Sie ist nun mal eine Liane, eine Kletterpflanze – und sprießt und schlingt deshalb gern. Armlang sind die Ranken der Mandevilla-Pflanzen, die auf Ebene eins in kleinen Töpfchen wachsen. Ranken von rechts, Ranken von links, Ranken, die sich ineinander verwickeln. Eine Regaletage tiefer blühen genau so viele Mandevillas – doch rankenlos. Und noch eins weiter unten, in Etage drei, gedeiht bei angenehmen 23 Grad Celsius die beliebte Zimmer- und Gartenpflanze ebenfalls rankenfrei.
Seit fünf Wochen stehen die neotropischen Zierpflanzen mit den trichterförmigen Blüten, die auch unter dem Namen Dipladenia bekannt sind, bei Hannes Seidel im neuen, speziell eingerichteten Raum. Und was der Biologe der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) jetzt schon sagen kann: Der Spektralbereich des Lichts macht extrem viel aus. Später im Garten oder auf dem Fensterbrett, da soll und darf Mandevilla ja gerne üppig ranken.
Solange die Pflanzen aber in den Anbauländern in Südeuropa beim Gärtner, beim Händler stehen und noch transportiert werden müssen, stören die langen Sprossen nur. So wie bei den Pflänzchen auf Ebene eins, wo das Licht von einer Beleuchtungsanlage kommt, wie sie im Gartenbau üblich und in Gewächshäusern gängig ist.

In den beiden Etagen darunter führt Hannes Seidel, der Biologe, die Licht-Regie: Er verändert mit Hilfe von LED-Systemen das Lichtspektrum, stellt die Pflanzen mal in dunkelrotes Licht, mischt mal blau, weiß und ultraviolett. Und beobachtet dann, wie sich die Mandevilla-Setzlinge unter den veränderten Lichtbedingungen strecken und strecken, wie sie blühen und wuchern – oder eben nicht.
Willkommen im neuen LED-Mehrlagen-Kulturraum der LWG. Ein Raum ohne Fenster, ohne Tageslicht, dafür mit einer computergesteuerten Beleuchtung mit moderner LED-Technik in den Regalen, bei der der Forscher die Spektren gezielt mischen kann. 140 000 Euro hat der Freistaat für den neuen Forschungsraum bereitgestellt. Von 2013 bis 2016 hatte das Landwirtschaftsministerium bereits ein LED-Forschungsprojekt an der Veitshöchheimer Landesanstalt und an der Hochschule Weihenstephen-Triesdorf mit 600 000 Euro finanziert. Jetzt gibt es noch einmal Geld, um zu erforschen, wie durch die Beleuchtungstechnik Pflanzenschutzmittel und Energie eingespart werden können.
Biologe Hannes Seidel kam 2017 nach Veitshöchheim und betreut als „Herr des Lichts“ das LED-Forschungsprojekt am Institut für Erwerbs- und Freizeitgartenbau. Neben der Mandevilla untersucht der 36-Jährige auch das Zusammenspiel von LED und Innenraumbegrünung oder testet „Indoor-Farming-Lösungen“ auf Praxistauglichkeit. „Unsere Gesellschaft verlangt zunehmend nach einer nachhaltigeren Produktion von Pflanzen ohne Rückstände von Pflanzenschutzmitteln“, sagte Seidel.
Leichter gesagt als getan. Bei der Mandevilla, die vor allem in Südeuropa gezogen wird, braucht es chemische Hemmstoffe, dass sie nicht rankt. Oder fleißige Hände, die die Ranken regelmäßig schneiden. Mit ihren trichterförmig oder stieltellerförmigen Blüten – mal leuchtend rot, mal weiß, mal rosa, mal zart apricotfarben – gehört die Mandevilla mit zu den beliebtesten Vertretern in unseren Gärten. Bis zu 20 Millionen Pflanzen wandern dafür laut LWG pro Jahr über die Ladentheken, alleine in Deutschland. Ein Grund, warum an der Landesanstalt die Versuchsreihe zur heimischen Kultur von Mandevilla läuft – und erste Blüten trägt.
Denn die Pflanze blüht nicht nur stark und intensiv. Sie ist schon bei der Kultivierung sehr wärme- und lichtbedürftig. Dafür zeigt sie dann Ausdauer, wenn's heiß wird: „Sie ist ein regelrechter Sonnenanbeter und kommt mit hohen Temperaturen, direkter Einstrahlung und sogar mit vorübergehenden Trockenphasen gut zurecht“, sagt Versuchsingenieur Seidel. Das Problem: Die Kultivierung der Pflanze vom Topfen bis in die deutschen Verkaufsregale dauert relativ lange. Rund 35 Wochen Aufzucht in Spanien und Italien über die Wintermonate haben die Pflanzen hinter sich, die im Frühling zum Verkaufsstart hier in den Handel kommen.

Lange Stehzeit aber heißt: viel Chemie. „Wenn sie hier ankommen, sind sie mit Pflanzenschutzmitteln voll“, sagt Hannes Seidel. Manchmal seien sie so voller Rückstände, dass die Gärtnereien mit biologischer Schädlingsbekämpfung nichts mehr ausrichten können. Im neuen Forschungsprojekt untersucht Seidel daher, ob und wie die Aufzucht der Mandevilla unter Glas auch in Bayern funktioniert – mit möglichst wenig Einsatz von Chemie. Dafür mit optimaler Beleuchtung.
„Licht ist nicht gleich Licht“, sagt der Pflanzenphysiologe. Neben der Helligkeit der Lichtquelle ist bei Pflanzen vor allem die Lichtqualität, also die spektrale Zusammensetzung entscheidend. In einem ersten Versuchsanbau im Winter belichtete Seidel bewurzelte Stecklinge 16 Stunden am Tag mit herkömmlichen Natriumhochdruckdampflampen – und mit LED-Lampen. Genauer: rot, blau und rot-blau gemischt.
„Die Blumen von morgen wachsen indoor.“
Hannes Seidel, Biologe und Projektbetreuer an der LWG in Veitshöchheim
Nach elf Wochen zeigte der Versuchsaufbau erste Ergebnisse – und deutliche Unterschiede. Während die Pflanzen unter der blauen Belichtung keine Ranken bildeten, wucherten bei den Jungpflanzen unter rotem Licht die Sprossen. Aber genau diese Peitschentriebe, mit denen sich die Mandevillas verhaken, sind im Produktionsgartenbau unerwünscht. Allerdings: Im blauen Licht bildeten Seidels Versuchspflanzen deutlich weniger Blüten. „Die einfache Mischung von Rot und Blau löst dieses Problem aber nicht.“
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In den Regalreihen neben den Mandevillas beobachtet Seidel gerade Basilikum: Seit drei Wochen steht das Königskraut auf drei Etagen in unterschiedlichem Licht im neuen Forschungsraum. Und auch hier: in kurzer Zeit deutliche Unterschiede. Auf einer Ebene sprießt die Gewürzpflanze hoch hinaus, in der anderen wächst sie eher dicht. Was Seidel vor allem interessiert: Wo gibt es am Ende die schönste Färbung, den stärksten Geschmack?
Und noch eine Regalreihe weiter wird vor allem der Duft eine Rolle spielen. Hier beleuchtet Seidel seit zwei Wochen Rosen: „Eine energieintensive Kultur, die Rosen mögen es warm und hell“, sagt der Biologe. „Wie bekomme ich sie richtig schön duftend?“ Im Gewächshaus der Landesanstalt kultiviert er von allen drei Pflanzenarten zum Vergleich Setzlinge parallel. „Die sehen deutlich anders aus.“

Dass der Mehrlagen-Kulturraum vom Tageslicht und der Außenwelt abgeschottet ist, sei ein Vorteil: „Hier kann man das ganze Jahr über hygienischer arbeiten, hier herrscht viel weniger Schädlingsgefahr.“ Seidel sagt: „Die Blumen von morgen wachsen indoor.“ Noch gebe es über das Vertical Farming im abgeschlossenen Raum – bislang vor allem für Salat und Kräuter genutzt – in Sachen Zierpflanzen viel zu wenig Wissen, viel zu wenig Daten. Aber dass man damit Pestizide, Wasser, Heizenergie und Fläche sparen kann – das versprechen sich die Gartenbau-Fachleute zumindest davon. Wasser wird im abgeschlossenen Raum aus der Luft zurückgewonnen, besser gedämmt als ein Gewächshaus ist er auch. „Und durch die Verwendung von energiesparenden LEDs ohne Strahlungswärme wird dann eine Mehrlagenkultur, die effizient ist, möglich“, sagt Seidel.
Dass die LED-Technik mit den verschiedenen Lichtspektren die Lichtbedürfnisse der Pflanzen besser befriedigt als die bisherigen Natriumhochdruckdampflampen im Gewächshaus – für Seidel keine Frage mehr. Was die Sache knifflig macht: „Das optimale Lichtspektrum kann sich zwischen Arten und sogar zwischen Sorten stark unterscheiden.“ Was für die Mandevilla gilt, muss für Schnittblumen nichts heißen. Das Lichtspektrum, das die Rosen gerne mögen, lässt Petunien vielleicht verkümmern und macht das Basilikum womöglich fad und geschmacklos.
Beim Tag der offenen Tür am Sonntag, 7. Juli, an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim, An der Steige 15, kann man den neuen Kulturraum besichtigen und sich die LED-Technik erklären lassen: Führungen gibt es um 11 und 14 Uhr.
LED-Einsatz bei Pflanzen und der neue Kulturraum der LWGLEDs sind „Licht emittierende Dioden“, die weitestgehend monochromatisches Licht erzeugen können. Es zeichnet sich durch die Emission von Wellenlängen eines begrenzten Spektralbereichs aus und erscheint so in einer bestimmten Farbe. Folien und Filter, die eine bestimmte Lichtfarbe erzeugen, sind weniger geeignet, um gezielt auf Fotorezeptoren der Pflanzen einzuwirken. Dieses Licht erscheint uns zwar in einer bestimmten Farbe, hat aber ein breites Lichtspektrum. Der Mehrlagen-Kulturraum der Landesanstalt LWG hat neun mobile Regale mit je drei LED-Ebenen, einer zentralen Bewässerungseinheit mit 1000 Liter Tankvolumen und eine Steuerung und Überwachung. Die Regale können mit zwei oder drei Ebenen betrieben werden. Die Zusammensetzung des Lichtspektrums und die Lichtintensität sowie die Bewässerung kann für jede Ebene einzeln gesteuert werden. Alle LEDs haben mehrere Kanäle (UV, Blau, Rot, Dunkelrot, sonnenähnliches Weiß). Das Sonnenlicht mit seinen vielen Spektralfarben kann damit annähernd nachgebildet werden. Die maximale Lichtleistung entspricht einer halben Sommersonne in Veitshöchheim. Pflanzen nehmen Licht durch Farbpigmente und über Fotorezeptoren wahr. Durch die Belichtung mit bestimmten Spektralbereichen kann man Einfluss auf das Wachstum, die Blütenbildung, die Konzentration sekundärer Inhaltsstoffe und auch auf die Pflanzengesundheit nehmen. Der Stoffwechsel wird angeregt – oder gehemmt. Auch der Zeitpunkt der Belichtung spielt eine Rolle und kann unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Die Herausforderung bei der Entwicklung von Belichtungsstrategien: nicht alle Pflanzenarten oder sogar Sorten reagieren auf die jeweilige Belichtung gleich.