Sie wurde vor 30 Jahren als die größte journalistische Sensation der Nachkriegszeit angekündigt und endete in einer mehr als peinlichen Blamage, von der sich das Magazin „Stern“ bis heute nicht ganz erholt hat: die Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher, die sich schnell als ziemlich plumpe Fälschung entpuppten.
Wie konnte es dazu kommen, dass der renommierten Zeitschrift dieser journalistische Super-GAU unterlief, über den sich die ganze Welt amüsierte und den Regisseur Helmut Dietl in seiner hinreißenden Mediensatire „Schtonk!“ verarbeitete? Ironisch süffisant, mit bislang unbekannten Dokumenten und mit einem genauen Blick für die vielen skurrilen Details der Affäre zeichnet die ZDF-Dokumentation „Die Jahrhundertfälschung“ heute, Dienstag (9. April), den Skandal nach und lässt Beteiligte zu Wort kommen, die bisher geschwiegen haben.
Tumultartige Veranstaltung
Besonderes Schmankerl: Der Schauspieler und Parodist Christoph Maria Herbst trägt Passagen aus den Tagebuchtexten vor, die sich der 2000 verstorbene Fälscher Konrad Kujau aus den Fingern gesogen hatte. Am 25. April 1983 verkündete der damalige Chefredakteur Peter Koch bei einer tumultartigen Veranstaltung in Hamburg der internationalen Presse, dass es dem „Stern“ gelungen sei, die geheimen Tagebücher Adolf Hitlers in seinen Besitz zu bringen. Die Fotos von „Stern“-Reporter Gerd Heidemann, der mit stolzgeschwellter Brust im Blitzlichtgewitter schwarze Kladden in die Höhe hält, gingen um die Welt.
Wenige Tage später startete der „Stern“ die Serie „Hitlers Tagebücher entdeckt“, im Editorial tönte Peter Koch, die Geschichte des Dritten Reiches müsse nach diesem Fund teilweise umgeschrieben werden. Doch schon kurz darauf platzte die Seifenblase: Gutachten hatten zweifelsfrei ergeben, dass es sich bei den Tagebüchern um Fälschungen handelte, aus der vermeintlichen historischen Sensation wurde ein Medienskandal, wie ihn die Bundesrepublik noch nicht erlebt hatte.
Beim „Stern“, der in gutem Glauben mehr als neun Millionen Mark für die Beschaffung von 62 Kladden ausgegeben hatte, rollten die Köpfe, Reporter Heidemann und Fälscher Kujau wurden später vor Gericht gestellt und kamen ins Gefängnis. Der publizistische Schaden, der dem „Stern“ vor 30 Jahren entstand, war enorm und wirkt bis heute nach – das Magazin ist untrennbar mit einem der größten journalistischen Flops verbunden.
Der ZDF-Beitrag von Jörg Müllner zeichnet nach, wie es dazu kommen konnte, und geht selbstverständlich auf einige der amüsanten Details ein, die den Skandal zur Medienposse erster Güte machten – so fiel es zum Beispiel vielen Historikern und anderen Experten lange nicht auf, dass es sich bei den in altertümlicher Schrift aufgeprägten Initialen auf den Tagebüchern nicht etwa um AH (für Adolf Hitler), sondern um FH handelte.
Die Szene in Helmut Dietls Kinofilm „Schtonk!“, in der sich die Verlagsführung diesen zu spät entdeckten Makel zurechtzubiegen sucht („Führer Hitler?“, „Führers Hund?“, „Führers Hauptquartier!“) gehört zu den lustigsten der deutschen Filmgeschichte. Doch auch ein Aspekt, der weit weniger lustig ist, wird in der Dokumentation beleuchtet: die Tatsache, mit welchen Inhalten der hinters Licht geführte „Stern“ damals Kasse machen wollte. Denn die gefälschten Tagebücher relativierten Hitlers Schuld an den Naziverbrechen – für Autor Jörg Müllner ist das „der eigentliche Skandal“.