wir das am Anfang der Interviews direkt, damit keine falschen Hoffnungen aufkommen. Unsere Mission ist es, die Menschen nachhaltig zu fördern. Wir haben schon knapp 1000 Binnenvertriebene identifiziert und mit ihnen Interviews geführt. Und jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir Projektanträge bei internationalen Organisationen stellen. Im weiteren Sinne des Projekts ist es auch geplant, Workshops zu machen und so beispielweise Unternehmertum zu fördern.

    "Die Separatisten haben es besonders auf Lehrer abgesehen, weil sie denken, die seien mit dem Regime verbündet."

    Aaron Haas, SOPISDEW

    Was erzählen dir die Menschen in den Interviews?

    Haas: Das kann man sich vorher gar nicht so vorstellen. Immer wieder geraten Binnenvertriebene zwischen die Fronten. Da kommt beispielsweise eine alleinerziehende Mutter, die ihren Mann verloren hat, weil er Lehrer war. Die Separatisten haben es besonders auf Lehrer abgesehen, weil sie denken, die seien mit dem Regime verbündet. Dabei ist der Mann der alleinerziehenden Frau eigentlich einfach nur ein normaler Lehrer gewesen, der unterrichten wollte. Nun haben die Separatisten ihn entführt und erschossen und das Haus der Mutter angezündet. Jetzt hat sie nichts mehr. Und dann sieht sie ihre letzte Möglichkeit darin, zu Verwandten zu flüchten. Da lebt sie dann zu neunt mit ihren Verwandten in einem Zimmer und hat überhaupt kein Einkommen. Sie würde zwar gerne ihrer Kinder zur Schule schicken, kann es aber gar nicht. Der Alltag wird dadurch bestimmt, erstmal Geld für Essen aufzutreiben.

    Das zu hören ist sicher nicht leicht, oder?

    Haas: Das ist schon echt hart aber motiviert dich auch nochmal mehr. Die Leute, mit denen wir gesprochen haben, sind ja alle Individuen mit Bedürfnissen. Viele haben Narben von Gewaltanwendungen. Manche haben Krankheiten wie Typhus oder HIV. Noch härter ist es aber, den Leuten zu sagen, dass es erstmal keine Soforthilfe gibt.

    Tah Kennette Konsum, Amelie Brockhaus, Aaron Haas, Tata Charity Yenlan und Alejandro Giribás (von links) engagieren sich bei der SOPISDEW.
    Tah Kennette Konsum, Amelie Brockhaus, Aaron Haas, Tata Charity Yenlan und Alejandro Giribás (von links) engagieren sich bei der SOPISDEW. Foto: Kengah Walter Bayoh

    Hast du das Gefühl, dass sich die Krise aktuell verschlimmert?

    Haas: Man kann auf jeden Fall sagen: Es sind in den letzten Jahren mehr Vertriebene geworden. 2018 waren es insgesamt 80.000 Binnenvertriebene und dieses Jahr waren es bis zu einer Million, also deutlich mehr. Besonders dramatisch ist, dass viele Kinder seit mehreren Jahren nicht mehr zur Schule gehen können, weil die Schulen geschlossen sind. Mit jedem weiteren Jahr, in dem sie nicht zur Schule gehen können, verschlimmert sich die Situation. Deshalb sind gerade Kinder und Jugendliche besonders von der Situation betroffen. Man spricht bei ihnen auch von einer "Verlorenen Generation."

    Hat die Schulbildung der Kinder also oberste Priorität bei den Projektanträgen?

    Haas: Unser erstes Projekt ist es, 100 Kinder zurück in die Schule zu bringen. Wir brauchen Geld, um die Schulgebühren zu bezahlen. Dafür schreiben wir aktuell auch die Projektanträge. Längerfristig wollen wir aber auch medizinische und psychologische Hilfe leisten. Auch nachhaltig Gründungen und Unternehmertum zu fördern, ist geplant. Das funktioniert natürlich alles nur mit Geld. Aktuell würden Spenden aber direkt für das Projekt, Kinder zurück in die Schule zu bringen, eingesetzt werden.

    Also versucht ihr auch, Menschen in Deutschland zum Spenden zu motivieren?

    Haas: Es ist natürlich toll wenn Leute spenden. Aber es ist auch cool und gut, wenn Leute einfach ein bisschen mehr Aufmerksamkeit auf diese Krise legen. 

    Die "SOPISDEW" (Society for the Promotion of Initiatives in Sustainable Development and Welfare) engagiert sich seit 2012 mit verschiedenen Projekten für die englischsprachige Zivilbevölkerung Kameruns. Weitere Informationen über die Arbeit der SOPISDEW finden sich unter: https://oku.sopisdew.org

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