Dieser Novembernachmittag ist mehr Ausnahme als Regel: Die Rhön ist weiß gepudert. Ewald Simon hebt schwungvoll seine Ski aus dem Auto. "Wenn es die Verhältnisse hat, geht’s los", sagt der Vorsitzende des Wintersportvereins (WSV) Oberweißenbrunn und läuft flink am Kloster Kreuzberg vorbei bergaufwärts. Auf einer Wiese dreht er jauchzend einige Runden. Er zeigt einige Meter weiter, wo manchmal Loipen gespurt sind und sich der Blick auf die Rhön eröffnet. "Da ist für mich der Langlaufhimmel", sagt Simon.
Auch da oben wird der Schnee allerdings schon in den nächsten Tagen wieder geschmolzen sein.

Das bayerische Umweltministerium verdeutlicht in seinem Klimareport von 2021, dass ein solches Intermezzo längst Normalität ist. Dem Bericht zufolge gab es zwischen 1971 und 2000 in der Rhön-Spessart-Region durchschnittlich 103 Frosttage und 30 Tage, an denen die Temperatur nie über Null Grad anstieg.
Für die nächsten 30 Jahre werden bayernweit im Mittel bis zu 46 Frost- und 18 Eistage weniger erwartet, sollten die Ziele des Paris Klimaabkommens nicht eingehalten werden. Für die Rhön-Region bedeutet das, dass sich die Wintersaison fast halbieren wird. In der zweiten Jahrtausendhälfte dürfte Schnee nur noch ein seltenes Phänomen sein.
Mehr Sommer- als Wintersport
Simon erinnert sich gut an die Zeit, als die Ski im November herausgeholt wurden und die Saison bis in den April reichte. Sein Verein hat deshalb vor ein paar Jahren ein Symposium ins Leben gerufen. "WSV 2030" lautete der Titel der Veranstaltung, zu der speziell die Jüngeren eingeladen waren.
In der Vereinssatzung wurde verankert, sich stärker auf Sommersport zu konzentrieren. Das komme gut an, meint Simon, der das Skifahren von seinem Vater gelernt hat. Jede Woche üben um die hundert Kinder und Erwachsene in Turn- und Gymnastikgruppen. "Mittlerweile haben wir im Sommer fast mehr Veranstaltungen als im Winter."

Die Ski-Tradition will der Oberweißenbrunner trotzdem an die Jüngeren weitergeben. Vor ein paar Jahren hat sich wieder eine Langlaufgruppe gegründet, in der etwa 20 Kinder trainieren. Für die schneearme Zeit wurden Skiroller besorgt. "Der Bedarf ist da", freut sich Simon. Manchmal fährt die Gruppe auch in die Skihalle nach Oberhof.
Leistungsträger hat der Verein in den vergangenen Jahren nur noch bei den Rhönadler genannten Skispringern hervorgebracht. "Wir waren in allen Bereichen vorn dabei", blickt Simon zurück. Inzwischen starten abgesehen von den Skispringern nur noch im Seniorenbereich WSV-Sportler bei Wettbewerben. "Heute bremsen viele Eltern", lautet die Beobachtung von Simon.
Fokus auf einzelne Events
Den Eindruck teilt auch Barbara Enders vom Rad- und Wintersportverein (RWV) Haselbach. Im RWV gibt es derzeit weder eine Langlauf- noch eine alpine Trainingsgruppe. Einzelne Talente fahren in den Fördergruppen der benachbarten SKG Gersfeld in Hessen. Enders sucht die Gründe weniger im Schnee als vielmehr in der schwierigen Trainersuche. "Das Problem ist die Work-Life-Balance, denn in einen Verein investieren, bedeutet auch Arbeit", sagt die begeisterte Alpinskifahrerin.
Im Breitensport sei der Verein aber unheimlich aktiv, betont Enders, und erzählt vom jährlichen Skirollerrennen, dem Radtraining mit den Kindern der Kreuzberg-Schule, dem Ferienprogramm, Zeltlagern, Sandburgenbauen oder dem Holzklotzschieben an der Kunststoffeisbahn. "Es geht von einem Event zum nächsten und es kommen Junge nach, die Aufgaben übernehmen."
Kreuzbergschanzen in Haselbach sind beliebt
Diese Beobachtung hat auch der Bayerische Skiverband (BSV) gemacht. In Unterfranken seien derzeit etwa 5100 Mitglieder in 33 Vereinen organisiert. "Die Anzahl der Vereine hat sich in den letzten Jahren weitgehend stabil gehalten, obwohl die Herausforderungen durch den Klimawandel und veränderte Schneeverhältnisse spürbar sind", sagt Geschäftsführer Wolfgang Weißmüller.
"Der Mensch hat es kaputt gemacht, nun müssen wir damit leben."
Barbara Enders
Auch an den Kreuzbergschanzen bei Haselbach geht es voran. In diesem Jahr sollen ein kleiner Lift und eine Beleuchtung installiert werden. Die Schanzen sind bei Trainingsgruppen aus der ganzen Region beliebt, da sie sich natürlich an den Berg anschmiegen. "Da bauen viele Trainer drauf", sagt Barbara Enders.
Genutzt werden sie nur im Sommer, da man die Matten im Winter zu Fuß mit Netzen bespannen müsste. "Das würde sich nur rentieren, wenn der Schnee hält", sagt Enders. Dennoch bringt die Region noch immer einzelne Talente hervor. Die Ostheimerin Anna Chlebowy ist so stark, dass sie mittlerweile in Oberstdorf trainiert, Jannis Kansog ist nach Oberhof gewechselt.
In Zukunft wieder mehr Radsport?
Er stammt vom WSV Oberweißenbrunn, der die Kreuzbergschanzen ebenfalls nutzt. Beide Vereine betonen die gute Zusammenarbeit. Wahrscheinlich gebe es irgendwann nur noch einen großen Sportverein in der Rhön, überlegt Enders. In der Region sei man es gewohnt, sich anzupassen. Wenn zum jährlichen Nachtfackellauf mal wieder der Schnee fehlt, wird trotzdem gelaufen. "Der Mensch hat es kaputt gemacht, nun müssen wir damit leben."

"Die Skiroller simulieren das Fahren eh viel besser", findet Ewald Simon. Trotz der düsteren Klimaprognosen denkt er positiv. "Was geblieben ist, ist die Gemeinschaft", sagt der Vereinschef. Mit 760 Mitgliedern ist der WSV der größte Wintersportverein in der Rhön, und er ist in den vergangenen Jahren wieder gewachsen. Weißmüller zufolge spürten vor allem Vereine mit einem breiteren Angebot einen Aufwärtstrend.
In Oberweißenbrunn ist man durch großes Engagement und Förderungen von verschiedenen Ebenen gut durch die Pandemie gekommen. Nun sollen sich der Vorstand verjüngen und das Sommerangebot weiter ausgebaut werden. Simon kann sich vorstellen, wieder mehr Radsport zu etablieren, der Verein hat eine lange Tradition im Mountainbike und Rennradfahren. "Wir nutzen alle Möglichkeiten, die es noch gibt."