Kann das funktionieren? Leo Tolstois opulentes 1000-Seiten-Epos „Krieg und Frieden” fürs Theater zu bearbeiten und auf die Bühne zu bringen? Regisseur Malte Kreutzfeldt, der in der vorigen Spielzeit Thomas Manns Großroman „Buddenbrooks“ in Würzburg inszenierte, hat das Wagnis riskiert, hat sich dabei nicht von den monumentalen Filmfassungen beeindrucken lassen und seine ganz eigene Version mit dem nahezu gesamten Schauspielensemble auf die Bühne des Würzburger Mainfranken Theaters gestemmt. Und nach gut drei intensiven Stunden darf man feststellen: Es hat funktioniert, wenn auch mit minimalen Einschränkungen bei manch allzu verspieltem Effekt.
Kreutzfeldt komprimiert Tolstois breit gefächertes literarisches Gesellschaftspanorama aus dem Russland der Napoleonischen Kriege zwischen 1805 und 1812 auf die zentrale Frage nach dem Sinne des Lebens: Der Autor bietet dafür in den Figuren Andrej, Pierre und Natascha drei mögliche Handlungsmodelle an, die ihrerseits durch den Krieg verändert, zerstört und sogar vollständig entwertet werden.
Es ist das uralte, schon von Heraklit in der Antike thematisierte Motiv vom „Krieg als aller Dinge Vater”, das die Lebenspläne und Überzeugungen der Menschen aus den Fugen geraten lässt, und das bis in die Hinterbühne reichende Bühnengeschehen des Öfteren förmlich sprengt. Niemand bleibt verschont von diesem Krieg, den Schrecken und Verwüstungen, die mit ihm einhergehen; auch das Publikum nicht, etwa wenn minutenlang feiner Staub das Kriegsfeld und letztlich auch den Zuschauerraum einhüllt.
Faszination und Abscheu
Kreutzfeldt hat mit seinem Team, Nikolaus Porz (Bühne) und Veronica Silva-Klug (Kostüme) drastische und auch poetisch-schöne Bilder gefunden, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Faszination und Abscheu bewegen und dennoch eine eindeutige Botschaft transportieren: Der Krieg erfüllt nicht die Verheißungen, die manche Figuren im Stück – und auch in der Gegenwart – in ihn setzen, sondern er befördert Verrohung, Angst und Schrecken.
Diese Erfahrung macht vor allem der von Sven Mattke überzeugend verkörperte junge Fürst Andrej Bolkonski, der sich trotz erlittener Verwundung ein weiteres Mal in den Krieg stürzt, weil er so seinen familiären Problemen zu entkommen sucht, und dessen langes und qualvolles Sterben zu den eindringlichsten Szenen der Inszenierung gehört.
Das Ende der Illusion
Nicht weniger existenziell ist die Kriegserfahrung für seinen Freund Pierre Besuchow, der, geprägt von den Werten der französischen Revolution, seine Bestimmung als idealistischer Humanist sucht. Desillusioniert von den Kriegserlebnissen, flüchtet er, von Oliver Jaksch mit unerschütterlich imposanter Vitalität gegeben, sich in mystische Zahlensysteme: Darin sieht er eine neue Theorie für ein sinnvolles Leben.
Am stärksten aber berührt das Schicksal der zur Frau heranwachsenden Natascha Rostowa (Claudia Kraus), die ihr Lebensglück in ihrer Bindung an einen Mann sucht. Doch den „Richtigen”, den sie jeweils nur kurzzeitig findet, raubt ihr schnell der Krieg: Im brennenden Moskau ist kein Platz und keine Zeit für große Gefühle. Einzig das Überleben zählt. Im Gegensatz zu anderen Familienangehörigen bleibt sie, wie auch Pierre, am Leben. Einem Leben, das durch den Krieg radikal verändert wurde und das die Überlebenden auf sich selbst und die aus dem Erlebten herauswachsenden alptraumhaften Schreckensbilder zurückwirft, nachdem sich auch die Hoffnung auf einen Gott und die sinnstiftende Macht der Religion erledigt hat.
Warum es dafür allerdings eines solchen Übermaßes an Theaterblut bedarf, will sich nicht so recht erschließen.
Nächste Vorstellungen: 19. und 25. April. Weitere im Mai. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124