Wenn an diesem Samstag (4. Juni, 17 Uhr) die European League of Football (ELF) mit dem Spiel Cologne Centurions gegen Istanbul Rams in die neue Saison startet, wird der Karlstadter Frederic Latour erst mal noch vor dem Fernseher sitzen. Im Kreise einiger Mitspieler wird der 21-Jährige den Auftakt in der besten europäischen American-Football-Liga verfolgen. Keine 24 Stunden später geht es für ihn selber aufs Feld.

Latour, geboren in Würzburg, aufgewachsen bis zu seinem vierten Lebensjahr in Thüngersheim und danach in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart), wo seine Eltern auch heute noch leben, ist Wide Receiver – also Passempfänger – beim ELF-Team Stuttgart Surge. Am Sonntag (5. Juni, 15 Uhr) steht für die Schwaben das erste Saisonspiel gegen die Barcelona Dragons an. Nach einer für die Mannschaft weniger erfolgreichen Premierenspielzeit soll es in der kommenden Runde besser laufen. Das Ziel: die Play-offs.
NFL-Spieler sind Vorbilder für Frederic Latour
Dazu beitragen will auch Latour. "Mein Ziel für diese Saison ist es, meine Chancen zu bekommen, möglichst viele Einsätze zu haben und möglichst viele Bälle zu fangen", sagt er mit Blick auf die anstehenden Monate. Nachdem er in der abgelaufenen Spielzeit nicht auf allzu viele Einsätze gekommen war, soll es nun besser laufen. "Ich möchte mich einfach beweisen und zeigen, dass ich auf den Platz gehöre."
Während der spielfreien Zeit habe er sich viele Trainings von NFL-Spielern angeschaut und versucht, Dinge in sein eigenes Training zu übernehmen, erzählt der 21-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion. Zwar sei sein persönliches Vorbild – Stefon Diggs von den Buffalo Bills – "gigantisch weit weg", dennoch könne er von dem Topstar sehr viel lernen.
ELF-Spieler Frederic Latour studiert in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik
Nun ist Latour allerdings kein Profi-Footballer, der nichts anderes macht als zu trainieren. Zwar verdient er mit dem Sport ein wenig Geld, davon leben kann er allerdings nicht. Daher studiert der Karlstadter neben dem Sport Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart. Ein anspruchsvolles und aufwändiges Fach. Daher ist das Pensum, das Latour bewältigen muss, sehr groß
"Letzte Saison war es auf jeden Fall sehr, sehr stressig", sagt Latour, der jetzt im sechsten Semester ist. Vorlesungen, Lernen, Prüfungen, Tutorien – dazu abends das Training, an den Wochenenden Spiele. "Man kommt erst um halb zwölf, zwölf abends wieder nach Hause und muss am nächsten Tag wieder um acht Uhr in die Vorlesung."
Außergewöhnliche Erfahrungen dank Reisen mit ELF-Team Stuttgart Surge
Neben dem Training mit der Mannschaft schiebt der Passempfänger auch noch Sondertrainigsstunden und kümmert sich um seinen Körper. "Ich bin 1,93 Meter groß und wiege derzeit etwa 90 Kilogramm", sagt er. Sein Ziel seien 95 bis 97 Kilogramm. Auf dem Trainingsplan stehen verschiedene Dinge. Darunter: Heavy Lifting. "Also ins Fitnessstudio und dann Reißen oder andere Gewichtshebe-Übungen machen, da das die Explosivität fördert", erklärt Latour. Dazu komme "Athletiktraining, auch an Geschwindigkeit und Explosivität arbeiten. Da kommt schon einiges zusammen."

Das Training sei nicht vorgeschrieben, sondern ein Eigeninteresse. "Unter den einzelnen Spielern besteht schon eine gewisse Konkurrenz. Klar ist alles freundschaftlich, das ist auch wichtig, aber es geht eben auch um die Stammplätze", sagt Latour.
Der Aufwand zahlt sich für den Karlstadter aus, denn er darf außergewöhnliche Erfahrungen sammeln. Mit Blick auf das Spiel in Barcelona in der vergangenen Saison erzählt Latour: "Es war ein tolles Gefühl, mit dem Bus zum Flughafen zu fahren, mit den Team-Uniformen ins Flugzeug zu gehen und als eine Einheit aufzutreten. Dann wird man mit dem Bus über abgesperrte Straßen zum Stadion gebracht, und die letzten hundert Meter mit Blaulicht begleitet. Das ist ein Mega-Gefühl." Solche Erfahrungen seien für ihn das Wichtigste am Sport.
Seine Liebe dazu hat Latour in einem USA-Urlaub als Jugendlicher entdeckt, bei einem NFL-Vorbereitungsspiel in Houston. Die Texans spielten damals gegen die New Orleans Saints. "Es ist komplett anders als Fußball, finde ich. Die Spieler sehen ganz anders aus, die Bewegungsabläufe sind ganz anders und meiner Meinung nach viel dynamischer und explosiver."
Probetraining bei den Würzburg Panthers
Die Erfahrung sei eine vollkommen neue für ihn gewesen. "Es sah sehr ästhetisch aus, und ich fand es so cool, dass ich mir gedacht habe, ich probiere es mal und informiere mich, welche Teams es im Umkreis von Würzburg oder Karlstadt gibt", sagt er. Mit einem Freund sei er dann zum Probetraining bei den Würzburg Panthers gegangen, bei denen er eine "super Zeit" hatte, wie er sagt. Besagter Freund habe nach einem Jahr verletzungsbedingt aufhören müssen.
Latour selbst ist von schweren Verletzungen bisher verschont geblieben. Klar sei immer mal eine Kleinigkeit, ein ausgekugelter Finger oder gedehnte Bänder, aber wirklich schlimm wurde es bisher noch nie. "Am Anfang war ich zwar ein bisschen skeptisch, ob ich der Ausrüstung vertrauen kann. Aber das hat sich mit der Zeit gelegt", sagt er.
"Klar, auch in der ELF, in der teilweise 110-Kilo-Verteidiger mit hoher Geschwindigkeit auf dich zukommen, bekommt man es kurz mit der Angst zu tun. Aber das gehört dazu, auch mal einen harten Hit einstecken zu müssen", meint Latour. Wenn man Angst habe und zurückschrecke, sei das Verletzungsrisiko nur noch größer. Also: Augen zu und durch.
Marcel Dabo hat den Sprung in die NFL geschafft
Ein ehemaliger Teamkollege aus Stuttgart – Verteidiger Marcel Dabo – hat es über ein für nicht-amerikanische Spieler geschaffenes Programm zuletzt in die NFL geschafft. Will Latour das auch? Das sei ein "sehr ambitioniertes Ziel", sagt er. Aber: "Natürlich ist es von jedem ELF-Athleten ein Traum, irgendwann mal in der NFL zu spielen." Der Fokus des Karlstadters liegt aber nicht darauf. "Ich spiele Football, weil ich den Sport liebe und es mir unwahrscheinlich viel Spaß macht."
Was ist die European League of Football?Die European League of Football (ELF) ist die beste europäische Liga im American Football. Commissioner, also so etwas wie der Hauptverantwortliche für die Liga, ist Patrick Esume, der insbesondere als TV-Experte für ProSieben und Sat.1 bei NFL-Spielen bekannt ist.Die Premierensaison startete am 19. Juni 2021 mit acht Teams, für die kommende Spielzeit (ab 4. Juni) wurde die ELF auf zwölf Teilnehmer aufgestockt. In der Liga spielen Mannschaften unter anderem aus Barcelona, Köln, Berlin, Istanbul und Wien. Erst vor Kurzem gab die ELF die Erweiterung um drei Teams für die Spielzeit ab Sommer 2023 bekannt. Diese kommen aus Mailand, Zürich und der ungarischen Stadt Székesfehérvár.Quelle: lei