Erwartungsgemäß war das S-Springen mit Stechen am Sonntagnachmittag der Publikumsmagnet des Rakoczy Turniers. Rund 3000 Zuschauer hatten sich bei strahlendem Sonnenschein in der Au eingefunden. Ein 480 Meter langer anspruchsvoller Parcours musste bewältigt werden. Routinier Heino Möller vom Reiterhof Rhön (Detter/Weißenbach) zählte nach seinem Sieg im Samstags-S-Springen zu den Favoriten, ritt mit Lexus zunächst auch völlig fehlerfrei, kassierte aber eine Strafe, weil er das Zeitlimit knapp überschritten hatte. Beim zweiten Durchgang mit Call me Caesar gelang Müller kein fehlerfreier Ritt. Und so sicherte sich Amke Stroman (Eiterfeld) mit zwei fehlerfreien Durchgängen auf Goldorac und Forchello den Doppelsieg. Ein Stechen wurde nicht notwendig, weil Stroman als einzige Teilnehmerin fehlerfrei ritt und nicht gegen sich selbst antreten musste. Heino Möller blieb nur der vierte Platz.
Erwartungen wurden bestätigt
Vier Tage lang hat der Bad Kissinger Reiterverein eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er möglichst schnell zu alter Stärke zurückfinden will und das ohne Zweifel auch kann. Rund 500 Pferde in über 30 Sprungwettbewerben beziehungsweise Dressurprüfungen bringen einen enormen organisatorischen Aufwand mit sich. „Die Erwartung hat sich bestätigt, man kann die genaue Anzahl der Tiere zwar nicht hundertprozentig eingrenzen, aber mindestens 500 Pferde waren in den vergangenen Tagen sicherlich am Turnierplatz“, sagt Florian Scheurer, Vorsitzender des Bad Kissinger Reitervereins. „Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden. Gerade für mich war es ja eine Premiere. Und für jemanden, der erst neu nach Bad Kissingen gekommen ist, ist die Vorbereitung eines solchen Turniers schon eine Herausforderung.“
Da ist es gut, wenn man sich auf Helfer verlassen kann, die das Rakoczy-Reitturnier schon seit Jahren kennen. Die kurze Unterbrechung der Turnierserie im vergangenen Jahr hat sich jedenfalls nicht negativ auf den Turnierbetrieb ausgewirkt. „Im kommenden Jahr haben wir dann wieder die Routine, die wir für ein solches Turnier brauchen“, sagt Scheurer, der keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass das Rakoczy Turnier nun wieder alljährlich über die Bühne geht.
Genau 90 Jahre alt wird der Reitervereins Bad Kissingen in diesem Jahr. Ein Verein, der sein Zuhause bis 1987 eigentlich im Bad Kissinger Tattersall hatte. Schon in den Anfangsjahren machte der Verein mit großen Reiterfesten auf sich aufmerksam. Bis zu 15 000 Besucher kamen in Sonderzügen in die Kurstadt, um die groß angelegten Reiterspiele von Quadrillentänzen bis hin zu Pferdefußball zu sehen. Scheurer weiß um die wechselhafte und höchst interessante Geschichte des Traditionsvereins. Er hat die jüngsten Unruhen leibhaftig miterlebt, als die Stadt den Neuen Reitersteg aus Gründen der Verkehrssicherheit abreißen musste und die Enttäuschung der Reiter riesengroß war. „Wir müssen immer wieder nach neuen Wegen suchen. Wir dürfen nicht stehen bleiben“, lautet das Credo des neuen Vorsitzenden.
Einschnitte. Zäsuren. Neuanfänge. Sie ziehen sich durch die Geschichte des Reitervereins wie ein roter Faden. Als die Stadtverwaltung den Luitpoldpark ab 1954 nicht mehr als Turnierplatz zur Verfügung stellte, ließen sich die Reiter nicht beirren und suchten neue Lösungsmöglichkeiten. In den 1960er Jahren kommt die deutsche Reiterelite geschlossen nach Bad Kissingen und setzt Akzente in der Saalestadt. Trotzdem steigt die Stadtverwaltung schließlich als Mitveranstalter der beliebten Reitveranstaltungen aus. Seitdem ist der Reiterverein als alleiniger Veranstalter gefragt und richtet seine Turniere in Eigenregie aus. Weil der Tattersall wegen vieler neuer Impulse im Verein, wie Faschingsreiten oder Rallyes, bald aus allen Nähten platzte, begann die Suche nach einer neuen Bleibe. 1987 wurden die Reiter fündig und haben seitdem in der Oberen Saline ihre Reitanlage. Dort sind heute Reitlehrerin Sophia Booms und Florian Scheurer die Pächter und kümmern sich vor allem um die Talentförderung der jungen Bad Kissinger Reiter.
In der Vergangenheit hatten die Kissinger bisweilen auf die schweren S-Springprüfungen verzichtet, um den Fokus noch stärker auf den Nachwuchs zu legen. Heuer wurden indes gleich zwei herausfordernde S-Springprüfungen ins Programm aufgenommen. „Wir müssen die Balance zwischen Nachwuchsförderung und anspruchsvollen Wettbewerben finden. Wenn wir auch die Kissinger als Zuschauer in die Au locken wollen, die eigentlich nichts mit Reitsport zu tun haben, dann braucht man dafür die schwierigen S-Springen. Wenn ein Pferd über ein 1,4 Meter hohes Hindernis springt, dann ist das eben etwas ganz Besonderes. Dann geht manchmal auch ein Raunen durch das Publikum“, erklärt Scheurer.
Umso wichtiger ist dem Kissinger Reitverein, dass die Teilnehmer ihre Grenzen kennen und ihre ganz persönlichen Fähigkeiten einschätzen können. „Wir haben sehr fairen Sport erlebt“, sagt stellvertretender Vorsitzender Dieter Dietrich. „Wenn ein Parcours zu anspruchsvoll für Pferd und Reiter war, dann haben die Teilnehmer schnell reagiert und nötigenfalls abgebrochen. Das war sehr lobenswert und sportlich“, zeigt sich Dietrich zufrieden. Denn nicht nur sportliche Höchstleistungen locken die Zuschauer auf das Turniergelände in der Au.
Einzigartiges Ambiente
Wenn in den Morgenstunden der Nebel von der Saale aufsteigt und sich die Sonne allmählich ihren Weg bahnt, dann zeigt sich, welch außergewöhnliches, ja einzigartiges Ambiente dieser Turnierplatz hat. Das historische Turniergebäude direkt neben dem Tower des Fliegervereins ist zwar mittlerweile erkennbar in die Jahre gekommen, aber die hölzerne Tribüne versprüht irgendwie auch ihren historischen Charme.