Die Erfahrung war selbst für erfahrene Retter ungewöhnlich: Sie wollten am Samstagabend einem Patienten bei einer Feier im Würzburger Stadtteil Versbach helfen. Doch als sie den Patienten schon in den Rettungswagen eingeladen hatten und versorgten, schlug ihnen draußen massive Aggression entgegen. Nach Aussagen der Retter versammelten sich schließlich rund 15 Personen, die massiv schrien und mit den Fäusten gegen die Wände des Rettungswagens trommelten.
Wütender Pkw-Fahrer forderte Retter auf, Platz zu machen
Für weitere Erhitzung sorgte ein wütender Autofahrer, der mit seinem Wagen an den Einsatzfahrzeugen nicht vorbeikam. Der 28-Jährige forderte von den Rettern, ihre Fahrzeuge beiseite zu fahren und ihm den Weg freizumachen. Andernfalls werde er das selbst besorgen, soll er gedroht haben.
Am Samstag gegen 18.30 Uhr war der Rettungsdienst zu dem Einsatz bei einer Feier gerufen worden. Kurz vor Erreichen des Einsatzortes im Außenbereich von Würzburg-Versbach begann für die Retter das Staunen: Der 16-jährige Patient wurde ihnen auf einem Feldweg bereits auf einem Schubkarren entgegengefahren.
Drohungen gegen die Sanitäter
Der Patient wurde in den Rettungswagen geladen. Doch dann begann für die Retter das, was selbst der eigentlich Kummer gewohnte langjährige Einsatzleiter "ein beängstigendes Chaos" nennt: Zum einen wurde der Fahrer des Pkw aggressiv, der auf dem Feldweg parkte. Er forderte die Retter lautstark und beleidigend auf, ihm den Weg freizumachen. "Er drohte, andernfalls die Einsatzkräfte aus dem inzwischen abgesperrten Rettungswagen herauszuholen", heißt es von Seiten der Hilfsorganisation.
Im Innern des Rettungswagens hatte sich bei der ersten Untersuchung des Patienten inzwischen gezeigt, dass auch ein Notarzt benötigt wurde. Der wurde herbeigerufen. Auch sein Fahrzeug versperrte dem Pkw-Fahrer den Weg, dem der Noteinsatz offenbar zweitrangig war: Der aufgebrachte Fahrer versuchte vergeblich, selbst ans Steuer beider verschlossener Fahrzeuge zu kommen, um sich Platz zu machen.
Rettungswagen wurde belagert
Indessen versammelte sich eine Menge von etwa 15 Personen, die sich lautstark bemerkbar machten. Fast unaufhörlich klopfte und hämmerte es gegen die Bordwände des Rettungswagens. Ein Mann, der als der Bruder des Verletzten identifiziert wurde, stieg außen auf die Trittbretter des Rettungswagens, um ins Innere zu schauen.
Die Situation wirkte so bedrohlich, dass sich die Retter nicht aus dem Behandlungsraum trauten, um den Patienten in die Klinik zu fahren. Sie riefen die Polizei zu Hilfe. "Erst hinzugerufene Polizeistreifen konnten die Lage beruhigen", bestätigt Polizeisprecher Andy Laacke. "Gegen den Pkw-Fahrer wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet." Die eintreffenden Streifen konnten die Situation vor Ort beruhigen und sicherstellen, dass die Sanitäter zusammen mit dem Notarzt den Jugendlichen unbehelligt in ein Krankenhaus fahren konnten.
Polizei kam zu Hilfe
Rotes Kreuz und Johanniter haben mittlerweile Strafanzeige erstattet. "Wir sind schockiert über die massive Bedrohung unserer Mitarbeiter im Notfalleinsatz", erklären sie. "Wir gehen davon aus, dass die Täter vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden."
Dass sich Angriffe auf Notärzte, Sanitäter und Feuerwehrleute häufen, berichten Betroffene immer wieder. Zuletzt war beim Faschingszug in Rimpar das Rettungspersonal von einem "Narren" getreten und beleidigt worden.
Leichter Anstieg der Angriffe
Laut bayerischem Landeskriminalamt (LKA) gibt es bei Straftaten gegen Notärzte, Sanitäter und Feuerwehrleute seit 2012 einen leichten Anstieg: 2017 wurden 327 Straftaten angezeigt, neun Fälle mehr als im Vorjahr (2016) und 62 mehr als im Vergleichsjahr 2012. Vor zwei Jahren wurde das Strafgesetz geändert und der Strafrahmen für Angriffe gegen Rettungskräfte verschärft.
Beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) meldeten die Rettungskräfte für 2018 in einem internen Meldesystem 99 Übergriffe. Bei zwei Millionen Einsätzen im Jahr sei das auf den ersten Blick nicht besonders viel - im Vergleich zum Vorjahr sogar weniger, sagte Sohrab Taheri-Sohi vom BRK dem Bayerischen Rundfunk. "Jeder Angriff ist aber ein Angriff zu viel."
Hohe Dunkelziffer
Er wies auf eine hohe Dunkelziffer hin: Viele Kollegen meldeten Vorfälle nicht, weil sie Attacken in ihrem Beruf als normal empfänden oder das Gefühl hätten, Strafanzeigen bei der Polizei bringen häufig nichts. Wie die Auswertung außerdem zeigt, waren mehr als die Hälfte der Angreifer alkoholisiert.
92 Prozent der Retter beleidigt oder bedroht
Deutlicher zeigt sich das Ausmaß der Übergriffe in einer Studie aus Nordrhein-Westfalen. Dort wurden über 800 Einsatzkräfte zu ihren Gewalterfahrungen im Dienst befragt. Ein Ergebnis: Rettungsdienste wurden deutlich häufiger attackiert als Feuerwehrleute.
Von den befragten Rettungsdiensten, also Notärzten und Sanitätern, gaben 92 Prozent an, innerhalb der zurückliegenden zwölf Monate zum Beispiel beleidigt oder bedroht worden seien. Jeder Vierte bestätigte, Opfer körperlicher Angriffe geworden zu sein. Die Angreifer seien in den meisten Fällen die Patienten selbst und viele seien alkoholisiert.