Statistiken liefern oft erstaunliche Einsichten. Fladungen hat zwar nur etwas mehr als 2.000 Einwohner, aber gleich zwei herausragende Museen. Umgelegt auf die Zahl der Bürgerinnen und Bürger ist dies „die größte Museumsdichte weit und breit“, wie Bezirkstagspräsident Stefan Funk in einer Pressemitteilung des Bezirks befand, den seine Sommertour mit dem Kultur-Referat in das vor einem halben Jahr wiedereröffnete Rhönmuseum führte. Dieser Mitteilung sind auch die folgenden Informationen entnommen.
Neuer Glanz nach langer Pause
Fünfzehn Jahre lang hatte das Traditionshaus im Herzen der Fladunger Altstadt geschlossen, ehe es nach umfangreichen Umbaumaßnahmen, einer inhaltlichen Neuausrichtung und mit Förderung durch die Unterfränkische Kulturstiftung am 30. März neu eröffnete. Heutige Museumsbesucher hätten eben andere Ansprüche als früher, heutzutage stehe der Service-Gedanke im Vordergrund. Das neue Rhönmuseum ist daher auch nicht mehr chronologisch, sondern nach Themen aufgebaut, wie Museumsleiterin Eva-Maria König betonte, die die Besuchergruppe durch die auf vier Ebenen verteilte Ausstellung führte.
Auf jeweils 250 Quadratmetern Fläche wird „die Rhön unter einem Dach“ vorgestellt, wie der Werbeslogan des Museums lautet. Dabei ist der 1628 errichtete Prachtbau selbst ein Stück unterfränkischer Geschichte. Der massive Zweiflügelbau mitten in der romantischen Altstadt war einst Sitz eines Amtmanns und diente als Machtsymbol der Würzburger Fürstbischöfe. Ab 1921 diente das Gebäude als Regionalmuseum mit einer umfangreichen kultur- und naturhistorischen Sammlung, auf die das „neue“ Rhönmuseum natürlich ebenfalls zurückgreift.
Museumswelt für alle Sinne
Schon im Foyer stimmen Rhöner Stereotypen auf die Ausstellungsstationen ein: ein Rhönrad und dazu ein kurzer Erklärfilm, täuschend echte Rhönschafe in Lebensgröße und ein dichter Wald als beeindruckende Fototapete, hinter der sich die Schließfächer verbergen. Im großzügig geschnittenen Eingangsbereich des Hauses befinden sich zudem Kasse, eine kleine Cafeteria und der Museumsshop. Alles hier darf man berühren, bewegen, anfassen. „Museen von heute wollen alle Sinne ansprechen“, erklärt die Museumschefin.
Das darüberliegende Stockwerk widmet sich dem Blick auf die Rhön von außen beziehungsweise von oben. Denn in einer der Videoinstallationen kann man einen Segelflug über die malerische Landschaft im Dreiländereck Bayern, Hessen und Thüringen nachempfinden. Schließlich haben sich die Fladunger Museumsmacher seit jeher einer grenzübergreifenden Perspektive auf die Rhön verpflichtet gefühlt. Von außen kamen aber auch die Missionare, wie etwa im 8. Jahrhundert Bonifatius, der im Gebiet um das spätere Fulda Klöster und Kirchen gründete, oder Kilian, der auf dem sogenannten Kreuzberg ein Kruzifix errichtet haben soll.
Forscher, Maler und Dichter auf Spurensuche
Von außen kamen zudem Forscher und Sammler wie Otto Arnold, Franz Xaver Heller oder Franz Anton Jäger, es kamen Maler wie Erich Heckel, Paul Klüber oder Julius von Kreyfelt, und auch Goethe bereiste die Rhön, Schiller war dort und Hölderlin arbeitete als Hauslehrer im „Land der offenen Fernen“, wie die Rhön in Tourismusprospekten gern genannt wird.
Dank der Pflanzen- und Insektensammlungen aus dem 19. Jahrhundert lassen sich etwa die Auswirkungen des Klimawandels auf die Rhöner Fauna und Flora erkennen. So finden sich in alten Herbarien deutlich weniger Orchideen, als heute im Biosphärenreservat Rhön tatsächlich blühen. Auch Pilze, die ursprünglich typisch für den Mittelmeerraum waren, gedeihen mittlerweile in der urwüchsigen Landschaft rund um Fladungen. Der reiche Sammlungsbestand macht das Museum auch weit über die Rhöner Grenzen hinaus bedeutend.
Rhöner Bräuche lebendig bewahrt
Im zweiten Stock richtet sich der Blick nach innen – zu den Befindlichkeiten der Rhöner, ihren Bräuchen und Traditionen, ihren Lebensgewohnheiten und ihren Kunstfertigkeiten. So hat sich in der Rhön etwa eine einzigartige Fastnachtstradition erhalten. Davon erzählt die üppige Sammlung geschnitzter Holzmasken und das Kostüm eines Spanmannes, zusammengesetzt aus tausend gehobelten Pappelspänen. Damit laufen die „Spiemoo“ am Fastnachtswochenende durch die Dörfer. Fürchten muss sich vor dem wilden Treiben niemand, aber eine Rhöner Attraktion sind die gruseligen Gestalten in jedem Fall.
Bei so viel Schnitzkunst erstaunt es nicht, dass sich in Bischofsheim in der Rhön eine renommierte Staatliche Berufsfachschule für Holzbildhauer befindet. 1852 als Holzschnitzschule gegründet, sollte die Bildungsstätte ursprünglich begabten jungen Leuten in der einst strukturschwachen Region eine zusätzliche Einkommensquelle sichern. Aber auch im thüringischen Empfertshausen gibt es seit 1898 eine Schnitzschule. Jahrzehntelang trennte der Eiserne Vorhang den gemeinsamen Berufsstand, heute garantieren die beiden Einrichtungen den Fortbestand des Kunsthandwerks – wie typische Exponate im Rhönmuseum zeigen.
Von Rhön-Wacklern und Souvenir-Kuriositäten
Zu dessen besonderen Schätzen zählt die Sammlung sogenannter Rhön-Wackler. Der Clou an diesen oft in Heimarbeit fabrizierten kleinen Figuren war ein ausgeklügelter Mechanismus, der den Kopf und oft auch das Kinn der Püppchen zum Nicken brachte. Die Rhön-Wackler waren einst begehrte Souvenirs für die Sommerfrischler in Bad Kissingen, Bad Brückenau oder Bad Bocklet. 1868 waren die Schnitzereien sogar auf der Pariser Weltausstellung zu sehen. Die bunten Sammlerstücke erzählen zudem viel über das einstige Leben in der Rhön, über die dortigen Moden und Bräuche, über die Händler und Musiker im 19. Jahrhundert.
Wo es Kunst gibt, da gibt es auch Kitsch. In den Vitrinen lassen sich daher auch eigenwillige Gegenstände betrachten, wie sie für Touristen angefertigt wurden: Aschenbecher, Kleiderhaken, Pfeifen und – man mag’s kaum glauben – sogar eine hölzerne Ludwig-II.-Büste gehört zum Fundus der Souvenirs. Ob sich jemals ein Käufer dafür fand, sei dahingestellt.
Ein Museum mit offenen Türen
Neben dieser Dauerausstellung befindet sich im dritten Stockwerk Platz für zwei Sonderschauen. Hier werden jeweils im Wechsel aktuelle kunst- und kulturgeschichtliche Sachverhalte aufgegriffen, um immer wieder die Diskussion aktueller Themen anzustoßen. Das Rhönmuseum will nämlich ein „inklusiver und diskursiver Ort mit offenen Türen“ sein.
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