Er hat vor über 30 Jahren den Nationalpark Wattenmeer mitbegründet, hat als Präsident des WWF die Entwicklung der anderen 15 Nationalparks in Deutschland mitbegleitet und zuletzt in Brasilien einen Nationalpark am Amazonas mitveranlasst.
Detlev Drenckhahn, emeritierter Professor für Anatomie an der Uni Würzburg, kennt den Wert geschützter Naturräume – und genauso gut die Widerstände dagegen. Ein Gespräch über Kreidefelsen, Urwälder und die Lage im Spessart.
Frage: Herr Professor Drenckhahn, welcher Nationalpark auf der Welt ist der schönste? Wo waren Sie von der geschützten Natur am stärksten beeindruckt?
Prof. Detlev Drenckhahn: Für mich immer noch der Yellowstone-Park in den USA! Er ist nicht nur der älteste, sondern auch der vielfältigste Nationalpark der Erde mit aktiven Geysiren, Schlammvulkanen und Sinterterrassen, imposantem Hochgebirge, einem atemberaubenden Canyon mit gewaltigen Wasserfällen und einer reichen Großtierwelt mit Bären, Elchen, Bisons, Gabelantilopen und Wölfen, die man gut beobachten kann.
Der jüngste Nationalpark, den Sie mitinitiiert haben, liegt in Brasilien. Da geht es weniger um Imposanz, oder?
Drenckhahn: Es ist der Juruena-Nationalpark im Süden des Amazonasgebietes. Er ist mit 22.000 Quadratkilometern so groß wie Hessen und ein völlig unberührter Regenwald. Das Gebiet wirkt als Bollwerk gegen das Vordringen der Landwirtschaft in das Amazonasgebiet.
Illegale Rodungen sind dort jetzt gestoppt. Die Weltbank und auch Deutschland sind durch internationale Verträge an der Finanzierung der Amazonasschutzgebiete beteiligt. Die Parks sind dadurch sicher.
Ihr erster Nationalpark war vor über 30 Jahren das Wattenmeer. Wie kam's?
Drenckhahn: Dort bin ich aufgewachsen und habe mich seit meiner Jugend intensiv mit den wandernden Vogelarten im Wattenmeer beschäftigt und die ersten Veröffentlichungen darüber geschrieben: Zeitweise halten sich dort erhebliche Teile der Weltbestände von wandernden arktischen Vogelarten auf – eine große internationale Verantwortlichkeit für Deutschland. Die Landesregierung wollte trotzdem riesige Wattflächen und Salzwiesen für neue Ackerflächen durch Deiche abgliedern. Das war wie eine Kriegserklärung an den Naturschutz. Aus diesem über viele Jahre geleiteten Kampf für das Wattenmeer ist der Nationalpark entstanden. Inzwischen ist das Gebiet Weltnaturerbe geworden.

Wattwiesen statt Ackerland – begeistert waren damals aber sicher nicht alle, so wie jetzt im Spessart?
Drenckhahn: Die Bevölkerung war zu Anfang natürlich skeptisch. Die Situation an der Küste ist überhaupt nicht mit der im Spessart zu vergleichen, denn das ganze Gebiet sollte zum Nationalpark werden. Es ging um Fischerei. Sportboote, Hafenrechte, Nutzung der Badestrände, Küstenschutz. Alle traditionellen Nutzungen schienen infrage gestellt, so die Scharfmacher. Aber nach der Nationalparkgründung 1985 wurde sehr bald erkannt, dass diese Drohszenarien gar nicht zutreffen. Es erfüllt die Küstenbewohner mit Stolz, nun auch als Weltnaturerbe anerkannt zu sein. Die Tourismusentwicklung ist steil aufwärts gegangen. Wenn der Nationalpark jetzt abgeschafft werden sollte, würden die Anwohner auf die Barrikaden gehen.
In welchem der 16 deutschen Nationalparks sind Sie besonders gerne?
Drenckhahn: Der Nationalpark Jasmund auf Rügen mit seiner wilden Kreidefelsenküste ist etwas ganz Besonderes, nicht nur, weil ich dort Aufsichtsratsvorsitzender des Nationalpark-Zentrums bin. Die unverfälschte Wildnis mit teils uralten Buchenbeständen, schroffen Kreidefelsen, mit gewaltigen ins Meer abstürzenden Felsabbrüchen und Bäumen zieht mich immer wieder in ihren Bann.
Was schätzen Sie als Mann der Küste an den Nationalparks im Landesinneren?
Drenckhahn: Alle Nationalparks sind herausragende Naturgebiete von gesamtstaatlicher Bedeutung. Sie repräsentieren die wichtigsten Naturregionen Deutschlands vom Hochgebirge, den meisten Mittelgebirgen und der Seenlandschaft des Flachlands. Alle sind auf ihre Art etwas Besonderes. Meine Favoriten sind der Nationalpark Harz, die Sächsische Schweiz und der Bayerische Wald.
Dann schwärmen Sie doch mal.
Drenckhahn: Die Sächsische Schweiz ist aufgrund der urigen Sandsteinformationen und Schluchten sehr beeindruckend. Im Bayrischen Wald hatte der Borkenkäfer in den Höhenlagen einen mehrere Tausend Hektar großen Kahlschlag erzeugt: So weit das Auge reichte, alles grau und braun wie nach einem Waldbrand. Das war vor 15 Jahren. Jetzt stehen dort haushohe Laubbäume, die über umgestürzten Baumstämmen hochwachsen. Das ist ein derart unvorstellbar vielfältiger Wald aus Nadelbäumen, Laubbäumen und Sträuchern und massenhaft Totholz, wie ein Urwald undurchdringlich. Eine der interessantesten und schönsten Mischwaldlandschaften in Europa überhaupt. Und die anderen Nationalparks wie Hochschwarzwald, Müritz, Hainich, Hunsrück oder Harz sind vom Landschaftserlebnis und ihrer vielfältigen, wilden Natur für jeden Naturfreund ein wunderbares Erlebnis.

Sind wirklich alle 16 Nationalparks in Deutschland wichtig?
Drenckhahn: Alle schützen einzigartige Naturgebiete und Waldtypen unseres Landes dauerhaft und ermöglichen die Entwicklung zu echten Wildnisgebieten. Die Unberührtheit dieser Naturräume übt eine große Attraktivität auf die Menschen in unserer hektischen Zeit aus. Sie sind aus Gründen von Artenschutz, Wissenschaft und Umweltbildung von unschätzbarem Wert. Es fehlt aber noch ein Nationalpark im Spessart.
Das ist das Stichwort: Für Sie ist es also keine Frage, wo ein dritter bayerischer Nationalpark gegründet werden sollte? Was ist zum Beispiel mit der Rhön?
Drenckhahn: Die Natur der Rhön ist vor allem durch die europaweit bedeutenden Storchenschnabel- und Magerwiesen mit Sümpfen und Mooren auf der Hochrhön geprägt. Es ist eine Kulturlandschaft, die ständig gepflegt werden muss, um Verbuschung und Waldbildung zu verhindern. Die Nationalparkkriterien einer ungestörten Naturentwicklung lassen sich dort kaum sinnvoll erfüllen. Durch das Biosphärenreservat ist bereits ein befriedigender Naturschutz erreicht.
Und der artenreiche Steigerwald?
Drenckhahn: Der nördliche Steigerwald hat leider derzeit politisch keine Aussicht auf einen Nationalpark, obwohl er auch dafür geeignet wäre. Die Baumvielfalt ist im Steigerwald größer als im Spessart, und die Vegetation reichhaltiger. Insgesamt ist der Steigerwald aber dichter besiedelt und eine Einbettung eines Nationalparks in große zusammenhängende Waldgebiete ist im Steigerwald nicht so optimal wie im Spessart. Eine Sicherstellung des nördlichen Steigerwalds als Naturschutzgebiet wäre in dieser Phase sehr wünschenswert.
Also heißt Ihre Antwort: Spessart?
Drenckhahn: Von seiner Lage und seiner Großflächigkeit ist der Spessart etwas ganz Besonderes: das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet in Deutschland. Und es gibt hier noch besonders umfangreiche Bestände alter Buchen und Eichen mit einer großen Vielfalt an bedrohten Arten wie Wildkatzen, Fledermäuse, Spechte, Hirsch- und andere Käferarten sowie bedrohte Schmetterlinge und Pflanzen. In alten Baumhöhlen brüten hier sogar die schwalbenähnlichen Mauersegler.
Und die Autobahn, die das Gebiet durchschneidet, stört nicht?
Drenckhahn: Nein, überhaupt nicht. Ich kenne viele Nationalparks, die durch tiefe Schluchten wie im Grand Canyon in den USA oder breite Flüsse wie in Amazonien durchteilt werden. Autobahntunnel und Brücken werden auch jetzt als Wildwechsel genutzt. So kann sich auch südlich der Autobahn eine Keimzelle der ungestörten Naturentwicklung zur Ausstrahlung in den Südspessart ausbilden. Der Südspessart wäre sonst abgehängt. Das darf nicht geschehen.
Die Lobby gegen einen Nationalpark Spessart aber ist groß, zumindest deutlich und laut.
Drenckhahn: Den Nationalparkgegnern um einen Landtagsabgeordneten aus Aschaffenburg un-terstützt vom Bundesverband der Säge- und Holzindustrie sowie dem Bauernverband ist traditionell jeglicher Naturschutz ein Dorn im Auge. Aber es gibt auch eine breite Unterstützerfront, die Bürgerbewegung Spessartfreunde sowie die Kreisgruppen des BUND und Bund für Vogelschutz im Spessart. In den vergangenen 40 Jahren hatte ich Gelegenheit, mich direkt oder als Mitglied von Entscheidungsgremien des WWF an Gründungen fast aller Nationalparks auf dem Gebiet der alten Bundesländer zu beteiligen. Überall waren zunächst immense, von der Land- und Forstwirtschaft gesteuerte Widerstände zu überwinden, aber diese schlugen alle in wenigen Jahren in breite Unterstützung der Bevölkerung um.
Was bewirkte den Stimmungswandel?
Drenckhahn: Die großen Investitionen in die Region und die überall rasant ansteigenden Besucherzahlen mit Hunderten von neuen Arbeitsplätzen waren die überzeugendsten Fakten. Im Schwarzwald wird der Nationalpark bereits jetzt, drei Jahre nach seiner Gründung, von der lokalen Tourismusbranche als „Jackpot“, als Lottogewinn, bezeichnet. Und in der Eifel sind die Tourismuseinnahmen von acht auf beeindruckende 30 Millionen Euro gestiegen. Das entspricht 700 neuen Vollzeitstellen.
Trotzdem gibt es genug Skepsis.
Drenckhahn: Bisher konnte man als Spessartbürger wirklich das Gefühl bekommen, dass der gesamte Spessart zum Nationalpark werden sollte, über die Köpfe der Bürger gestülpt. Jetzt ist das Nationalparkgebiet aber klar benannt. Es geht um ein noch völlig unbesiedeltes, nur etwa zehn mal zehn Kilometer großes Staatswaldgebiet bei Rothenbuch, also ein sehr kleines Waldgebiet. Über dieses Waldgebiet konnten die Nachbargemeinden bisher sowieso nicht mitreden. Anders wird es bei einem Nationalpark sein. Die Gemeinden werden dann durch die vorgeschriebene Mitbestimmung entscheiden, welche Maßnahmen im Nationalpark durchgeführt werden, zum Beispiel wie und wo die Wander-und Fahrradwege ausgebaut werden. In allen Nationalparks haben die Kommunen ein verbrieftes Mitsprache- und teils auch Vetorecht über die Managementpläne. Das schafft neue Identifikation und ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten der Bevölkerung.
Was ist mit den berühmten Eichen?
Drenckhahn: Die bis 500 Jahre alten Eichen des Spessarts sind vor allem durch historische Zufälle und Naturschutzinitiativen erhalten geblieben. Man muss nicht befürchten, dass die Spessarteiche durch die Buche verdrängt wird. Bei dem Nationalpark geht es ja um nur weniger als zehn Prozent der Waldfläche des Spessarts und damit um höchstens zehn Prozent der Eichenbestände. Aber die sollen ausdrücklich in Abständen weiter durch gezielte Pflegemaßnahmen befördert werden. Gezielte Pflegemaßnahmen finden auch in anderen Nationalparks überall auf der Erde statt. Übrigens soll der bedeutende Eichenbestand im Gebiet westlich von Bischbrunn nicht in den Nationalpark einbezogen werden. Durch den Klimawandel könnte sogar längerfristig die Eiche gegen die Buche gewinnen. Vom Untergang der Spessarteiche zu sprechen, ist deshalb nicht redlich.

Aber die Wildschweine: Das Wild wird überhand nehmen, sagen die Gegner.
Drenckhahn: Das Gebiet ist von Kulturland umgeben und zu klein, als dass sich die Wildbestände im Nationalpark selbst regulieren könnten. Da wird ein Wildmanagement weiter nötig sein, durch Jagd auf Schalenwild und gegebenenfalls auch durch Saufänge wie im Bayerischen Wald.
Noch ein Gegenargument: Der Mensch wird ausgesperrt.
drenckhahn: Das ist bewusste Angstmache. Das Erleben und Erwandern der Natur sind nicht nur gesetzlich verbriefte Rechte nach der Bayerischen Verfassung, sondern sind auch ein zentrales Anliegen aller Nationalparke. Zum Ausbau und zur Erhaltung von Wander- und Fahrradwegen im Nationalpark und seinem weiteren Umfeld samt Rastplätzen und Unterständen sind erhebliche Fördermittel vorgesehen. Die Bedingungen zum Wandern im Hochspessart werden also künftig noch deutlich verbessert und keinesfalls verschlechtert.
Gegenargument: Die Brennholzrechte der Bürger werden beschnitten.
Drenckhahn: Die Holzrechte sind eine kulturelle Errungenschaft der Spessartbürger, die müssen natürlich erhalten bleiben, auch aus Gründen der Identifikation der Bürger mit ihrem Wald. Die jährliche Brennholzentnahme beträgt nach den Bayerischen Staatsforsten im Zentralspessart etwa 0,5 Kubikmeter pro Hektar Staatswald. Das entspricht einem kleinen Stapel von ein Meter langen Stangenholzstücken, kniehoch aufgeschichtet. Diese Holzmenge ist weit weniger als ein Zehntel der Holzmasse, die jährlich im Staatsforst pro Hektar heranwächst und geerntet wird. Diese insgesamt geringfügige Brennholzmenge kann als Abfall, Oberholz genannt, bei Hieben und Durchforstung der verbleibenden 40 Prozent Staatswaldflächen im Rothenbucher Forst locker angeboten werden.
Gibt es aus Ihrer Sicht keine kritischen Punkte an der Nationalparkplanung?
Drenckhahn: Die Fläche von rund 10 000 Hektar halte ich angesichts der über 40 000 Hektar großen Staatswaldfläche im Spessart für viel zu klein. Ich hätte die doppelte Größe erwartet, wie im Bayerischen Wald. Also über 20 000 Hektar.
Also gut, ein Plädoyer zum Schluss: Was spricht trotz der begrenzten Größe für den Nationalpark im Spessart?
Drenckhahn: Die vorgesehene Fläche nördlich und südlich der Autobahn ist ein wahres Juwel der biologischen Vielfalt mit vielen vom Aussterben bedrohten Arten. Die dauerhafte Sicherung als wertvolles Naturerbe durch einen Nationalpark wäre ein großer Erfolg. Meine Erfahrungen mit anderen Nationalparkgebieten im In- und Ausland haben immer wieder gezeigt, dass durch Naturtourismus ungeahnte neue Einnahmequellen für breite Teile der Bevölkerung entstehen. Dazu sind ja auch große Investitionen der Staatsregierung vorgesehen. Obendrein entwickelt sich auch immer eine neue Form der Sicht und des Stolzes auf die eigene Heimat. Überall werden nach kurzer Zeit Nationalparks als große Glücksfälle für die Region bezeichnet. Der Spessart hat einen Nationalpark verdient.
Zur Person Detlev Drenckhahn war zwölf Jahre lang Präsident des World Wide Fund for Nature (WWF) in Deutschland ist seit Juli 2016 Ehrenpräsident. 1944 auf Rügen geboren, war Drenckhahn als Initiator einer Umweltbewegung wesentlich an der Gründung des Nationalparks Wattenmeer in den 70er und 80er Jahren beteiligt. Sein beruflicher Weg führte den Mediziner 1990 nach Würzburg, wo er zum Inhaber des Lehrstuhls für Anatomie berufen wurde. Für seine Verdienste im Naturschutz wurde Drenckhahn 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Den Spessart kennt er gut: Seit 15 Jahren beschäftigt er sich mit der Kartierung der heimischen Pflanzenwelt und der Entdeckung neuer Pflanzenarten.