Wenn man sich mit Marco Hess über Fußball unterhalten will, muss man vor allem eines mitbringen: sehr viel Zeit. Der 51-jährige Vollblutfußballer aus Hendungen stellte im Gespräch mit dieser Redaktion dabei nicht seine eigene, mittlerweile 40 Jahre andauernde Laufbahn mit insgesamt über 1.000 Spielen in den Mittelpunkt und erst recht nicht seine zehn Tore für die SG Hendungen-Sondheim/Grabfeld II in der laufenden Saison der B-Klasse Rhön 3, was den zweiten Platz in der aktuellen Torjägerliste bedeutet. "Solche Statistiken interessieren mich nicht, ich war immer ein Teamplayer. Man gewinnt und verliert zusammen, die Spielklasse spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle."
In 40 Jahren hat Marco Hess keinen Platzverweis kassiert
Sorgen bereitet dem selbstständigen Schreinermeister und zweifachen Familienvater, der beim Fotoshooting mit dem Ball noch wie in seinen besten Zeiten jonglierte, allerdings die Entwicklung des Fußballs im Amateurbereich. "Das Interesse hat einfach nachgelassen. Es gibt zwar nach wie vor zahlreiche Talente, doch den meisten fehlt es am nötigen Ehrgeiz. Früher saß man nach den Spielen auch noch gemeinsam beisammen, heute sind die Spieler schon unmittelbar nach dem Abpfiff mit ihren Handys beschäftigt und haben bereits das nächste Event im Visier."
Marco Hess kann sowohl als Spieler ("Mein Ehrgeiz ist wohl Stärke und Schwäche zugleich") als auch Trainer ("Ich habe jeden Spieler, unabhängig von seinen Fähigkeiten, gleichbehandelt") auf eine äußerst abwechslungsreiche Karriere zurückblicken, in der er sich sowohl bei Mit- als auch Gegenspielern jede Menge Sympathien und Respekt erworben hat. In den 1990er Jahren war Hess, der bis heute keinen Platzverweis kassiert hat, zwischenzeitlich auch als Schiedsrichter auf den Sportplätzen der Region unterwegs.

Seine fußballerische Laufbahn nahm Anfang der 1980er Jahre so richtig Fahrt auf. Nachdem er kurz nach seiner Schuleinführung – damals gab es in Hendungen noch keine Schülermannschaft – bereits an Trainingseinheiten der älteren Jahrgänge teilgenommen hatte, spielte er von der D- bis zur A-Jugend zusammen mit Akteuren aus Sondheim/Grabfeld in der Nachwuchsmannschaft des FC Hendungen. Sein erster Trainer war Sondheims Ralf Leifer, "ein absoluter Fußballfachmann und eine Autoritätsperson".
Zwischenstationen beim TSV Großbardorf und TSV Aubstadt
Mit dem FC Hendungen wurde er im Herrenbereich in der Saison 1989/1990 Meister der C-Klasse, von 1993 bis 1998 ging er beim damaligen Landesligisten TSV Großbardorf auf Punkte- und Torejagd. "Das war eine super Zeit zusammen mit herausragenden Spielerpersönlichkeiten wie beispielsweise Klaus Zernentsch, Wolfgang Schmitt oder Andreas Lampert." Nach seiner Rückkehr aus Großbardorf gelang ihm als Spielertrainer mit seinem Heimatverein FC Hendungen in der Saison 1998/1999 prompt der Meistertitel in der A-Klasse, ehe er von 2004 bis 2006 beim damaligen Bezirksoberligisten TSV Aubstadt nochmals eine neue sportliche Herausforderung suchte und dort zusammen mit dem Aubstädter Ehrenspielführer Oliver Merkl auf Torejagd ging.
Mit 34 Jahren kehrte er zum FC Hendungen in die Reservemannschaft zurück, half, wenn Not am Mann war, aber auch in der ersten Mannschaft aus. Das ist bis zum heutigen Tag so geblieben. Beim Pokalspiel gegen den Kreisligisten TSV Bad Königshofen stand Marco Hess im August beispielsweise zusammen mit seinem Sohn Kristen auf dem Platz. In der Regel spielt der Routinier allerdings für die zweite Mannschaft der SG Hendungen-Sondheim/Gr., die in der B-Klasse Rhön 3 aktuell den zehnten Platz einnimmt.

"Dort macht es mir noch jede Menge Spaß, zumal öfters auch andere alte Recken wie Timo Kolano, Heiko Vetter, Oliver Kessler oder Detlef Schulz mit von der Partie sind. Man trifft ab und zu altbekannte Gesichter von früher, ebenso bei den AH-Spielen und die anschließende dritte Halbzeit ist meist noch interessanter als das Spiel selbst." Nach Spielende werde oft gefachsimpelt und sich an die guten alten Zeiten erinnert. Ob diese besser waren, mag Hess nicht pauschal beurteilen. "Sie waren auf jeden Fall anders. Früher stand der Fußball an sich im Mittelpunkt, auch bei den Profivereinen. Heute geht es dort doch nur noch ums Geld, ebenso aktuell bei der Fußball-WM in Katar."
Auch die Entwicklung des Frauenfußballs in der Region bereitet Marco Hess Sorgen
Hess war nicht nur Spielertrainer bei den Hendunger Männern, aktuell coacht er auch die Frauenmannschaft der SG Hendungen/Nordheim/Ober-/Mittelstreu in der Kreisliga, in der auch seine Tochter Selina mitwirkt. Mit etwas Wehmut denkt er an die Anfänge des Frauenfußballs in der Region zurück, als unabhängig vom Verband in der "Wilden Liga" die Meister gekürt wurden. "Da gab es fast ein Dutzend selbstständiger Mannschaften." Auch die inzwischen eingestampfte Rhöner Reserve Championsleague (RRCL) bezeichnet er als ideale Plattform für Freizeitsportler. "Da stand in erster Linie der Spaß am Fußball im Vordergrund und nicht das nackte Ergebnis."
Welche Trainer haben Hess in seiner langen Laufbahn am meisten geprägt? Beim TSV Aubstadt war es in erster Linie Dieter Müller ("Wir lagen in Sachen Fußball auf derselben Wellenlänge") und zu Großbardorfer Zeiten Theo Pottler. "Er hätte über die heutigen Fachausdrücke wie 'Falsche Neun' wohl eher geschmunzelt, er war noch ein Trainer vom alten Schrot und Korn mit klaren Vorstellungen. Sein Motto lautete: Fußball ist nicht alles im Leben, nur 99 Prozent."

Und welche Partie ist Hess besonders im Gedächtnis geblieben? Etwa die Meisterschaften mit dem FC Hendungen oder dem TSV Großbardorf? "Nein", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, "es war ein Spiel in der B-Klasse Anfang Oktober dieses Jahres. Wir lagen im Derby gegen die SG Mellrichstadt/Frickenhausen II nach knapp einer Stunde mit 0:4 zurück und gewannen am Ende noch mit 5:4. Dieses Spiel haben wir als Mannschaft gewonnen, so stell ich mir Fußball vor. Der Teamgeist stand bei mir vom Anfang meiner Karriere bis zum heutigen Tag immer im Mittelpunkt, man gewinnt und verliert zusammen." Mit keiner Silbe erwähnt er, dass er in dieser denkwürdigen Partie selbst drei Treffer erzielt hat.
Eine Frage muss zum Abschluss noch erlaubt sein. Warum tut sich ein positiv Fußballverrückter im relativ fortgeschrittenen Fußballalter noch die unterstes Spielklasse an? "Mir macht es nach wie vor noch jede Menge Spaß und solange es die Gesundheit zulässt, spiele ich weiter", so Marco Hess am Ende des fast eineinhalbstündigen Gesprächs.