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Würzburg: Würzburger Sammlung: Als uns das Schaubild die Welt erklärte

Würzburg

Würzburger Sammlung: Als uns das Schaubild die Welt erklärte

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    Leitet die Forschungsstelle an der Uni Würzburg und betreut die europaweit größte Sammlung für  Schulwandbilder: Dr. Ina Katharina Uphoff.
    Leitet die Forschungsstelle an der Uni Würzburg und betreut die europaweit größte Sammlung für  Schulwandbilder: Dr. Ina Katharina Uphoff. Foto: Thomas Obermeier

    Wer erinnert sich nicht an die riesigen Landkarten, die die eigene Körpergröße immer weit übertrafen. Und an diesen seltsamen säuerlich-muffigen Geruch im Erdkundeunterricht, wenn der Lehrer wieder Rollen mitgebracht hatte und schwungvoll an den Kartenständer in der Ecke oder vorne an die Tafel klemmte. Dann ging's eine Stunde lang um Rohstoffe und Wetterkunde, um Berge und Strömungen im Meer, um Klimazonen und Wolkenformationen. Nur um den Klimawandel, um den ging es noch nicht.

    Schulwandbild "Dieselmotor" von 1964, Der neue Schulmann, Stuttgart.
    Schulwandbild "Dieselmotor" von 1964, Der neue Schulmann, Stuttgart. Foto: Prestel

    Den merkwürdigen Gummi-Keller-Geruch hatte man auch in Biologie in der Nase. Oder in Chemie, in Mathe und Geschichte, wenn die Völkerwanderung oder irgendein Krieg an der Reihe waren. Eigentlich immer, wenn es darum ging, mit Bildern den Schülern was beizubringen. Sogar im Turnunterricht. „Bis weit in das 20. Jahrhundert gehörten sie zur unabdingbaren Grundausstattung jeder Schule“, sagt die Würzburger Bildungsforscherin Dr. Ina Uphoff über die Wandbilder, die über Generationen das Lehren und Lernen im Klassenzimmer prägten.

    Schulwandbild "Der Kreislauf der Stoffe im Baum", 1930, Der praktische Schulmann, Stuttgart
    Schulwandbild "Der Kreislauf der Stoffe im Baum", 1930, Der praktische Schulmann, Stuttgart Foto: Prestel

    Seit vielen Jahren leitet Uphoff die Forschungsstelle Historische Bildmedien an der Universität Würzburg und blickt auf eine riesige, nämlich Europas umfangreichste Sammlung. Mit dem Archiv, das die Forschungsstelle auf dem Uni-Campus am Hubland auf 400 Quadratmetern beherbergt, lässt sich Schul- und Bildungsgeschichte im deutschsprachigen Raum für den Zeitraum von 1840 bis 1990 nachvollziehen. Die Roll- und Flachkarten, die inzwischen fast alle auch digitalisiert und in einer Bilddatenbank zu finden sind, stammen aus allen Unterrichtsfächern – und erzählen so plakativ von Zeitgeist und politischen Einstellungen, von Erziehungsmethoden, ästhetischen Vorstellungen und Moral vergangener Zeiten.

    "Durch ihre Größe, ihre Farbigkeit und den Vorgang des Ausrollens und Aufhängens hinterließen sie einen bleibenden Eindruck." 

    Dr. Ina Uphoff über dem Einfluss und die Bedeutung der Schulwandbilder einst 

    „Visualisierungen eines umfassenden kulturellen Gedächtnisses“, sagt Uphoff zu den Schulwandbildern, die nach der Erfindung und Verbreitung der Lithographie ab 1800 aufkamen und zuerst beim Anschauungsunterricht in Elementar- und Kleinkinderschulen benutzt wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sagt Ina Uphoff, bekamen die Bilder und Tafeln, auf denen die ganze Klasse schauen konnte, einen eigenen didaktisch-methodischen Status neben dem Schulbuch. Die Hauptblütezeit erlebte das populäre, immer einflussreichere Unterrichtsmedium im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Indoktrination und Instrumentalisierung inklusive. Wie auf der Märchentafel von 1936, auf der Dornröschen nicht mit Kuss aufgeweckt wird – sondern mit Hitlergruß.

    In der Forschungsstelle am Hubland gibt es nicht nur ein Archiv mit riesiger Sammlung, sondern auch eine kleine Ausstellung.
    In der Forschungsstelle am Hubland gibt es nicht nur ein Archiv mit riesiger Sammlung, sondern auch eine kleine Ausstellung. Foto: Thomas Obermeier

    Welche Bedeutung das statische Medium, das da an der Wand hing, hatte, wie sehr es sich ins Gedächtnis brannte – „angesichts der heute vorherrschenden Bilderflut, der Möglichkeiten des Internets, Bilder aus den entferntesten Winkeln der Welt mit einem Klick herzuholen, lässt sich die damalige Wirkungsmacht kaum mehr nachvollziehen“, sagt die Wissenschaftlerin vom Lehrstuhl für Systematische Bildungswissenschaft. Aber die großen, farbigen Schaubilder, die da ausgerollt und aufgehängt wurden in Naturkunde, Rechnen, Religion – sie konnten die Fantasie der Schüler beflügeln. Und – meist unbewusst – einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

    „Ausfuhr und Einfuhr“, 1954, Schropp'sche Lehrmittelanstalt Berlin.
    „Ausfuhr und Einfuhr“, 1954, Schropp'sche Lehrmittelanstalt Berlin. Foto: Prestel

    Als vor zwei Jahren die Würzburger Forschungsstelle Historische Bildmedien einen Anruf aus Köln erhielt, konnte Ina Uphoff umsetzen, was seit Längerem schon ihr Wunsch gewesen war: Die Schulwandbilder nicht nur Forschern zur Verfügung zu stellen und selbst wissenschaftlich darüber zu publizieren. Sondern sie allen Interessierten zu zeigen, in einem schönen Bildband. Die Redakteurin und Lektorin Nicola von Velsen, die in Köln auch einen Laden für allerlei Dinge aus und auf Papier betreibt, hatte die Idee, gemeinsam ein Buch über Schautafeln und Wandkarten zu machen. Von Velsen hatte durch Kunden immer wieder mitbekommen, wie die Infografiken, die einst allgegenwärtiges Lehrmittel waren, dann von Dia, Film und Overheadfolien verdrängt und didaktisch eingemottet wurden, begehrte Stücke auf Flohmärkten und Wandschmuck für Nostalgiker und Retrofans geworden sind.

    „Blätter und Blüten“, um 1960, Emil Schwarz, Altenberg bei Köln.
    „Blätter und Blüten“, um 1960, Emil Schwarz, Altenberg bei Köln. Foto: Prestel

    „Asien – der größte Erdteil“, „Der Kreislauf der Stoffe im Baum“, „Muskeln des Menschen“, „Süßgräser unserer Wiesen“, „Tierwohnungen“, „Die weiblichen Geschlechtsorgane“, „Das metrische Mass- und Gewichtssystem“, „Wolkenform und Wetterentwicklung“, „Berlin, zweigeteilte Hauptstadt“ – auf den Schulkarten fand alles Platz. Und alle Blicke waren darauf gerichtet oder sollten es zumindest sein – Frontalunterricht vor dem Großbild. Und mit einer Aura der Autorität wurde vermittelt: Alles Wesentliche ist hier gezeigt.

    Den Schwerpunkt des kundig kommentierten Bildbandes haben die beiden Herausgeberinnen auf die 1960er und 1970er Jahre gelegt. So mag bei manchem Leser beim Schmökern der mal anrührenden und skurril wirkenden, mal anspruchsvollen und detailreichen Tafeln die Erinnerung an manche Schulstunde wiederkommen . . .

    Buchtipp: „Schaubilder und Schulkarten. Von Bildern lernen im Klassenzimmer“, herausgegeben von Ina Katharina Uphoff und Nicola von Velsen, Prestel Verlag, 240 S. mit 200 Farbabbildungen, 40 Euro.

    Die Sammlung historischer Schulwandbilder an der Universität Würzburg, Campus Hubland Nord, kann man nach Vereinbarung auch besichtigen. Infos unter (0931) 31-84 748 www.bildungswissenschaft.uni-wuerzburg.de

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