Um seinen inneren Druck zu lösen und „wieder klar im Kopf zu werden“ ist ein 23 Jahre alter Mann aus Estenfeld nach eigenen Worten im vergangenen Jahr zum Brandstifter geworden: Zwischen dem 20. Februar und dem 3. April 2018 schlug er fünfmal zu und sorgte für Unruhe und Angst in der Gemeinde. Seit Mittwoch sitzt er deshalb vor dem Würzburger Landgericht auf der Anklagebank.
Der Angeklagte hatte die Kontrolle über sein Leben verloren
Die Estenfelder Brandserie begann vor fast genau einem Jahr mit einem Feuer in der historischen Kartause. „Ich hatte keine Kontrolle über mein Leben, daher wollte ich ein kleines Feuer machen, das ich kontrollieren kann“, gab der 23-Jährige im Prozess vor der 1. Strafkammer zu Protokoll. Er ist seit Jahren Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und hat sich auch bei jedem der fünf Brände an den Lösch- und Aufräumungsarbeiten beteiligt – das sei aber nicht der Grund für seine Taten gewesen: „Ich habe das nicht aus Faszination für Feuer getan oder um Einsätze fahren zu können“, betonte er auf Nachfrage des Gerichts.
„Ich habe das nicht aus Faszination für Feuer getan oder um Einsätze fahren zu können.“
Aussage des Angeklagten in der Verhandlung
Hans-Peter Volz, Ärztlicher Direktor der Psychiatrie Schloss Werneck, hat den Angeklagten begutachtet und bestätigte dessen Aussage: Der Mann sei weder ein Pyromane noch bei den Taten in seiner Schuldfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen. Das Motiv für die Taten stecke in der damaligen Lebenssituation: Kein Job, aber Schulden im hohen fünfstelligen Bereich und dadurch ständig Streitigkeiten mit seiner Ehefrau.
Gutachter attestiert posttraumatische Belastungsstörung
Fest steht auch, dass bei dem jungen Mann eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, durch die er vor einigen Jahren bei der Bundeswehr dienstuntauglich geschrieben wurde. Hintergrund ist der Suizid seiner Mutter, für den er sich verantwortlich macht. Der 23-Jährige hat sich schon in der Schule als Mobbingopfer gefühlt und „ringt um soziale Anerkennung“, erläuterte Volz. Das Gefühl der sozialen Isolation war auch einer der Gründe für den Angeklagten, sich bei der Feuerwehr, den Maltesern oder den Johannitern ehrenamtlich zu engagieren.
Als dann im Frühjahr vergangenen Jahres die Briefe der Gläubiger ins Haus kamen und das Geld nicht einmal reichte, um die Stromrechnung zu bezahlen, zog der junge Familienvater nachts mit Grillanzündern in der Tasche los, um „Druck abzubauen und die Erleichterung zu spüren“. Beim ersten Mal legte er an mehreren Stellen Feuer in der historischen Kartause Estenfeld, wo er zusammen mit dem Bauhof der Gemeinde am Tag zuvor erst gearbeitet hatte – er hatte eine Geldstrafe wegen Diebstahls in Sozialstunden umwandeln lassen. Als das Feuer außer Kontrolle geriet, flüchtete er zunächst nach Hause, reagierte aber dann auf den Feueralarm und half beim Löschen – „aus schlechtem Gewissen und weil ich einen höheren Schaden verhindern wollte.“
Die Brandstiftungen endeten, als der 23-Jährige wieder Arbeit fand
Mehr oder weniger nach demselben Muster liefen auch die vier Taten an den anderen Brandorten ab: der Dachstuhl einer Scheune auf dem Grundstück seiner ehemaligen Vermieterin, ein Gartenhaus, ein Holzschuppen und eine Gartenhütte, an deren Bau er zusammen mit einer Gruppe von Freunden selbst beteiligt gewesen war. „Die wollte ich nur ein bisschen ankokeln und dann beim Aufbau helfen, damit ich wieder dazu gehöre“, sagte der Angeklagte. Doch auch dieses Feuer geriet außer Kontrolle und zerstörte die Hütte komplett. „Das hat mich ziemlich erschreckt“, so der Angeklagte, der danach keine weitere Brände mehr legte – unter anderem auch deshalb, weil er eine Teilzeit-Beschäftigung beim Sanitätsdienst auf der Landesgartenschau fand und wieder Geld verdiente – bis er Anfang August im Rahmen der Ermittlungen zum wiederholten Mal befragt wurde und ein Geständnis ablegte.
Bei den Geschädigten – darunter auch Estenfelds Bürgermeisterin Rosi Schraud, die den materiellen Schaden an der Kartause auf 10 500 Euro bezifferte – entschuldigte er sich vor Gericht per Handschlag. Teile eines Entschuldigungsschreibens wurden bereits kurz vor Weihnachten im Mitteilungsblatt der Gemeinde veröffentlicht.
In der JVA wurde der 23-Jährige zum Polizei-Informanten
Trotz Geständnis und Reue kann der Prozess noch nicht zum Abschluss gebracht werden: Der Angeklagte berichtete vor Gericht, wie er in der JVA Würzburg mit dem Handy eines Mithäftlings erwischt und anschließend von einem Kripo-Beamten überredet wurde, Informationen über Handy- und Drogenschmuggel in der JVA zu liefern. Als er als Polizei-Informant aufflog, wurde er nach eigenen Worten von Mithäftlingen in Würzburg und nach seiner Verlegung auch in der JVA Schweinfurt mehrmals brutal misshandelt und sitzt inzwischen zu seinem Schutz in einer Einzelzelle. Weil sich dieses Martyrium positiv auf das Strafmaß auswirken kann, will sein Verteidiger Peter Möckesch das Geschehen genau aufgeklärt haben: Am 27. Februar sollen deshalb mehrere Zeugen aus der JVA und von der Kripo als Zeugen vor der Strafkammer erscheinen.