Da stand doch mal was! Wer sich das Schild genau ansieht, erkennt es deutlich. Hier wurde so lange gewischt und gekratzt, bis nur noch das übrig war, was heute in goldenen Buchstaben auf rostrotem Hintergrund zu lesen ist: „Augustinerstrasse 13 seit anno 1620“.
Stadtrat Willi Dürrnagel kann die Leute gut verstehen, die hier versucht haben, ein Wort auszumerzen. „An dieser Stelle war einst der Hausname zu lesen, der auf 'Mordhof' lautete“, erklärt der passionierte Hobby-Historiker, „wer möchte schon gern in einem Haus leben, das so heißt?“ Dabei ist die Erklärung dafür, warum der „Mordhof“ so hieß, vielleicht gar nicht so blutrünstig, wie der Name vermuten lässt. „Es gibt mehrere Theorien dazu.“ Am besten zum Namen des Hauses passt die folgende:
„Das Gebäude hieß einst 'Hof zum Schultheißen‘“, erläutert Willi Dürrnagel. Hier wohnte zunächst der Hofschultheiß, der über all jene Menschen Urteile sprechen durfte, die zum Bischöflichen Hof gehörten. Im 14. Jahrhundert richtete er über die Gerber, Metzger und Gärtner der Pleich. Am Ende war er nur noch dafür zuständig, Frevel in Feld, Flur, Gärten und Weinbergen zu ahnden. Doch 1466 war Schluss mit dem „Hof zum Schultheißen“. Da ereignete sich „ein besonders grausamer Mord, der sich tief ins Gedächtnis der Würzburger einprägte und dem Anwesen einen neuen Namen verpasste“, weiß der Stadtrat.
So berichtet der Autor Arthur Bechtold in seinem Buch „Kulturbilder aus dem alten Würzburg“, dass damals der Gewandschneider Dietmar im Haus zur Miete wohnte. Er hatte einen Knecht fortgejagt, das sollte ihm und seiner Familie zum Verhängnis werden. Der verschmähte Knecht tat sich mit einem anderen Mieter namens Bretträger zusammen, der Dietmar auch nicht leiden konnte.
Sie beschlossen, dem Gewandschneider Schaden zuzufügen. „(…) sie wollten Dietmar, so er nit daheim wär, seine Kisten schwenken und ihm ein Schaden und Hohn beweisen“, schreibt Bechtold. Doch was als vergleichsweise harmloser Anschlag geplant war, endete in einem Gemetzel. „Kaum hatte Bretträger dem Knecht und weiteren Helfern nachmittags das Tor zum Hof geöffnet, entdeckten sie Dietmars Familie. Und um nicht verraten zu werden, fielen sie kurzerhand über seine Frau, die sechsjährige Tochter, den elfjährigen Sohn und eine 16-jährige Magd her und schnitten ihnen die Kehlen durch“, fasst Dürrnagel die tragische Geschichte zusammen. Erst drei Tage später wurden die Leichen gefunden, am selben Tag, als die Mörder sich mit Bretträger treffen wollten, um das bei dem Anschlag geraubte Geld aufzuteilen.
Dietmar, der zu der Zeit auf Märkten unterwegs gewesen war und seine Ware feilgeboten hatte, überlebte die Attacke unbeschadet. So konnte er miterleben, wie den Mördern seiner Familie der Prozess gemacht wurde. „Bretträger soll schon unter der Folter gestorben sein, ohne auszusagen, wo das Geld versteckt worden war“, führt Willi Dürrnagel die Geschehnisse fort. „Die anderen wurden nach dem Urteil öffentlich durch die Stadt geführt, mit glühenden Zangen gerissen und schließlich auf dem Galgenberg aufgehängt. Den Knecht als Anführer hat man gerädert.“
Und eine zweite blutrünstige Geschichte rankt sich um die Augustinerstraße 13. In der „Neuen Fränkischen Chronik“ von 1809 schreibt Franz Oberthür, die ehemalige Hausbesitzerin Maria Kählin „ward meuchelmörderisch in ihrem eigenen Hause mit mehreren Personen ermordet, daher das in der Augustiner oder Rittergasse gelegene Haus, sonst der Hof ?zum Schultheis‘ genannt, den Namen: der Mordhof erhielt“.
1620 soll ein Taglöhner die Witwe mit ihren sieben Kindern und den Hausgenossen getötet haben. „Diese Version soll aber falsch sein, denn die Bezeichnung für das Haus lässt sich schon für 1565 nachweisen – also viele Jahrzehnte vor dem Mord an der Kählin und ihrer Familie“, sagt Dürrnagel. Vielleicht, so seine Vermutung, ist der Name „Mordhof“ auch ganz und gar unblutig zu erklären: „Mitte des 16. Jahrhunderts, soll der Gebäudekomplex der angesehenen Würzburger Bürgerfamilie Mörder gehört haben.“ Wenn diese letzte – unblutige – Theorie stimmt, gäbe es also überhaupt keinen Grund, den Hausnamen mühevoll von einem Schild zu kratzen.
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