Im weißen Kittel steht ein gedrungener Mann im März 1944 auf dem oberen Markt, vor sich die Staffelei, neben und hinter sich neugierige Passanten. Karl Walther ist einer der bekanntesten Städtemaler Deutschlands, und Würzburg, das er von einem ersten Arbeitsbesuch im Jahr 1930 bereits kennt, ist ein besonders lohnendes Motiv.
Während der 38-Jährige Marienkapelle und Falkenhaus auf die Leinwand bringt, raunt ihm ein alter Mann zu, er solle Würzburg schnell noch malen, „bevor sie alles kaputt schlagen“. Viele deutsche Städte sind zu diesem Zeitpunkt schon bombardiert worden – nicht jedoch diese, das „nach Norden verirrte Florenz“, wie der französische Schriftsteller Paul Claudel nicht zu Unrecht gesagt hat.
Zu wohl kaum einer anderen deutschen Stadt hat der weit gereiste Karl Walther eine so enge Beziehung. Das ist wahrscheinlich kein Zufall, denn auch Florenz, das er 1933 in vielen Bildern festgehalten hat, gehört zu seinen Lieblingsmotiven. Das Leichte, die südliche Sonne verbindet beide. Davon ist freilich an diesem kalten Märztag des Jahres 1944 nicht viel zu spüren
Karl Walthers Spezialität ist die künstlerische Abbildung der Realität, seien es Menschen, Landschaften oder Städte. Abstraktion und Gegenstandslosigkeit, die im 20. Jahrhundert Einzug in die Kunst halten und sie zu dominieren beginnen, lehnt er ab. Geboren 1905 in Zeitz bei Leipzig, hat er nach einer Lithographenlehre, einem zugunsten der Malerei abgebrochenen Musikstudium und einem kurzen Aufenthalt an der Leipziger Kunstakademie als 21-Jähriger erste Erfolge. Von Max Liebermann, Oskar Kokoschka, Erich Heckel und Max Slevogt überschwänglich gelobt, startet er eine erfolgreiche Karriere.
Walthers Stil basiert auf dem Impressionismus; Kritiker feiern ihn schon 1927 als „Erscheinung, wie sie nur alle Jubeljahre einmal auftritt“. In Berlin soll er Schüler des bewunderten Slevogt werden, doch der stirbt 1932, bevor es so weit ist. Walther geht seinen Weg konsequent weiter. „Aus der Tradition schöpfend, entwickelte er seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil eines Impressionismus der zweiten Generation, einer Ausdrucksmöglichkeit, der er bis zu seinem Tod am 9. Juni 1981 treu blieb“, schreibt der Kunsthistoriker Professor Josef Kern.
Vom Kriegsdienst zunächst noch freigestellt wegen seiner Fähigkeit, Städte stimmungsvoller als jede Fotografie zu charakterisieren, kommt Walther im Februar 1944 zum zweiten Mal nach Würzburg. Eingeladen hat ihn Heiner Dikreiter, Gründer und Direktor der Städtischen Galerie sowie Vorsitzender der Künstlergilde „Hätzfelder Flößerzunft“. Besonders faszinieren den 38-Jährigen berühmte Ansichten wie Alte Mainbrücke, Dom, Domstraße oder Falkenhaus und Marienkapelle. Auf dem oberen Markt beobachtet Georg Götz mit großen Augen, wie Walther nach Schneefall ein noch nicht fertiges Bild den neuen Witterungsbedingungen anpasst.
Mit seiner verwitweten Mutter fährt der Achtjährige jede Woche aus Grombühl mit der Straßenbahn in die Innenstadt, wo die Mutter im Wäschehaus Schlier von ihr angefertigte Totenhemden aus Papier abliefert. Bei einem dieser Besuche entdeckt Götz im März 1944 den Maler Karl Walther auf dem Marktplatz. Götz, heute 73 Jahre alt und Vorsitzender des Main-Franken-Kreises, erinnert sich an jedes Detail: „Ich sehe ihn noch heute, wie er im dicken Kittel, einen Hut auf dem Kopf, mit gütigen Augen dastand und auf die vor ihm stehende Leinwand die Marienkapelle, das Falkenhaus und den Platz davor malte; es war fast schon ein fertiges Bild.“
Wenige Tage später ist der Achtjährige erneut in der Stadt: „Inzwischen hatte es über Nacht geschneit und wir mussten wieder ein Paket zum Schlier bringen und dort auch Rohmaterial, eine Rolle Papier in Packpapier eingebunden, abholen. Obligatorisch gingen wir wieder über den Markt, und der Maler stand genau am gleichen Platz.“
„Ich staunte, denn nun lag überall Schnee auf der Straße und auf den Dächern, und der Maler gab seinem Bild ein neues Aussehen“, erinnert sich Götz. „Er mischte Weiß mit anderen Farben und trug dies auf die Gebäude und Wege auf. Eine Winterbild war entstanden. Ich konnte mich nicht sattsehen; ich bettelte, noch verweilen zu dürfen, doch Mutter wollte nach Hause.“
Zeitzeugen erzählten später, dass der Meister Buben, die zu nah an die Staffelei traten, blitzartig mit dem Pinsel die Nase anmalte. Georg Götz freilich hielt gebührenden Abstand.
„Wer Steine zählt oder fotografisch getreue Wiedergabe erwartet, wird rasch enttäuscht werden“, unterstreicht Josef Kern. „Klar zu entziffernde Inschriften, eindeutig bestimmbare Hausfiguren, namentlich benennbare Passanten sucht man vergeblich. Dies war niemals Walthers Bestreben – ihm ging es einzig und allein um den unverwechselbaren Eindruck, um die Impression.“
Im August 1944 führt der Weg Karl Walther erneut nach Würzburg. Mit den Künstlerfreunden von der „Hätzfelder Flößerzunft“ feiert er seinen 39. Geburtstag. Heiner Dikreiter verfasst zu diesem Anlass ein launiges Gedicht für die Chronik der Zunft: „Ein Meister ist er, trefflich gut / Der hier bei uns die Straßen tut / Bei jedem Wetter runtermalen. / Ob Sommer, Winter – Keine Qualen / Der Hitz‘ und Kälte ihn genieren. / Wenn die Passanten fast erfrieren / Steht er vergnügt auf einer Gass' / Und malt drauflos ohn‘ Unterlass.“
Am 1. September 1944 wird Walther zur Wehrmacht eingezogen und in Norditalien eingesetzt. Hier gerät er in Gefangenschaft; im Lager in Rimini freundet er sich mit dem Würzburger Maler und Grafiker Josef Scheuplein an. Auch Scheuplein hat ihm – 1930 – als Zwölfjähriger beim öffentlichen Arbeiten in Würzburg über die Schuler geschaut.
Nach dem Krieg ist Karl Walther schon Ende Mai 1946 und dann 1947 wieder in Würzburg. Im Sommer 1947 werden seine Gemälde im Wenzelsaal des Rathauses ausgestellt. Der Künstler malt bei dieser Gelegenheit weitere Bilder, die das zerstörte Würzburg dokumentieren. Eines soll ein amerikanischer Offizier gekauft und mit in die USA genommen haben.
Walther, der sich in Seeshaupt am Starnberger See niederlässt, bleibt seinem Stil treu und kämpft – vergeblich – um Anerkennung. Eine Krankheit hindert ihn während der letzten Lebensjahre an der Arbeit; am 9. Juni 1981 stirbt er. Erst seit den neunziger Jahren, notiert Josef Kern mit Blick auch auf Karl Walther „setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass eine 'verschollene Generation‘ von Künstlerinnen und Künstlern zu Unrecht im Schatten der Abstrakten und Gegenstandslosen stehen musste“.
Walthers Werke befinden sich heute in vielen Privatsammlungen sowie in den Museen und Galerien von Bayreuth, Chemnitz, Mannheim, München, Nürnberg, Stettin, Stuttgart und Würzburg. Das Museum im Kulturspeicher der Domstadt besitzt mit 15 Gemälden die größte Walther-Kollektion in öffentlicher Hand. Bücher über Karl Walther Mit Karl Walther befasst sich auch ein Kapitel in Roland Flades neuem Buch „Zukunft, die aus Trümmern wuchs. 1944 bis 1960: Würzburger erleben Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“. Das Buch hat 336 Seiten und 151 Abbildungen, darunter 49 in Farbe. Dem Band, der für 16,95 Euro in den Main-Post-Geschäftsstellen und im regionalen Buchhandel erhältlich ist, entnahmen wir die Illustrationen zu diesem Artikel. Leben und Werk von Karl Walther behandelt ausführlich Josef Kern auf 463 Seiten mit zahlreichen großformatigen Abbildungen in seiner 1995 bei Königshausen & Neumann erschienenen Publikation „Karl Walther, 1905-1981“.