Sauber abgegrätscht wurde A-Klassist FV Türkgücü Schweinfurt vom Corona-Virus: Gerade als sich die im Vorjahr unglücklich in der Relegation abgestiegenen Fußballer sportlich mit einer feinen Serie aufgerappelt hatten, stoppten sie erst die Winter- und dann die Zwangspause. Was den türkischen Klub härter trifft, als viele andere: Mit der Saison liegt auch ein langfristiges Integrationsprojekt auf Eis.
- Wie der FV Türkgücü Schweinfurt zum Vorzeigeverein in der Integration von Flüchtlingen wurde
"Die Mannschaft hatte sich gerade erst richtig kennengelernt und jetzt wird es so schwer, überhaupt Kontakt zu halten", sagt Abteilungsleiter Tayfun Akyol. Und meint damit nicht den üblichen personellen Umbau. Er meint damit vor allem die Integration von etlichen Flüchtlingen. Aktuell spielen in der ersten Mannschaft vier Stamm, dazu kommen noch sieben, die regelmäßig mittrainieren, in der zweiten Reihe. Menschen, die vor wenigen Monaten noch in Kriegsgebieten zu Hause waren.
Und plötzlich sind dann 20 Neue da
Jetzt leben sie im Schweinfurter Ankerzentrum, nur ein paar hundert Meter entfernt vom FV-Sportgelände. Immer, wenn dort ein Schwung neuer Geflüchteter eintrifft, "spricht es sich schnell herum, dass wir sie gerne bei uns Fußball spielen lassen und helfen wollen, sie in die deutsche Gesellschaft zu integrieren", so Akyol. "Da kann es schon mal sein, dass plötzlich 20 Neue da sind und mittrainieren" Phasenweise bestand die Türkgücü-Mannschaft zur Hälfte aus Flüchtlingen.

Aktuell dürfe sie das Ankerzentrum nicht verlassen. Zwischenzeitlich waren mehr als 60 Personen dort Corona-infinziert, die Menschen, die in die Freiheit fliehen wollten, sind in Quarantäne eingesperrt. "Die meisten haben kein Handy oder kein Gesprächsguthaben, ich kann sie kaum erreichen", sagt Akyol, der mit seinen Kollegen aus der Vorstandschaft trotzdem in den nächsten Wochen ein ambitioniertes Vorhaben umsetzen will: Die meisten der Flüchtlings-Kicker sind, wie auch das Gros der türkischstämmigen Mitglieder, Moslems - und noch bis zum 23. Mai läuft der Fastenmonat Ramadan. Das heißt: Kein Essen und Trinken von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang.
Extra Essen für die fastenden Flüchtlinge
Da im Ankerzentrum, den deutschen Gepflogenheiten gemäß, deutlich vor 21 Uhr serviert wird, ist die Essensversorgung für die Fastenden erschwert. Akyol und Co. wollen nun, wenn das letzte OK von der Zentrumsleitung gegeben ist, ihre Team-Kollegen mit "Fleisch, Reis und dem Nötigsten" zum selber Kochen versorgen - finanziert aus der Vereinskasse. Das Geld sei - obwohl mit dem jährlichen, vom Verein organisierten Flohmarkt auf dem Volksfestplatz eine maßgebliche Einnahmequelle auszufallen droht - weniger das Problem, eher die Kommunikation: "Die meisten kommen aus dem französischsprachigen Raum, Französisch spricht aber von uns kaum einer. Da hilft mir auch der Google-Translator nicht wirklich", so Akyol.
"Ohne Gemeinschaft läuft gar nichts, egal welche Nationalität du hast."
Türkgücü-Abteilungleiter Tayfun Akyol zur im Verein gelebten Integration
Die Türkgücü-Fußballer halfen "ihren" Flüchtlingen in den letzten Jahren stets bei Behördengängen, bei der Wohnungssuche, mit Fußball-Utensilien und Alltagsproblemen in einer für sie neuen Welt. Akyol betont, dass das für sie "als Verein mit Migrationshintergrund selbstverständlich, ja sogar eine Pflicht" sei. "Unsere Großväter haben den Verein gegründet und wurden mit Hilfe ihrer deutschen Arbeitskollegen integriert", weißt der 27-Jährige darauf hin, dass der Klub in dritter Generation besteht. Heute sei das angesichts der Vielzahl fremder Menschen im Land nicht mehr so einfach, Hilfe dringend nötig: "Ohne Gemeinschaft läuft gar nichts, egal welche Nationalität du hast."
Der Verein hat sich einen Ruf erarbeitet
Der FV Türkgücü hat sich als Integrations-Verein inzwischen über die Schweinfurter Grenzen hinaus einen Namen gemacht. Akyol: "Da ist schon Respekt spürbar, wenn einer von uns die Flüchtlinge zum Amt begleitet." Umso mehr bedauert der Abteilungsleiter, dass immer wieder Menschen, denen er geholfen hat, die im Verein mehr als eine sportliche Heimat gefunden haben, wieder gehen müssen - weil sie abgeschoben werden, oder in eine andere Stadt weiterziehen müssen.

Eine ständige Fluktuation, die auch sportlich nicht immer leicht zu verdauen sei: "Da sind schon manchmal fußballerische Granaten dabei" - die mitunter ausgerechnet im entscheidenden Saison-Endspurt plötzlich fehlen. Und genau das kann in der von der Corona-Krise geprägten Saison 2019/20 erst recht passieren. Da die Runde nach dem Beschluss des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) von vergangener Woche frühestens nach dem 31. August fortgesetzt wird, dürften einige der aktuell elf Flüchtlinge im Verein nicht mehr hier sein.
Fasten beeinträchtigt die Leistung
Ein bisschen kann Tayfun Akyol, der seine Fußballschuhe schon länger an den Nagel gehängt hat ("ich war vom Niveau her limitiert") und seitdem Mädchen für alles beim FV Türkgücü ist, der Zwangspause auch Positives abgewinnen - freilich nur für den Mai. Denn neben ihm fasten auch die meisten Spieler während des Ramadan. Ernährungs- und Lebensweise, "die uns demütig und gewahr machen sollen, wie Menschen leben, denen es nicht so gut geht", seien kontraproduktiv für sportliche Leistung.

Die Folgen des Ramadan hatten den Türken vor knapp einem Jahr die Substanz in der Relegation gekostet. "Von daher können wir diesmal, so unschön die Pause ist, im Endspurt noch einmal Gas geben." Gleichwohl der Fitnesszustand der Spieler im Herbst einer Wundertüte gleichen könnte: Trainer Ertugrul Odlukaya habe den Jungs zwar Hausaufgaben gegeben, ob diese sie beherzigen, stehe freilich auf einem anderen Blatt.
Zwei Wochen Vorbereitung zu wenig
Deswegen hält Akyol auch die Ankündigung des BFV für schwer haltbar, den genauen Rundenbeginn mit zwei Wochen Vorlaufzeit bestätigen zu wollen: "Wir wissen ja noch nicht, wann Mannschaftstraining wieder erlaubt ist. Zwei Wochen Vorbereitung sind zu wenig, eine so knappe Zeit steigert das Verletzungsrisiko in den ersten Spielen."
Fußball im Wandel - die SerieVerwaiste Sportplätze, verlassene Vereinsheime und ein grassierender Bedeutungsverlust bei Jung und Alt: Was ist aus unserem Fußball geworden? Stirbt hier, in den Dörfern und Städten, ein Kulturgut, das einmal emotionaler Halt und sozialer Kitt dieses Landes war? Dieser Frage wollen wir nach- spüren in unserer großen Serie „Fußball im Wandel“. Wandel bedeutet Veränderung, nicht selten unter Druck und Zwang. Aber Wandel bietet stets auch Chancen für Neues, für bisher Unentdecktes. Zwischen diesen beiden Polen, Tradition und Moderne, Umbruch und Aufbruch, werden wir uns in den nächsten Monaten bewegen. Wir wollen wissen: Wie hat sich der uns so vertraute Fußball ver- ändert? Was macht der Wandel mit Vereinen und Verband? Weshalb gelingt der Umbruch im einen Dorf besser als im anderen nebenan? Was tun mit Vereinsheim und Sportgelände, wenn der Fußball nicht mehr rollt? Wir hören Experten, diskutieren mit Trainern über die wahre Lehre, über Taktiken und Strategien – und gerne auch mit Ihnen. Wenn Sie Ideen und Anregungen für diese Serie haben, bitte melden an: Main-Post, Sportredaktion, Berner Straße 2, 97084 Würzburg, ? (09 31) 60 01 - 237 E-Mail: red.sport@mainpost.de