Lange galt Adolf Eichmann, Mitorganisator des Holocaust, als Prototyp des deutschen Beamten - bieder, pflichtbewusst, zuverlässig und loyal bis zur Selbstverleugnung. Damit lieferte der unscheinbare Mann mit der schwarzen Hornbrille, wie ihn die Welt auf den Fotos bei seinem Prozess in Jerusalem kennenlernte, auch die bequeme Ausrede für ein ganzes Volk: Wir konnten ja nichts machen, sonst wären wir selbst umgebracht worden.
Ein Bild, das nicht zuletzt auf Eichmanns Verteidigungsstrategie beruhte, die ihn freilich nicht vor Todesurteil und Hinrichtung 1962 bewahrte. Der Monolog "Bald ruh' ich wohl - Eichmanns letzte Nacht" des Berliner Autors Andreas Gruhn basiert zu weiten Teilen auf Originalzitaten und zeigt einen anderen Eichmann. Einen Täter, der sich als nicht zuständig für das Leid seiner Opfer erklärt, und sich im Gegenzug selbst zum Opfer stilisiert: "Ich wurde missbraucht."
Eichmann ist der Herrenmensch nur noch in Momenten der Unachtsamkeit anzumerken
Der Schauspieler und Regisseur Kai Christian Moritz hat den 90-minütigen Monolog am Freitag und Samstag in einer Koproduktion mit der Würzburger Domschule im Chambinzky-Hafentheater aufgeführt.
Es ist fast gruselig, wie er in den Körper dieses peniblen, egozentrischen, selbstmitleidigen Mannes schlüpft, den die Philosophin Hannah Arendt, die den Prozess mitverfolgte, einen "Hanswurst" nannte. Moritz zeigt einen Eichmann, dem der Herrenmensch nur noch in Momenten der Unachtsamkeit anzumerken ist. Dem die Selbstdarstellung als willenloses Rädchen im Getriebe fast schon zur zweiten Natur geworden ist. Und den doch etwas beunruhigend Lauerndes umgibt.

Eichmann verbringt die Nacht vor seiner Hinrichtung damit, seinem "Veralein" einen letzten Brief zu schreiben, in dem er deren Gehorsam als Ehefrau lobt, vor allem aber zu immer neuen Selbstrechtfertigungen ansetzt: "Ich war nie ein Judenhasser" - "An meinen Händen klebt kein Blut" - "Ich habe nie einem Menschen auch nur ein Haar gekrümmt".
Eichmann selbst erteilte jede Menge Befehle, die keinen Widerspruch duldeten
Einen Eid habe er geschworen und lediglich Befehle ausgeführt: "Wenn der Betreffende nicht gehorcht, kommt er vors Kriegsgericht. Gehorcht er und hat er einem falschen Befehl Folge geleistet, muss der Befehlsgeber zur Rechenschaft gezogen werden."
Schuld sind immer andere. Dass Eichmann selbst jede Menge Befehle erteilte, die keinen Widerspruch duldeten, das erfährt das Publikum in gefilmten Rückblenden. So macht er am Telefon einen SS-Untergebenen in Paris zur Schnecke, weil dieser einen Transport hatte ausfallen lassen: "Ausgesprochen blamabel, die ganze Angelegenheit."

Eichmann unterbricht das Schreiben immer wieder, um zwanghaft den Boden der schäbigen Zelle oder die Schuhe zu wienern, die er zu seiner Hinrichtung tragen will. Währenddessen summt er Schuberts "Winterreise" oder faselt Weisheiten wie "Nichts fördert die Herzensbildung so wie die Musik", als wollte er sich auf den alten - und falschen - Kalenderspruch "Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder" berufen.
Man könnte fast Mitgefühl für diesen Menschen entwickeln, wären da nicht die Brüche: die cholerischen Anfälle wegen Nichtigkeiten wie einer Falte im Hemd, das Aufflackern alter Geltungssucht, der gespenstische Mangel an Empathie. An der Ungeheuerlichkeit der "Endlösung" stört ihn die anfängliche Ineffizienz, nicht deren unfassbare Grausamkeit.
"Bald ruh ich wohl" zeigt nicht, wie autoritäre Systeme Menschen gegen deren Willen missbrauchen. Sondern wie sie Menschen mit pauschalen Feindbildern und der Aussicht auf Anerkennung und Karriere zu Überzeugungstätern machen. Und das ist höchst beunruhigend.