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Würzburg: Würzburger Biologin: "Mit jeder Art, die verschwindet, wird das Leben auf der Erde instabiler"

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Würzburger Biologin: "Mit jeder Art, die verschwindet, wird das Leben auf der Erde instabiler"

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    Der streng geschützte Feldhamster macht in Unterfranken vor allem dann Schlagzeilen, wenn durch seinen Schutz Bauprojekte behindert werden. In den Landkreisen Würzburg, Schweinfurt und Kitzingen liegt eines der wenigen verbliebenen Verbreitungsgebiete dieser Art in Europa.
    Der streng geschützte Feldhamster macht in Unterfranken vor allem dann Schlagzeilen, wenn durch seinen Schutz Bauprojekte behindert werden. In den Landkreisen Würzburg, Schweinfurt und Kitzingen liegt eines der wenigen verbliebenen Verbreitungsgebiete dieser Art in Europa. Foto: Uwe Anspach, dpa

    Bis zum 19. Dezember berieten 196 Staaten im kanadischen Montreal, was getan werden muss, um das Artensterben auf der Welt zu stoppen und die Natur nicht weiter zu zerstören. Weltweit sind eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. So ist die Zahl der Brutvögel in den deutschen Agrarlandschaften um ein Drittel zurückgegangen. Der Verlust bei den Insekten fällt noch viel höher aus. Welche Auswirkungen es in Unterfranken hat, wenn tropische Regenwälder abgeholzt werden, warum es ohne lästige Mücken keine Schokolade mehr gäbe und was der Feldhamster in Unterfranken mit dem Wohlstand Deutschlands zu tun hat, erklärt die Würzburger Biologin Dr. Frauke Fischer im Interview.

    Die Würzburger Tropenbiologin Frauke Fischer sagt: "Ohne Mücke keine Schokolade."
    Die Würzburger Tropenbiologin Frauke Fischer sagt: "Ohne Mücke keine Schokolade." Foto: Thomas Obermeier

    Erleben wir gerade ein Massensterben auf der Erde?

    Dr. Frauke Fischer: Alles deutet darauf hin, dass wir mitten im sechsten Massensterben auf der Erde sind. Das letzte Massensterben fand vor 66 Millionen Jahren statt, als die großen Dinosaurier verschwunden sind. Es dauerte mehrere Tausend Jahre. Im Verhältnis zur Lebenszeit eines Menschen also so lange, dass wir es nicht einmal bemerkt hätten, hätte es uns damals schon gegeben. Der Unterschied heute ist: Arten verschwinden mit extremer Geschwindigkeit. Die Menschheit beschleunigt die Aussterberate von Tieren und Pflanzen um den Faktor 1000!

    Was kümmert es uns in Unterfranken, wenn eine Mückenart im Amazonas ausstirbt? Im besten Fall kommt diese Art nicht zu uns nach Europa, um gefährliche Krankheiten zu übertragen.

    Fischer: Mücken sind die einzigen Bestäuber von Kakao. Ohne Mücke keine Schokolade. Wer gerne Singvögeln lauscht oder Forellen isst, sollte auch ein Interesse daran haben, dass Mücken nicht aussterben. Viele Organismen sind auf Mücken angewiesen. Mücken stehen am Anfang von sehr langen Nahrungsketten. Schneiden wir den Anfang ab, kollabiert das ganze System.

    Gibt es die eine wichtige Tier- oder Pflanzenart, von der das Überleben von uns Menschen abhängt?

    Fischer: Ja und nein. Die Wissenschaft nennt es das "Nietenkonzept der Biodiversität". Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Flugzeug, dessen Tragflächen mit Nieten befestigt sind. Eine Niete fliegt raus. Das ist noch nicht schlimm. Dann die nächste. Das ist vielleicht immer noch nicht schlimm. Doch irgendwann fliegt die entscheidende Niete raus. Sie ist eigentlich nicht wichtiger als die 1000 Nieten, die vorher schon rausgeflogen sind. Aber leider lässt diese 1000. Niete das Flugzeug abstürzen. Mit jeder Art, die verschwindet, wird das Leben auf der Erde instabiler.

    Ist das Artensterben bedrohlicher als der Klimawandel für uns Menschen?

    Fischer: Beides hängt zusammen. Der Klimawandel ist ein Grund dafür, dass Tiere und Pflanzen aussterben. Dazu kommt, dass Menschen Lebensräume, wie Wälder und Moore, zerstören, invasive Arten, zum Beispiel Ratten oder Füchse, in Ökosysteme einführen, die Umwelt mit Schadstoffen belasten und Tierarten zu sehr bejagen oder überfischen. Weltweit gibt es zwischen acht und 15 Millionen Tier- und Pflanzenarten. Wir Menschen kennen nur zwei Millionen Arten. Wir wissen, dass eine Million Arten akut vom Aussterben bedroht ist. Wir verstehen den Gesamtprozess nicht, pfuschen aber darin herum. Das ist das Gefährliche.

    Amphibien sind eine überdurchschnittlich gefährdete Tiergruppe. Von den 20 in Bayern nachgewiesenen Amphibienarten stehen zwölf auf der Roten Liste. Das Foto zeigt eine Gelbbauchunke.
    Amphibien sind eine überdurchschnittlich gefährdete Tiergruppe. Von den 20 in Bayern nachgewiesenen Amphibienarten stehen zwölf auf der Roten Liste. Das Foto zeigt eine Gelbbauchunke. Foto: Peter Steffen, dpa

    Mal angenommen, in Unterfranken sterben bestäubende Insekten aus. Könnten wir dann nicht wie in China die Pflanzen selbst bestäuben?

    Fischer: Ein Mensch schafft am Tag höchstens 10.000 Blüten. Ein Volk von Honigbienen bestäubt bis zu 300 Millionen Blüten am Tag - und das kostenlos. Wenn bestäubende Insekten bei uns in Unterfranken seltener werden, wird Obst teurer.

    Das heißt, wir alle sind von jeder vermeintlich unwichtigen Art, die uns umgibt - Gartenschläfer, Ameise, Pilz - abhängig?

    Fischer: Indirekt ja. Jeder Atemzug, den wir tun, ist durch eine Pflanze gegangen. Jeder Schluck Wasser, den wir trinken, ist irgendwann von einem Wald gefiltert worden. Die Rohstoffe jedes Brotes, das wir essen, sind auf fruchtbaren Böden angebaut worden. Jeder von uns ist abhängig von Ökosystemleistungen. Das sind Leistungen, die die Natur für uns Menschen erbringt - durch Biodiversität, also durch die Vielfalt des Lebens in Form von Genen, Arten und Ökosystemen.

    Überspitzt gesagt: Ist unser Wohlstand in Deutschland bedroht, wenn der Feldhamster in Unterfranken ausstirbt?

    Fischer: Unser Wohlstand ist abhängig von der Vielfalt des Lebens, zu der auch der Feldhamster gehört. 2011 wurde errechnet, dass die Natur weltweit 125 Billionen Euro an Ökodienstleistungen erbracht hat: von der Bestäubung von Nutzpflanzen, über die Reinerhaltung von Luft und Wasser, der Generierung fruchtbarer Böden bis hin zur Regulierung von Krankheiten und Erholungsleistungen für uns Menschen. 2011 betrug das weltweite Bruttosozialprodukt 72 Billionen Euro. Die Leistungen der Natur waren also mehr wert, als alles, was Menschen geschaffen haben. Und: Von den 72 Billionen Euro waren 44 Billionen direkt oder indirekt von der Natur abhängig. Es gibt kein Unternehmen weltweit, das nicht von der Natur abhängig ist. Auch die Wirtschaft in Deutschland hängt davon ab.

    Mücken sind die einzigen Bestäuber von Kakaopflanzen. Außerdem stehen sie am Anfang von sehr langen Nahrungsketten und sind zum Beispiel Beute für Singvögel und Frösche.
    Mücken sind die einzigen Bestäuber von Kakaopflanzen. Außerdem stehen sie am Anfang von sehr langen Nahrungsketten und sind zum Beispiel Beute für Singvögel und Frösche. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Was müsste jetzt geschehen, um das Massensterben der Arten und Ökosysteme zu stoppen?

    Fischer: Weltweit gesehen darf kein Quadratmeter Regenwald mehr zerstört werden!

    Was kümmert uns in Unterfranken der Regenwald im Kongo oder im Amazonas?

    Fischer: Diese großen Regenwaldblöcke sind eine Art weltweite Süßwasser-Pumpe. Sie generieren gigantische Niederschläge. Nicht alles regnet vor Ort ab. Ein Teil der Feuchtigkeit wird über Luftbewegungen bis zu uns transportiert. Wenn diese Wälder nicht mehr existieren, können wir auch hier in Franken keine Landwirtschaft mehr betreiben wie wir es heute tun.

    In Veitshöchheim im Landkreis Würzburg wurde die Landesanstalt für Wein- und Gartenbau (LWG) auf europäischer Ebene für ihren insektenfreundlichen Hanfmix ausgezeichnet. Angesichts weltweiter Waldzerstörung: Ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

    Fischer: Nein, denn wir müssen auch etwas bei uns tun. Ökosystemleistungen wie die heimische Erzeugung von Lebensmitteln oder auch die Erholung, können wir nicht nach Südamerika verlagern. Ich erhole mich ja nicht, nur weil ich weiß, dass es im Amazonas einen schönen Wald gibt. Ich muss auch den Wald vor meiner Haustür schützen, um spazieren zu gehen.

    Müssten wir also jedes Neubaugebiet in Unterfranken stoppen? Darf bald keiner mehr ein Einfamilienhaus besitzen?

    Fischer: Nein, aber wir müssen schlauer mit unseren Flächen umgehen, um die Vielfalt des Lebens zu erhalten. Täglich werden in Deutschland 54 Hektar für Siedlungs- und Verkehrsflächen verbraucht. Ein Wohngebiet und ein Gewerbegebiet nach dem anderen auszuweisen, kann auf Dauer nicht gut gehen. Unterfranken, Bayern, Deutschland, unser Planet - ist endlich!

    Dr. Frauke Fischer: Tropenbiologin, Unternehmensgründerin, BuchautorinFrauke Fischer ist Tropenbiologin und Dozentin an der Universität Würzburg. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Biodiversität, Ökosystemleistungen, internationaler Naturschutz und unternehmerische Verantwortung. Die 57-Jährige hat zwei Firmen gegründet: die Agentur "auf!", Deutschlands erste Unternehmensberatung für Biodiversität und das Unternehmen "PERÚ PURO", das Kakao, Kaffee und Paranüsse von Kleinbauern in Peru in Deutschland vermarktet. In ihrem Sachbuch "Was hat die Mücke je für uns getan?" wirft die Ökologin zusammen mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Hilke Oberhansberg einen lehrreichen und unterhaltsamen Blick auf die biologische Vielfalt.akl

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