Nina ist 15 Jahre, als sie sich in den 17-jährigen David verliebt. Die beiden schicken sich immer wieder Nachrichten über WhatsApp – auch Fotos. Irgendwann schreibt er: „Ich will mehr von dir sehen.“ Sie zieht das T-Shirt aus, posiert im BH vor der Kamera, später zeigt sie sich auch nackt. Die Fotos sendet sie weiter an Davids Handy. Als es mit der Liebe vorbei ist, verschickt der Junge die pikanten Bilder an Freunde und Mitschüler. Als Nina eines Tages zur Schule kommt, tuscheln die Mitschüler. Sie fragt sich, was los ist. Dann erfährt sie den Grund: Ihr Exfreund hat die Fotos weiterverschickt. Nun hat die ganze Schule das Mädchen nackt gesehen.
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Fälle wie diesen haben die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Wildwasser in Würzburg schon häufiger gehört. Heranwachsende zeigen sich freizügig und verschicken intime, erotische Selfies. Zunächst versenden sie die Fotos meist freiwillig – ohne mögliche Folgen und Gefahren zu bedenken. Sexting heißt dieser Trend, der seit einigen Jahren unter Jugendlichen verbreitet ist.
Das Wort Sexting setzt sich aus „Sex“ und „Texting“ zusammen und beschreibt das Versenden von erotischen Fotos oder Videos per Computer oder Smartphone. Erleichtert wird das Ganze durch sogenannte Messenger-Apps wie WhatsApp, Tinder oder Snapchat. Laut der Basisstudie „Jugend, Information, (Multi-) Media“ (JIM) aus dem Jahr 2014 haben 94 Prozent der Nutzer von internetfähigen Handys WhatsApp installiert. Mit diesem Messenger kann man Nachrichten und Bilder austauschen, ohne dafür wie bei einer SMS zu zahlen. Man kann dort auch Adressatengruppen bilden, dann werden die Bilder an mehrere Empfänger gesendet.
„Jugendliche sehen Sexting oft als digitalen Liebesbeweis“, erklärt Elisabeth Kirchner, Beraterin bei Wildwasser in Würzburg. In die Beratungsstelle kommen immer wieder Heranwachsende, die ihre Intimität in die digitale Welt übertragen – und es später bitter bereuen. Nicht selten werden sie später bedroht oder mit den Nacktfotos erpresst. Ein Vortrag zum Thema Online-Gewalt am Dienstag, 20. Oktober, soll auf die Problematik aufmerksam machen. Bezugspersonen sollen erfahren, welche Erscheinungsformen es gibt, mit welchen Schritten sie Betroffene unterstützen können und welche präventiven Maßnahmen in der Schule, in der Jugendarbeit und im Elternhaus ergriffen werden können.
Wie hoch die Zahl der Jugendlichen in Deutschland ist, die aktiv erotische Fotos und Videos versenden, ist bislang unbekannt. Einer Untersuchung der Drexel University in Philadelphia (USA) zufolge hat jeder vierte Jugendliche Sexting bereits ausprobiert. „Ein großes Problem dabei ist, dass sich Teenies oft nicht bewusst machen, was mit den Bildern passieren kann“, erklärt Kirchner. „Die Jugendlichen haben oft keine Vorstellung davon, wie schnell sich solche Bilder im Internet verbreiten“, sagt Kirchner. „Von der Wirkung her ist es so, wie wenn sie öffentlich an der Pinnwand der Schule hingen.“
Warum sie das tun, hängt stark mit der jugendlichen Sorglosigkeit, dem Berauschtsein von der ersten Liebe und mit Neugierde zusammen. „Ein anderer Beweggrund für Sexting sind Mutproben und Gruppenzwang“, weiß Karola Herbert, Fachbereich Frauen bei den Oberzeller Franziskanerinnen. Das Muster ist immer ähnlich: Mal ist es der Verflossene, der die Fotos der Exfreundin rumschickt – etwa aus Rache, weil sie ihn verlassen hat. Mal will sich der Junge in seinem Freundeskreis mit den Nacktbildern eines Mädchens brüsten und stellt sie in Netz.
Für Eltern ist das Thema Sexting oft fremd und schwer nachzuvollziehen. Denn sie sind oft selbst nicht mit den digitalen Medien und den Möglichkeiten, die sie mit sich bringen, aufgewachsen. „Es ist wichtig, das Thema Sexting offen anzusprechen“, rät Elisabeth Kirchner den Eltern. Und zwar dann, wenn Kinder ein Smartphone bekommen. „Eltern sollten sich darüber hinaus mit anderen Eltern austauschen und eine eigene Haltung entwickeln, die eine wichtige Grundlage für die Medienerziehung in der Familie darstellt“, rät die Medienexpertin Michaela Brauburger. Mit Datensparsamkeit von Anfang an lässt sich viel Ärger ersparen.
„Jugendliche sehen Sexting oft als digitalen Liebesbeweis.“
Elisabeth Kirchner, Wildwasser Würzburg
Die Folgen von Sexting können für die Jugendlichen dramatisch sein: Angststörungen, Vertrauensprobleme, Schulangst. „Manche Kinder wollen das Haus nicht mehr verlassen oder würden am liebsten die Schule wechseln“, weiß Herbert. Zur Risikogruppe gehören Kinder und Heranwachsende, die sich nach mehr Anerkennung sehnen. Dabei spielt die Bildung keine Rolle: „Sexting kann Jugendliche vom Gymnasium bis zur Förderschule betreffen.“
Wie oft in Deutschland solche Fotos ohne Einverständnis weitergeleitet werden, ist nicht bekannt. Aus dem Bundeskriminalamt heißt es dazu, Sexting werde in der Statistik nicht gesondert erfasst. Doch wer Nacktaufnahmen von Jugendlichen sammelt und weiterverbreitet, kann sich strafbar machen. So kann der Versand und der Besitz pornografischer Aufnahmen ab Vollendung des 14. Lebensjahres strafrechtlich verfolgt werden, gerade wenn es sich um kinder- und jugendpornografische Darstellungen handelt. Fehlt bei verschickten Bildern an Dritte die Einwilligung der abgebildeten Person, bedeutet das eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Was können Eltern tun, wenn ihr Kind Opfer von Cybermobbing geworden ist? „Es ist wichtig, die Jugendlichen ernstzunehmen und aufzufangen“, sagt Kirchner. Auch rät sie den Eltern, ein Gespräch mit dem Täter zu suchen und falls nötig mit Konsequenzen zu drohen. „Nötigung und Erpressung sind in jedem Fall strafbar.“
Auch Schulen und Bildungsministerien müssen handeln, denkt Medienexpertin Michaela Brauburger. Sie schlägt vor, schon in der Schulordnung wichtige Vereinbarungen zum respektvollen Umgang miteinander zu treffen. Neue Medien sollten in vielen Fächern unterrichtet und diskutiert werden. „Niedrigschwellige Angebote, wie zum Beispiel ein Kummerkasten, erleichtern es von Mobbing betroffenen Kindern oder Zeugen, frühzeitig über Probleme zu reden.“
Vortrag Cybermobbing
„Online-Gewalt ist reale Gewalt – Erscheinungsformen – Intervention – Prävention“ heißt der Vortrag von Michaela D. Brauburger am Dienstag, 20. Oktober, um 19 Uhr im Felix-Fechenbach-Haus, Gutenbergstraße 11, in Würzburg. Veranstalter ist die Kooperation „Hilfen für Frauen in Not“, bestehend aus dem Fachbereich Frauen des SKF, dem Psychologischen Beratungsdienst der Stadt Würzburg und Wildwasser Würzburg.
Die Medienpädagogin Michaela D. Brauburger arbeitet als freie Referentin für klicksafe.de, die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz, sowie für das Projekt medienscouts.rlp im Rahmen des rheinland-pfälzischen Landesprogramms „Medienkompetenz macht Schule“.
Kinder und Jugendliche kommunizieren vorwiegend mit Smartphones und Apps. Texte, Bilder und Videos werden produziert und geteilt – die Inhalte sind nicht immer unbedenklich. Cybermobbing und Sexting – die Verbreitung von eigenem pornografischen Bildmaterial – sind weitverbreitete Phänomene. Betroffene werden Ziel von Verleumdung, Bedrohung, Bloßstellung und sexualisierter Gewalt. Die verletzenden Inhalte verbreiten sich rasend schnell und sind für immer im Netz.
Im Vortrag erfahren die Teilnehmer, was sie als Bezugsperson wissen sollten über die Erscheinungsformen von Online-Gewalt, wie sie Betroffene unterstützen können und welche präventiven Maßnahmen im Elternhaus, in der Schule und in der Jugendarbeit ergriffen werden können.