Explosion mitten im Ort, schwerer Unfall mit eingeklemmter Person und irgendwo ist jemand in eine tiefe Grube gestürzt - auf dem Gelände der Bundeswehr in Hammelburg trainieren Schweinfurter Katastrophenschutzeinheiten für den Ernstfall. Martina Müller war mit der Kamera dabei.
Abendstimmung irgendwo auf dem Land. Ein fränkisches Dorf ruht im weichen Abendlicht, Sandsteinmauern strahlen die Restwärme des Tages aus, die Vögel zwitschern ihr Lied. Mitten hinein in die Idylle knackt plötzlich ein Funkgerät. Ein Funkspruch rauscht - und keine 20 Sekunden später zerreißt ein Martinshorn die Stille. „Explosion unbekannter Ursache in der Dorfmitte, unklare Anzahl von Verletzten.“ – Den Notruf kommentiert Harald Lotter mit einem feinen Lächeln: „Es geht los.“



Monate der Vorbereitung liegen hinter dem 40-jährigen Familienvater, der seit Januar Ortsbeauftragter des THW Schweinfurt ist. Seit 2008 organisiert Lotter einmal im Jahr ein Übungswochenende für die Schweinfurter Katastrophenschutzeinheiten, zu denen neben dem Technischen Hilfswerk auch die Feuerwehr, der Arbeiter-Samariter-Bund und die Johanniter Unfallhilfe gehören. Damit die rund 180 Retter unter möglichst realistischen Bedingungen, in möglichst „echten“ Szenarien ihre Zusammenarbeit trainieren können, geht das THW nach Bonnland, ins abgesiedelte Dorf auf dem Truppenübungsplatz der Hammelburger Bundeswehrs.
Lotter ist froh über diese Möglichkeit, die die Bundeswehr den Katastrophenschützern bietet. Eine vergleichbare Infrastruktur gibt es nirgendwo in der näheren Umgebung von Schweinfurt, überhaupt in ganz Unterfranken nicht. Enge Gassen, verwinkelte Straßen, Häuser dicht an dicht, blockierte Zufahrtsstraßen – Ausnahmezustand für die Retter.
Mittlerweile sind die ersten Einsatzkräfte im engen, völlig verqualmten Innenhof angekommen, wo sich offenbar ein schwerer Verkehrsunfall ereignet hat. Innerhalb weniger Minuten sind 20, 30 Anrufe bei der Leitstelle eingegangen, über Funk werden weitere Einsatzkräfte angefordert. Gruppenführer geben präzise Anweisungen an die Helfer, die sehr präzise und konzentriert arbeiten. „Hören Sie mich?!“ - das eingeklemmte Unfallopfer wird angesprochen, während der Kollege schon Keile unter das Fahrzeug schiebt und ein weiterer Ehrenamtlicher die Hydraulikschläuche des Spreizers zusammensteckt. Plötzlich klemmt ein Teil.



Auch mit vollem Körpereinsatz bewegt sich nichts. Die Retter werden hektischer, leichte Panik in den Gesichtern, Schweiß rinnt. Ein Übungsbeobachter, der in der Nähe steht, gibt einen kleinen Hinweis. „Da, die Bajonettkupplung“ - schon klappt es. „Fehler dürfen heute gemacht werden, denn aus denen lernen wir und die passieren uns dann nicht im realen Einsatz!“, sagt Lotter, der Hauptverantwortliche der Bonnland-Übung.
Ruhig und professionell arbeiten die Rettungskräfte weiter, Material wird zur Einsatzstelle geschleppt, Verletzte, die an diesem Abend Rettungspuppen sind, werden versorgt. Ob Übung oder nicht, seder gibt sein Bestes. Als gut zwei Stunden nach dem ersten Notruf die letzte Übung beendet ist, zuckt noch immer Blaulicht in den mittlerweile dunklen Nachthimmel, Gemeinsam werden die Einsätze besprochen, allmählich lässt die Anspannung nach. Man scherzt, klopft dem Kollegen auf die Schulter, umarmt sich.„Hier bei der Übung haben wir die Möglichkeit mit all den anderen Kollegen und Rettern einmal ins Gespräch zu kommen. Sonst trifft man sich höchstens im Einsatz und bei Ausbildungen“, sagt Harald Lotter, der sich selbst weniger als Hauptorganisator für dieses Wochenende, sondern mehr als Bindeglied von THW, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Bundeswehr sieht.
Die drei Tage in Bonnland dienen auch dem Kennenlernen, dem Miteinander, dem freundschaftlichen Austausch. Wichtig für die Gemeinschaft der ehrenamtlichen THW-Mitglieder. Das Technische Hilfswerk hat deutschlandweit über 60 000 ehrenamtliche, aktive Einsatzkräfte, die im Katastrophenfall zum Schutz der Zivilbevölkerung gerufen werden. In der Ortsgruppe Schweinfurt sind es 62 aktive Helfer und 32 Junghelfer. Der Leitspruch sagt alles: „Sichern, retten, bergen“.



Das Übungswochenende geht derweil weiter. In kleinen Einheiten genauso wie in den großangelegten, stundenlangen Notfallszenarien, die alle anwesenden Katastrophenschutzeinheiten einbindet und fordert. Weitere THW-Gruppen aus Schweinfurt, Gerolzhofen, Mellrichstadt und dem Berchtesgadener Land sind dazugestoßen, ein Johanniter-Team, das spezialisiert ist auf realistische Unfalldarstellung, sowie ein Notärzteteam sind gekommen und proben mit.
Auch die Jugendgruppen der THW Ortsverbände Schweinfurt und Gerolzhofen sind aufs Bundeswehrgelände gekommen und helfen beim Ablauf. Wieder Funkrufe, Notfälle! Wieder brennt es mehrfach, es gibt Verkehrsunfälle mit mehreren beteiligen Fahrzeugen und vielen verletzten Personen, eine große Hauswand droht einzustürzen, eine Person muss waagrecht durch Leiterhebel aus einem Gebäude gerettet werden, es werden Personen vermisst . . . .
Neben den Rettungspuppen sind jetzt auch Darsteller im Einsatz – schreiend, hilflos, realitätsnah zum Unfallopfer geschminkt. Auch wenn der Stresspegel für die Übungsteilnehmer hoch ist, läuft alles sehr strukturiert, geordnet, professionell und fachkundig ab.


Und die kleinen Gesten, das liebevollüber die Wange Streicheln bei einer Verletzten, das aufmunternd gemurmelte „Super!“ für den schwitzenden Kollegen oder der beruhigende Zuruf „Hier ist das THW - mein Name ist Moni, bleiben Sie ruhig, wir holen Sie da raus!“ sind es, die fast vergessen machen, dass es sich „nur“ um eine Übung handelt.
Harald Lotter sieht zufrieden aus, als er das Wochenende Revue passieren lässt. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Blaulichtorganisationen hat gut funktioniert. Und über die Momente, wo es Änderungsbedarf gibt, hat man in den konstruktiven Nachbesprechungen ausführlich gesprochen. Die Trupps räumen zusammen, packen ein, die drei Dutzend Einsatzfahrzeuge rücken wieder ab. Zurück bleiben die Schwalben, die im Abendlicht zwitschernd und kreischend ihre Runden drehen.

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