Ein Zungenschnalzen perlt in den Saal, leicht elektronisch verfremdet. Die Sitze im Felix-Fechenbach-Haus sind recht ordentlich gefüllt, es ist Sonntag, der zweite Festivaltag hat vor einer halben Stunde begonnen. Und es herrscht gebannte Stille. Was wird die Sängerin Simin Tander im nächsten Augenblick äußern?
In dieser Kunstpause ist allen nur eins klar: Mit den eben verhallten Tönen ist die Improvisation noch nicht vorbei. Die Zuhörer wissen, dass Beifall erst später angesagt ist. Dimitar Bodurov an Klavier und Laptop und Jens Dueppe am Schlagzeug lassen sich von der Vokalistin ebenfalls überraschen. Vor dem Würzburger Konzert haben die drei nur ein einziges Mal zusammen musiziert. „Probe“ nennt Dueppe das in seiner Ansage.
Die Ernte dieser „Probe“ schenkte den Gästen des 31. Jazzfestivals Bühnenmomente von sehr seltener Magie, die sich nur zu einem geringen Teil Simin Tanders Rückgriff auf ihre afghanischen Wurzeln verdankte; mit dem Ethno-Bonus lässt sich ja immer leicht punkten – hier spielten Versenkung, Konzentration und Können ebenso große Rollen.
Und die Macht der Wiederholung. Mit seinen repetitiven Mustern schloss das Instrumentalduo Neofobic im Trio mit der Tander glatt an die Schweizer Band Ronin an, die Stars des vorigen Jahres. Mystische Avantgarde in Endlosschleifen, das ist also state of the art im Jazz, vielleicht gar die Zukunft des Genres, zumindest ein wichtiges Standbein der Gegenwart.
So klärt das Würzburger Festival über den Stand einer ganzen Musikrichtung auf, jedenfalls die Hörer, die die Konzertreihe der Jazzinitiative über mehrere Jahre verfolgen. Das tun tatsächlich viele. Ein Stammpublikum prägt die Atmosphäre in der umgenutzten Montagehalle im Stadtteil Grombühl.
Auswärtige Besucher wundern sich, dass hier außer dem Jazzfestival kaum Kulturveranstaltungen stattfinden. Am Ausschank, wo Initiatoren, Musiker und Neugierige locker miteinander ins Gespräch kommen, wird spekuliert: Wenn eine Location nicht mehr angesagt ist beim jüngeren Publikum – wie kann man es für solch ein Festival erwärmen?
Vielleicht mit dem Brutalo-Rock der Schlussband KUU! aus zwei Gitarristen, Drums und wieder einer Sängerin, Nastja Volokitina, die ihrer Kollegin vom frühen Abend eine grelle Extrovertiertheit entgegensetzt. Zwischen diese beiden unberechenbaren Sonntags-Formationen hatten die Festplaner eine Band gesetzt, die das lieferte, was man gemeinhin unter Jazz versteht, Bebop im modernen Ausgehkleid einer Hammond-Orgel, virtuos bedient vom in Würzburg studierten Andi Kissenbeck. Sein Gitarrist Torsten Goods spielt vor allem für die Gitarristen und Harmonielehrer im Publikum. Weniger ist mehr: Der Saxophonist Peter Weniger und Schlagzeuger Guido May erinnern immer wieder an die unversiegbaren Kraftquellen der Tradition.
Der Samstagabend folgte einer ebenso originellen Dramaturgie: Nach dem 23-köpfigen Bamesreiter-Schwartz-Orchester kam ein Septett, anschließend waren's sogar nur noch drei auf der Bühne.
Das Würzburger Sax-Gitarre-Drums-Trio Dedicated to Rafael hatte eine Auftragskomposition im Repertoire: viele ungerade Taktarten miteinander verbinden. Ähnliche Knobel-Aufgaben schienen weitere Komposition angeregt zu haben. Mit erfrischender Spielfreude meisterten die Instrumentalisten diesen kopfigen Ansatz.
Der gleichfalls heimische Saxophonist Gerhard Schäfer hatte sich vorgenommen, Renaissance, Orient und Jazz miteinander zu befreunden. Dafür suchte er ein hervorragendes Septett zusammen. So stand die Tonkunst eine Stunde lang im Dienste der Schönheit. Das Projekt „Early Music 2 p.m.“ rief Schäfer eigens für dieses Festival zusammen. Es sollte weiterleben.