Günter Traub ist 82 – und noch immer kein bisschen müde: Der zweifache Olympia-Teilnehmer und unter anderem zweifache Weltmeister im Rollschnelllauf sowie zweimaliger Eisschnellauf-Vierkampf-Weltrekordler, wagt sich heute noch selbst auf die Bahn, weil er, wie er lachend erklärt, "noch immer ein Ziel braucht". Das hatte der 1939 geborene Schweinfurter, der schon 1959 den Rollschnelllauf-Weltrekord über die halbe Meile knackte, auch, als er mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder Jürgen in Innsbruck und Grenoble 1964 und 1968 an den Olympischen Winterspielen teilnahm.
Obwohl Traub keine Medaillen holte und über 5000 beziehungsweise 10 000 Meter jeweils auf Rang elf landete, wurde er später ein gefragter Eisschnelllauf-Trainer. Er war für die Nationalteams der USA und Italiens verantwortlich, nachdem ein schwerer Unfall seine aktive Karriere 1969 beendet hatte. Mit den Italienern ging der Schweinfurter noch als Coach bei den Winterspielen 1972 in Sapporo (Japan) an den Start, ehe sich der Diplom-Sportlehrer als Fitness-Trainer einen Namen machte.

Mittlerweile verfolgt der Wahl-Schweizer Olympia nur noch von seinem Sofa in St. Moritz aus. Sind die Spiele für ihn überhaupt noch Genuss? Ein Gespräch über den Wandel im Wintersport, kuriose Erlebnisse in Russland und wahre Wertschätzung für Olympioniken.

Frage: Herr Traub, waren Sie schon mal in China für einen Wettkampf?
Günter Traub: Während meiner aktiven Laufbahn war ich nie bei einem Wettbewerb in China, da dieses Land vor 50 Jahren im internationalen Sport noch eine, sagen wir, sehr untergeordnete Rolle spielte.
In einem anderen kommunistischen Land?
Traub: 1962, am Rande der WM in Moskau, habe ich echt kuriose Dinge erlebt: Beim Rennen wurde mir unter anderem ein Fehlstart meines russischen Gegners angelastet. Als ich mit meinem Teamkollegen Gerhard Zimmermann in unserem Hotelzimmer war, kam auch mal ein DDR-Mann rein. Der legte seinen Mantel über das Telefon, damit wir nicht abgehört werden – und wollte uns dann abwerben (lacht). Zu der Zeit war ich auch noch bei der Bundeswehr und hätte hinter dem Eisernen Vorhang gar nicht starten dürfen. Das haben meine Vorgesetzten, so habe ich 25 Jahre später erfahren, auf ihre Kappe genommen. Ich kann mir vorstellen, dass das in China manchmal ähnlich abläuft.
Seit Ihren Olympia-Starts sind mehr als fünf Jahrzehnte vergangen. Sind die Spiele von damals noch mit denen der vergangenen Jahre vergleichbar?
Günter Traub: Sicher lassen sich die äußeren Umstände in den 60er Jahren nicht mehr mit der Ausrichtung der aktuellen Spiele vergleichen. Heute stehen auf vielen Gebieten vor allem das umstrittene politische National-Interesse sowie der kommerzielle Gewinn und der Profit im Vordergrund. Diese modernen Umstände der Durchführung infolge neuer, jedoch sehr umstrittener Richtlinien, haben sich in eine geradezu gigantisch falsche Richtung entwickelt.

Stellt das die Grundidee der Olympischen Spiele Ihrer Meinung nach infrage?
Traub: Die sehr umstrittenen politischen Einflüsse, gerade während der Austragung im russischen Sotschi, die gewaltigen Prestige-Kosten-Explosionen und die Doping-Manipulationen der gastgebenden russischen Nation sowie die aktuell fast untragbaren Staatsmanipulationen in China werfen ein sehr schlechtes Licht auf die eigentliche Grundidee der Olympischen Spiele, den olympischen Geist. Und das ist nicht alles.
Worauf spielen Sie an?
Traub: Noch dazu kommt vor allem, dass diese Länder vom Internationalen Olympischen Komitee unter der Leitung von Präsident Thomas Bach in ihren Austragsformen anerkannt und gutgeheißen werden. Sie werden von ihm mit mehr oder weniger fadenscheinigen Auslegungen des olympischen Gedankens unterstützt. Diese durchschaubaren Manipulationen werden von der breiten Weltöffentlichkeit nicht mehr akzeptiert. Denn es ist auch bekannt, dass sich das IOC seit Jahrzehnten mithilfe der ursprünglichen olympischen Idee extrem bereichert hat.
"Viel wichtiger als eine kurze Siegerehrung ist aber: Wenn man gewinnt, bleibt man für immer Olympiasieger und wird teilweise lebenslang verehrt."
Günter Traub über die Gefühle der Athletinnen und Athleten
Also lebt der "olympischen Geist", den Sie ansprechen, gar nicht mehr?
Traub: Der olympische Geist lebt noch! Für viele Athletinnen und Athleten hat der Grundgedanke, sich mit den Besten zu messen, nichts von seiner Faszination eingebüßt. Durch sie lebt er weiter.
Obwohl in Peking pandemiebedingt internationale Zuschauer und Fans, die normalerweise auch Teil dieser Faszination sind, rund um die Sportstätten fehlen?
Traub: Heute wissen alle aktiv Teilnehmenden von vornherein, dass fast alle Zuschauer und angeblichen Fans nur linientreue Statisten und Marionetten sind, die vom nationalen chinesischen Komitee und der chinesischen Staatsregierung ausgesucht beziehungsweise abkommandiert werden, um vor allem das äußere Gesicht der Spiele zu wahren.
Was denken Sie: Leidet darunter das Erlebnis für die Sportlerinnen und Sportler?
Traub: Es existieren nur wenige echte Zuschauer und Fans, die sich aus Betreuern, Trainern, zugelassenen Journalisten und Fotografen rekrutieren. Diese Fachleute schätzen die Leistungen ihrer Schützlinge, aber auch die aller anderen Athleten, nach wie vor objektiv ein. Dementsprechend erfahren alle teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler eine wahre Wertschätzung und eine echte, gerechte Anerkennung. Dies ist ihnen sehr viel wert. Viel wichtiger als eine kurze Siegerehrung ist aber etwas anderes.
Was meinen Sie?
Traub: Wenn man gewinnt, bleibt man für immer Olympiasieger und wird teilweise lebenslang verehrt. Das ist dann auf jeden Fall ein Erlebnis.