Meiningen Wir wissen nicht, wie es Aschenbrödel und ihrem Geliebten ergehen wird, nachdem sie die letzte Szene der neuesten Ballettinszenierung Xin Peng Wangs im Meininger Theater verlassen haben. Sicher ist nur: Sie schreiten am Ende von Prokofieffs Ballettmärchen barfüßig hinter die Fassaden der schönen neuen Designerwelt, dorthin, wo der Himmel noch hoffnungsvoll zu leuchten scheint.
Verzichtet der Rockstar und Märchenprinz (Daniel Schmädicke) etwa auf seine Harley Davidson, mit der er zweimal über die Bühne bretterte? Lässt die eben noch geknechtete Schuhverkäuferin (Monica Uta) so einfach die goldenen Designerschuhe zurück, die ihr den Weg nach oben geebnet haben? Unsere Erfahrung sagt: Nie und nimmer. Da bröckelt Herrn Wangs Gegenwartsbezug kräftig. Aber was soll's.
Schließlich befinden wir uns in einem Märchen, das seit ewigen Zeiten und quer durch die Moden geträumt wird: Der Traum vom Triumph wahrer Liebe, Herzensgüte und Gerechtigkeit für die Aschenbrödels dieser Welt. Aber wenn wir sie heute im Rampenlicht erblicken, dann würden wir den zu Superstars aufgebrezelten Aschenbrödels und Hänschenkleins am liebsten eine sehr böse Fee in die Parade fahren lassen. Insofern hätte Wang mehr wagen können als - wie in diesem Stück üblich - Männer in Frauenkleider zu stecken und als Stiefschwestern tanzen zu lassen.
Aber es hat schon einen besonderen Reiz, die rustikale Leichtigkeit von Christoph-Emanuel Zimmlinghaus und die zierliche Stöckelsteifheit von Axel Carle zu bewundern, vor allem im Kontrast zur märchenhaften Grazie des Liebespaars, der guten Fee (Ana Lucia Souza), des "Designers" vom Typ Lagerfeld (Stephan Renelt) oder selbst der bösen Stiefmutter (Franziska Peters).
Wir sind erheitert, ohne aus der Verzauberung zu erwachen, in die uns allem Anschein nach die gute Fee versetzt. Eine gute Fee hat auch die künstlerischen Leiter inspiriert: Xin Peng Wang (der mit Cyrille Dauboin auch das Libretto schrieb), sein bewährter französischer Bühnen- und Kostümbildner Jérôme Kaplan und GMD Fabrizio Ventura. Man spürt einen angenehmen Gleichklang zwischen den Bildern der Musik, der Bewegung und der Formen und Farben. Prokofieffs Musik legt sich wie ein Feenzauber über Bühne und Zuschauerraum.
Er inspiriert dazu, das Märchen als einen einzigen Fluss von Fantasien zu erleben, von neuen und alten Ideen, von bekannten Klischees und überraschender Originalität. Fantasien, die so schwerelos durch den Kopf schwirren wie sie über die Bühne tanzen. So als sei jeder Gedanke ganz individuell gedacht, jede Geste eben erst im Moment der Bewegung erfunden.
Deshalb scheinen sich Monica Uta und Daniel Schmädicke wie Wesen aus einer anderen Welt über dem Boden zu bewegen. Je mehr Aschenbrödel und Prinz die Konventionen fallen lassen und ihre Liebe tanzen, desto traumverlorener wirkt ihre Geschichte. Die Frage nach dem Gegenwartsbezug ist zu fortgeschrittener Tanzstunde eigentlich nur noch im Programmheft wichtig. Trotz oder gerade wegen des von Jérôme Kaplan fantastisch einfach gewählten Hintergrunds von Formen und Farben bewegt sich das Märchen im zeitlosen Raum. Sechs mobile und transparente bühnenhohe Türme stellen sowohl eine exklusive Ladenpassage dar als auch den Ballsaal des Märchenprinzen.
Wenn die Liebenden hinter der Designerwelt verschwunden sind, macht sich in der Realwelt ein wütender Gedanke breit: Keine andere Sparte des Meininger Theaters ist in letzter Zeit so an ihren Herausforderungen gewachsen wie das Ballett. Es wäre Irrsinn und zudem eine Missachtung des Publikums, eine solch homogene Compagnie, wie geplant, wegzurationalisieren.
Nächste Vorstellungen: 22., 31. Januar, 21. Februar. Tel. (0 36 93) 451-222