Immer wenn Würzburgs Kämmerer Robert Scheller dieses mit zahlreichen Abbildungen und Schmuckelementen verzierte Steintor passieren muss, kann er sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen: Da schaufelt doch tatsächlich ein Mann – es soll einer von Schellers Vorgängern im Amt oder sogar der Bürgermeister sein – einem Drachen mit einer großen Schippe Geld in den Rachen! Hinter ihm stehen Bürger, die dem gefräßigen Tier auch noch allerlei Dinge zum Verschlingen anbieten. „Der Drache, eine Allegorie auf die Stadt, scheint wohl unersättlich zu sein und sich nicht einfach nur mit Geld zufriedenzugeben“, deutet der Kämmerer das dargestellte Geschehen.
Dem von Berufs wegen sparsamen Scheller behagt eine solche Darstellung freilich gar nicht. Wobei er sie andererseits irgendwie nachvollziehen kann, vor allem, wenn der Drache eine Allegorie auf die Stadt sein soll: „Man hat schon manchmal das Gefühl, dass die Stadt unersättlich ist. Auch wenn viel Geld da ist, reicht es manchmal trotzdem nicht, weil der Bedarf einfach so hoch ist.“
Wo heute das Bürgerbüro ist, war früher die Stadtkasse
Alle Bedürfnisse zu befriedigen und dann noch ausreichend Rücklagen zu bilden, das ist der tägliche Balanceakt des Finanzdezernenten: den Drachen zufriedenzustellen, ohne den Stadtsäckel zu weit zu öffnen. Würde sich der Torbogen am Eingang zum Finanzreferat befinden, wäre das ein durchaus nachvollziehbarer Standort und könnte als tägliche Erinnerung an diese nicht ganz einfache Aufgabe und gleichermaßen als mahnender Zeigefinger verstanden werden.

Doch das Tor steht nicht in der Nähe von Schellers Amtszimmer, sondern am Durchgang zum Bürgerbüro. Was hat es dort zu suchen? Soll es die Besucher vielleicht zu besonderer Sparsamkeit ermuntern? „Nein“, lacht Scheller. „Der Standort ist historisch bedingt. Bis 2007 befand sich dort, wo jetzt das Bürgerbüro ist, die Stadtkasse.“ Und im Gegensatz zu heute habe es dort auch viel Zahlungsverkehr mit Bargeld gegeben: „Die ganzen Einzahlungen erfolgten früher in bar, die Menschen haben hier ihre Steuern beglichen.“
Eine durchaus selbstironische Darstellung also, besonders hinsichtlich der Steuern, denn auch die Bürger mussten mit dem, was sie dem gefräßigen Drachen in den Rachen warfen, dazu beitragen, dass er satt wird und zufrieden ist. Und in gewissem Sinne gilt das ja auch noch heute – denn wer zahlt schon gerne Steuern!
Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.