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Würzburg: Wo Schule nie Frust bedeutet

Würzburg

Wo Schule nie Frust bedeutet

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    In der Fahrradwerkstatt des Projekts "Roven" lernen Chiara (links) und Miriam bei Projektleiter Chris Frank, Fahrräder zu reparieren.
    In der Fahrradwerkstatt des Projekts "Roven" lernen Chiara (links) und Miriam bei Projektleiter Chris Frank, Fahrräder zu reparieren. Foto: Pat Christ

    Wer die beiden jungen Frauen sieht, die gerade mit Chris Frank vom Würzburger Projekt "Roven" Fahrräder reparieren, ahnt nicht, was sie alles durchgemacht haben. Miriam und Chiara (Namen geändert) wirken wie zwei ganz normale Teenager. Doch beiden war es aufgrund psychischer Probleme irgendwann nicht mehr möglich, die Schule zu besuchen. Deshalb wurden sie in das 2009 gegründete Projekt "Roven" für Schulverweigerer aufgenommen.

    An ihren ersten "Roven"-Tag Ende Januar 2018 kann sich Chiara noch gut erinnern. Sie hatte Angst. Doch dann stellte sie fest, dass es bei "Roven" anders zugeht als in der Schule: "Der Tag beginnt zum Beispiel damit, dass wir zusammen frühstücken." Im anschließenden Unterricht nimmt sie derzeit den Stoff für den Quali durch. Wobei Chiara nicht zum Lernen gezwungen wird, wenn es ihr nicht gut geht. "Manchmal ist es besser, dass wir, statt zu lernen, gemeinsam einen Spaziergang machen", sagt Chris Frank, der das Schulverweigerer-Projekt leitet.

    "Roven" steht für "Ressourcen", "Organisation", "Visionen", "Ermutigung" und "Netzwerk". Robert Baden-Powell, Gründer der Pfadfinderbewegung, hatte dieses Konzept initiiert. Der Reformpädagoge erkannte, dass Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen einen "Ausstieg auf Zeit" benötigen, um neue Impulse für ihre Entwicklung zu erhalten.

    Der Gang in die Schule war eine Qual   

    Für Chiara war der morgendliche Gang in die Schule monatelang eine Qual gewesen. "Mir wurde immer schrecklich übel", erzählt die 16-Jährige. Sie schlief zunehmend schlechter: "Manchmal lag ich bis fünf Uhr morgens wach." Bei ihr steigerten sich die Ängste so sehr, dass Chiara 2016 in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen wurde. 20 Wochen wurde sie stationär behandelt. Bis heute ist es ihr unerklärlich, was die massiven Ängste ausgelöst hat.

    "Ich habe von zu Hause nie Druck bekommen", sagt sie. Selbst schlechtere Noten waren kein Drama. Dennoch kamen die Ängste auf. Warum? Auch "Roven"-Lehrerin Anke Ottma kann Chiaras Frage nicht beantworten. "Es ist aber auch nicht unsere Aufgabe, zu therapieren oder Ursachenforschung zu betreiben", sagt sie. Das "Roven"-Team versucht hingegen pädagogisch alles, damit es den Jugendlichen wieder besser geht.

    Miriam kam im Herbst 2017 zu "Roven". Davor hatte auch sie sich monatelang in der Schule gequält. "Früher war ich eine gute Schülerin gewesen", erzählt sie. Doch irgendwann passierte auch bei ihr etwas, was Miriam bis heute nicht versteht: "Ich wurde in der Klasse plötzlich schrecklich nervös, und weil ich so nervös war, begann mein Bauch Geräusche zu machen." Das war der Jugendlichen extrem peinlich. Sie hatte Angst, dass andere ihr Bauchgluckern hören und darüber lachen könnten: "Ich konnte an nichts anders mehr denken." Die Ängste steigerten sich in einem Maße, dass sie irgendwann zitternd vor dem Klassenzimmer stand und nicht mehr einzutreten wagte.

    Wieder Selbstvertrauen gewinnen 

    "Roven" bedeutet für Jugendliche wie Miriam und Chiara eine einmalige Chance. Rund 450 Schüler aus Kitzingen, Main-Spessart und Würzburg zwischen 12 und 18 Jahren durchliefen die Maßnahme bisher. Fast 70 Prozent gingen danach wieder in eine reguläre Schule, schafften bei "Roven" den Schulabschluss oder sie mündeten in die berufliche Bildung. Vor allem aber gewannen die Teilnehmer wieder Selbstvertrauen.

    Zum Inhalt des Programms gehört explizit die Förderung sozialer Kompetenzen. Bei der 17-jährigen Miriam, die große Angst hatte, vor anderen zu reden, kamen die "Roven"-Mitarbeiter zum Beispiel auf die Idee, das Mädchen vor einer Gruppe, die mit geschlossenen Augen vor ihr sitzt, referieren zu lassen. Plötzlich verlor Miriam ihre Angst. Noch eine weitere Übung half ihr: "Wir saßen zu viert zusammen und sollten fünf Minuten lang über unseren Lieblingssänger reden." Miriam schaffte es, ihre Scheu zu überwinden, und den anderen drei von ihrem aktuellen Star vorzuschwärmen.

    Große Bedeutung für weiteren Lebensweg

    Was Miriam bei "Roven" lernt, ist von großer Bedeutung für ihren weiteren Lebensweg. Im Juli wird die 17-Jährige mit großer Wahrscheinlichkeit im zweiten Anlauf ihren Quali schaffen. Danach möchte sie in eine Kinderpflegeschule gehen. Was heißt, sich wieder auf völlig fremde Menschen einzulassen. Im Moment traut sich Miriam das zu: "Meine Ängste sind noch nicht weg, aber ich kann besser mit ihnen umgehen."

    Für die Zukunft plant "Roven"-Initiator Harald Ebert, Leiter der Würzburger Don Bosco-Förderberufsschule, das Projekt durch eine stärkere Einbindung der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu erweitern. Fast alle Jugendlichen, die an "Roven" teilnehmen, sind psychisch belastet. Eine bessere Vernetzung zwischen Jugendpsychiatrie, Schule und Jugendhilfe wäre Ebert zufolge wichtig, um die Schüler besser aufzufangen und um ihnen noch früher zu helfen. 

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