Die Auswahl ist gigantisch, rund um die Uhr. Auf den Partnerschaftsportalen im Internet kann jede/r in Ruhe suchen. Wir können scheinbar alles ausprobieren, alles haben in der Liebe, zudem leihweise, also unverbindlich. Ist es das, was immer mehr Zeitgenossen beiderlei Geschlechts, vor allem Frauen, das Gefühl aufzwingt, sich an der Realität ihrer seriellen Beziehungen, aber auch an langjährigen Ehen oder Partnerschaften zunehmend wund zu reiben? Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, so große Freiheit. Aber die Lebensglückskurve in Beziehungen sinkt, die Trennungsquote steigt immer höher.
Die israelische Soziologin Eva Illouz, 50, die in Amerika und europäischen Ländern gelebt hat und derzeit als Professorin in Jerusalem lehrt, hat Grundmuster in Beziehungen der westlichen Kultur so gründlich erforscht wie womöglich keine anderen Soziologen zuvor. Seit Jahren schreibt sie darüber. Kapitalismuskritik, an Marx, Freud, Jung und anderen geschult, übte sie schon lange vor den heutigen Attacken gegen geldgierige Banker und laxe Politiker.
Die Passung stimmt oft nicht
Ihre These: Die Freiheit in der Liebe ist unser Problem. Das Entweder-Oder, die endlose Wahlmöglichkeit, die Dauersuche nach dem optimalen und einem noch besseren Angebot, verbunden mit der Sorge, vielleicht etwas verpasst zu haben. Die Liebe ist im Kapitalismus zur Ware geworden, aber unsere Psyche, immer noch romantisch getränkt, kommt da nicht mit.
Männern gefällt es vielleicht, dass nun Frauen um sie werben – aber ganz passt es ihnen nicht. Frauen finden es gut, befreit von allen moralischen Zwängen auf Partnersuche gehen zu können, aber letztlich wollen sie von einem einzigen Mann umworben und erobert werden.
Das Dilemma laut Illouz: Die Passung stimmt häufig nicht. Denn die gibt es nur ganz persönlich, nur zwischen zwei Individuen, die sich ganz aufeinander einlassen. Moderne Partnersuche führt aber unweigerlich zu einem klassischen Konflikt: Die Ratio der Rechner, deren Algorithmen Frauen und Männer zueinander führen, kollidiert mit den Gefühlen der Suchenden.
Die Auswahl wird bestimmt von der äußeren Hülle der im Netz angebotenen Person, vielleicht noch seinem Status (Akademiker mit Akademikerinnen etwa) und dem, was Illouz „Sexyness“ nennt, spontan anziehende körperliche Attraktivität. Die Probleme mit der Passung entstehen, wenn der tolle Mann oder die begehrenswerte Frau in der Wirklichkeit aufeinandertreffen. Erst dann kommt die Intuition zum Zuge, das urmenschliche Bauchgefühl, das vor den Partnerbörsen allein den Ausschlag gab. Man trifft einen Menschen, dessen Eigenschaften man von einer Liste kennt, dessen nonverbale Signale aber verwirrend oder unklar sind und nicht der eigenen Hoffnung entsprechen.
Die vielen Informationen beim Online-Dating sind laut Illouz schwierig zu bewältigen, sie müssen mit den Empfindungen abgeglichen werden. Die Ansprüche sind hoch, und wenn der andere nicht annähernd genügt, kehren wir zum „Büfett“ zurück und bedienen uns dort noch mal und noch mal. Das, so Illouz, ist Ökonomie. Die unbeschränkte Auswahl macht die Entscheidung schwerer, nicht leichter. Es gibt ja immer Alternativen. Frauen, betont die Soziologin, haben dabei die ungünstigere Position. Sind sie über Mitte 30 hinaus, stellt sich vehement die Frage der Familiengründung. Beim gleichaltrigen oder älteren Mann aber keineswegs. Der zieht weiter, er kann auch noch später zeugen. Oder ganz auf Nachwuchs verzichten oder sich vielleicht mit einer alleinerziehenden Mutter zusammentun. So entsteht ein Ungleichgewicht der Verantwortung, deshalb heißt der Titel des Buches „Warum Liebe weh tut“.
Auch der Mann bleibt aber einsam beim ständigen Abchecken von Kandidatinnen und den Vorstellungen in seinem Kopf, einem Gebräu aus Romanen, Filmen und psychologischen Ratschlägen. Für beide Geschlechter ist die Liebe kein Schicksal mehr, sondern Ergebnis eines Abgleichs. Liebe hat immer weh getan, wenn sie sich nicht erfüllte. Aber Liebe im Kapitalismus kann die Seele beschädigen, sagt Illouz. Herkunft, Rasse, Klasse, soziales Milieu – alles, was früher entscheidend war, spielt heute keine Rolle mehr.
Keine soziale Kontrolle
Die Umgebung übt keine soziale Kontrolle mehr auf die Suchenden aus, wie es noch bis vor etwa 30 Jahren hie und da üblich war und es in anderen Kulturen nach wie vor ist. Die Mutter berät ihre Tochter vielleicht noch, bei Söhnen spielt der elterliche Einfluss kaum noch eine Rolle.
Damit entfällt aber auch eine (früher mitunter lästige) Schutzfunktion. Moderne Liebesuchende wissen nicht, wen und wie sie wählen sollen, was die Kriterien sind für eine Festlegung, wann es sich „lohnt“. Sie gehen mit ihren Sehnsüchten und Wünschen auf den Markt und stellen sich dort aus. Auf gut Glück, nicht aus einem Selbstwertgefühl heraus.
Eva Illouz stellt überzeugend dar, welche Rolle dabei Mode- und Kosmetikindustrie, Film- und Fernsehwirtschaft, der Fülle an Ratgeberliteratur und Populärpsychologie als massiv treibenden Kräften dieser Entwicklung zukommt. Die Ökonomie profitiert auf ganzer Breite von der teilweise verzweifelten Suche einsamer Menschen nach Bindung.
Sie befördert aber keine Erfahrungen, die von ihren Instrumenten (Internet) und Produkten wegführen, denn der Kunde muss bei der Stange gehalten werden, er ist die Milchkuh wirtschaftlichen Erfolgs. So werden im Kapitalismus mit der Aussicht auf Erotik und Sex verzaubernde Verheißungen aufgebaut, die dann schnell verpuffen. Darum tut der immer neue Liebeseinsatz weh.
Eva Illouz: Warum Liebe weh tut (Suhrkamp, 468 Seiten, 24,90 Euro)