Wer nicht weiß, was er oder sie studieren soll, studiert BWL. So jedenfalls geht das gängige Klischee, mit dem sich wohl die allermeisten BWLer schon konfrontiert sahen. Zwar ist fraglich, wie viel Wahrheit darin tatsächlich steckt, doch die reinen Zahlen lassen diesen Schluss durchaus zu.
Rund 39.000 Menschen studierten im Wintersemester 2022/2023 an einer bayerischen Hochschule Betriebswirtschaftslehre, knapp 15.000 mehr als den zweithäufigsten Studiengang Informatik. Das Gegenstück zu diesen Massenfächern bilden die sogenannten "Kleinen Fächer", die mitunter jedes Jahr nur ein paar Handvoll Studierende anziehen. Darunter findet sich so einiges Kurioses, jedoch auch Disziplinen, die wichtige gesellschaftliche Bedürfnisse behandeln.
Kultusministerkonferenz fördert die Kartierung kleiner Fächer
Dass die kleinen Fächer nur vermeintlich klein sind, hat dementsprechend auch die deutsche Kultusministerkonferenz erkannt. "Von Abfallwirtschaft bis Zukunftsforschung sind die vermeintlich so kleinen Fächer von großer gesellschaftlicher Relevanz", wird der saarländische Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker in einer Pressemitteilung zitiert. Seit Jahresbeginn fördern die Bundesländer daher die Arbeitsstelle 'Kleine Fächer' an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, deren Aufgabe es ist, diese Disziplinen zur kartieren, sie sichtbar zu machen und bundesweite Entwicklungen im Auge zu behalten.
"Kleine Fächer haben an ihren jeweiligen Standorten drei oder weniger Professuren. Oft sind das auch nur wenige Standorte, und auch wenn es kein Kriterium ist, haben mehrere von ihnen relativ wenige Studierende", erklärt Katharina Bahlmann, die Leiterin der Arbeitsstelle. Viele der Disziplinen stammen aus den Sprach- und Kulturwissenschaften, wie die Finnougristik-Uralistik, die sich mit dem Finnischen, Ungarischen und Estnischen beschäftigt.
Doch in allen Fachbereichen finden sich Studiengänge, von denen die wenigsten gehört haben dürften. So beschäftigt sich beispielsweise die Motologie mit dem Zusammenhang zwischen Psyche und Bewegung und die Archäometrie mit naturwissenschaftlichen Methoden, die Antworten auf archäologische und historische Fragestellungen liefern können.
Neben solchen Exoten finden sich auf der Liste der kleinen Fächer jedoch auch solche, deren gesellschaftlicher Nutzen schon auf den ersten Blick deutlich wird. Dazu gehört beispielsweise das Gebärdensprachdolmetschen, das unerlässlich ist, um die größten Barrieren für Gehörlose abzubauen. Oder die Hebammenwissenschaft, eines der Fächer aus dem Gesundheitsbereich, die aktuell akademisiert werden, unter anderem um den Nachwuchsmangel des Berufsstandes zu bekämpfen. Die Herausforderungen sind dabei, unabhängig vom gesellschaftlichen Nutzen, für viele kleine Fächer ähnlich. Wenn das Geld an den Hochschulen knapp ist, müssen kleine Fächer oft als erste um ihren Erhalt fürchten.
Zwar gibt es immer wieder Förderprogramme für einzelne Fächer, ein ständiger Kampf bleibt die Finanzierung für viele von ihnen dennoch. Oft braucht es ein bestimmtes öffentliches Interesse, damit Gelder fließen. Ein Beispiel dafür ist die Islamische Theologie, mit der unter anderem der Religionsunterricht für Muslime gestärkt werden soll und die dadurch mittlerweile nicht mehr zu den kleinen Fächern zählt. Zudem unterstützten in den vergangenen Jahren verschiedene Förderprogramme gezielt die Gruppe der kleinen Fächer. Aktuell gibt es solche Ausschreibungen nach den Worten Bahlmanns aber nicht.
In Bayern übrigens sind die Rahmenbedingungen für die kleinen Fächer vergleichsweise gut, weil der Freistaat finanziell relativ gut dasteht und er sich durch eine hohe Dichte an großen Universitäten auszeichnet. Die Ludwig-Maximilians-Universität in München ist gar die Hochschule in Deutschland, welche die meisten kleinen Fächer anbietet. Auch die Otto-Friedrich-Universität in Bamberg sei für die kleinen Fächer eine unheimlich wichtige Universität, sagt Bahlmann, weil dort die Studienprogramme sehr flexibel gestaltet und spezialisierte Disziplinen somit auf dem Lehrplan gehalten werden können.
Viele kleine Fächer leiden an Nachwuchsmangel
Ein zentrales Problem ist jedoch das oft mangelnde Interesse der Studierenden, sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund der fehlenden Sichtbarkeit der Disziplinen. "Die Fächer müssen natürlich auch attraktiv für Studierende sein, zum Beispiel, was die spätere Bezahlung angeht", sagt Bahlmann. Daneben sei wichtig zu zeigen, was es neben dem Mainstream für Möglichkeiten gibt und wie spannend viele der Fächer seien, auch jene, deren Nutzen sich nicht auf den ersten Blick erschließt.
Widmen sich denn nun die Studierenden, die sich trotz der Widrigkeiten für ein kleines Fach einschreiben, auch leidenschaftlicher ihrem Metier als der ambitionslose Klischee-BWLer? "Wir haben dazu keine Daten, aber auf Fachtagungen hört man schon, dass sich die Studierenden, die sich direkt für die spezialisierten Fachstudiengänge einschreiben, oft sehr motiviert sind und genau wissen, was sie wollen."