Wer U-Bahn oder Straßenbahn fährt, staunt nicht wenig. Die Fahrgäste repräsentieren die Mischung des Stadtmilieus, und dazu gehören nicht nur junge Leute mit Knöpfen im Ohr, die Musik von ihrem Smartphone hören. Lesende Passagiere haben Zeitungen und Bücher in den Händen, das E-Book ist nicht oft zu sehen. Das verwundert, es wäre doch praktisch.
Vom Kindle zu lesen ist einfacher als im Buch, das schweres Handgepäck sein kann. Aber die Leute bevorzugen Bücher, sie blättern darin, vertiefen sich – und haben sie eine Passage gefunden, die ihnen besonders zusagt, kniffen sie die Seite mit einem Eselsohr. Das geht nur bei Büchern.
Die Buchbranche ist sich nicht sicher, ob sie gegenüber den digitalen Reizen und Möglichkeiten ihr Potenzial und damit ihren Behauptungswillen demonstrieren soll. Noch sucht sie den Durchblick. Manche ihrer Vertreter starren ängstlich auf das Ende der Gutenberg-Kultur. Die letzten Buchmessen waren von der Unsicherheit, wie es weitergeht, geprägt. Gedämpft wurde sie von Produkten wie Taschen, Spielsachen, Aufziehfiguren, Eierbechern, Kerzenhaltern und ähnlichem Nippes. In Boxen raunten die Furchtsamen über Einbrüche des Handels, die Schließungen altehrwürdiger Buchhandlungen und die Verkleinerung der Flächen bei Buchhandelsketten, die zudem noch Kaffee verkaufen und Geschenkartikel ins Sortiment nehmen, um die Ladenmieten zahlen zu können. Von Absatzeinbrüchen ist seriell die Rede.
Überall Niedergang, so scheint es. Die Branche spürt ihre schwindenden Kräfte. Joachim Unseld von der Frankfurter Verlagsanstalt brachte es auf den Punkt, als er sich und andere Verleger als „Publishers of P-Books“, als Herausgeber von gedruckten Büchern, bezeichnete. Print aber scheint nicht mehr zu ziehen. Dennoch wird es auch bei der 66. Frankfurter Buchmesse vom 8. bis 12. Oktober viel Auflauf geben. 7275 Aussteller aus 102 Ländern haben Flächen gebucht, 613 Literaturagenten reisen an, um mit Verlagen Lizenzen und anderes zu verhandeln, rund 9300 Journalisten sind akkreditiert – davon etwa 1000 Blogger –, und die Buchmesseleitung rechnet wieder mit mindestens 300 000 Besuchern. Warum kommen die alle, wenn alles doch so hoffnungslos ist?!
Der Hanser Verlag hat kurz vor der Messe die „Hanser Box“ eingerichtet, elektronische Literatur wird zum günstigen Preis verkauft. Da gibt es viel zu nörgeln. Dabei hat Hanser-Chef Jo Lendle von vornherein klargestellt, dass er keine großen Erlöse erwarte. Im Gegenteil, es ist der Versuch, ein Reservat für die Digital Natives, die mit digitalen Medien Aufgewachsenen, zu schaffen, der Ausgang bleibt unsicher. Der Aufreger der jüngsten Vergangenheit, das Gebaren von Amazon – Teilboykotte gegen Verlage, die sich nicht zu günstigen Rabatten zwingen lassen; der Aufruf zahlloser Autoren, sich zu wehren gegen den Monopolisten –, verpufft gerade, weil der Gigant nun doch noch nicht auf unverschämten Rabattforderungen beharrt.
Die Buchhändler heben wieder ihre Schüttelköpfe und wollen an das bildungsbürgerliche Ideal glauben, nach dem nur kundige Beratung der Literatur den Weg zu den Menschen bahnt. Die Zeitungen bringen Berichte von Buchhandlungen aus den Weltmetropolen, in denen durchaus gute Umsätze getätigt werden. Schließlich hat der Online-Buchhandel 2013 eine Umsatzeinbuße von 0,5 Prozent hinnehmen müssen, bei klassischen Buchhandlungen stieg der Umsatz um 0,9 Prozent. Auch 2014 könnte ein Minus für den Internethandel bringen.
Die digitale Revolution der Lesekultur hat bisher nicht stattgefunden. Kommt sie noch? Oder bleibt alles beim Alten? Verlage drucken so viele Bücher wie nie zuvor, Romanautoren schreiben wie am Fließband, Sachbücher, Klassiker und Neuerscheinungen türmen sich neben den Kassen, sobald sie unter Bestsellerverdacht geraten. Die Bücherflut ist weniger ein ökonomisches, vielmehr ein literarisches Problem, denn sie bringt nur ganz wenige Meisterwerke, aber viel Mittelmaß hervor.
Die Öffnungszeiten: Privatbesucher: Samstag, 11. Oktober, von 9 Uhr bis 18.30 Uhr und Sonntag, 12. Oktober, von 9 Uhr bis 17.30 Uhr. Fachbesucher und Presse: ab Mittwoch, 8. Oktober, alle fünf Tage jeweils ab 9 Uhr. Rund 1000 Autoren werden erwartet, darunter Ken Follett, Paulo Coelho, David Nicholls, Martin Walker, Herta Müller, Rafik Schami, Nino Haratischwili und Alessandro Baricco.
Zehn Tipps für Besucher der Frankfurter Buchmesse
Sie sind Buchmesse-Neuling? Dann hören Sie bitte auf die Erfahrung von langjährigen Messebesuchern. Zehn Tipps, was Sie besser gar nicht erst versuchen: Mit einem Manuskript von Stand zu Stand zu laufen und zu hoffen, dafür einen Verlag zu finden. Den Eingang Torhaus und den Eingang Messe zu verwechseln: Der eine führt zur U-Bahn-, der andere zur S-Bahn-Station „Messe“. Hohe Schuhe zu tragen und davon auszugehen, am Abend schmerzfreie Füße zu haben. Kurzfristig ein Hotelzimmer in der Innenstadt zu buchen. Sich allein von Keksen, Gummibärchen und Obst an den Messeständen zu ernähren. Bei allen Lieblingsautoren nach den Lesungen um ein Autogramm anzustehen. Sich an der völlig überfüllten Kreuzung zwischen Halle drei und Halle vier zu verabreden. An den Publikumstagen mit Kindern in die Gegend zwischen Kinderbuchverlagen und Comic-Zentrum zu gehen. Ohne Einladung in die großen Buchmesse-Partys reinzuwollen. Verlagsprospekte einzusammeln und in Papiertüten – oder noch schlimmer: Trolleys! – mit nach Hause zu schleppen.