Beim Internationalen Würzburger Filmwochenende vom 26. bis 29. Januar auf dem Bürgerbräugelände ist das Porträt diesmal der Regisseurin und Autorin Sophie Linnenbaum, geboren 1986 in Nürnberg, gewidmet. Gezeigt werden vier Kurzfilme, der Dokumentarfilm "Väter unser" und ihr erster Kinofilm "The Ordinaries" (etwa: die Gewöhnlichen), der am 30. März in die regulären Kinos kommt. "The Ordinaries" spielt in einer Kunstwelt, in der alles nach Filmgesetzen funktioniert. In einer Gesellschaft, die streng unterteilt ist in Hauptrollen, Nebenfiguren und Outtakes, steht Paula vor der wichtigsten Prüfung ihres Lebens: Sie muss beweisen, dass sie das Zeug zur Hauptfigur hat.
"The Ordinaries" ist eine faszinierende Parabel mit ganz eigener Ästhetik und Logik, die äußerlich wie Science Fiction daherkommt, sich aber sehr schnell als ganz und gar realistisch entpuppt. Warum das so ist, erklärt Sophie Linnenbaum im Interview.
Sophie Linnenbaum: In dem Film geht es um die Frage der Narrative, darum, wer unsere Geschichten schreibt, wer sie erzählt. Wir erzählen eine Geschichte über unsere Welt in einer Art Metaversum, einem Spiegel unserer Welt, unserer Rollen und unserer gesellschaftlichen Klassenunterschiede. Hier funktioniert alles nach den Regeln des Films. Es gibt ein Drei-Klassen-System mit Hauptfiguren, Nebenfiguren und Outtakes.
Linnenbaum: Es ist wie bei uns: Es gibt nicht den einen geheimen Herrscher im Hintergrund, sondern es gibt ein System, das dafür sorgt, dass es Ausgrenzung auf verschiedensten Ebenen gibt. Es muss einen Bodensatz geben, damit das Höhere gepolstert werden kann.
Linnenbaum: Genau. Die Wertigkeit des Menschen ist vermeintlich unterschiedlich, und je nach Wertigkeit wird ihm eine gewisse Art von Leben zugeschrieben. Das System erhält sich selbst, solange man es nicht hinterfragt. Wenn man anfängt sich zu fragen, wer erzählt die Geschichten, was ist sein Interesse daran, und kann man die Geschichten auch anders erzählen - erst dann ergeben sie Möglichkeiten, etwas zu ändern.

Linnenbaum: Helfen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es ist ja unter anderem eine Frage von vorhandenen Ressourcen, von Zugang zu Bildung und so weiter. Im Film gibt es bestimmte Zuschreibungen – eben Nebenfigur oder Outtake –, die die Menschen dort halten, wo sie sind. Da rauszukommen, ist auf jeden Fall schwerer, als oben zu bleiben.
Linnenbaum: Es sollte keine zwingende Übertragung eins zu eins sein, sondern eine Art Abbild. Vor allem der Entwurf einer eigenen inneren Logik dieser filmischen Welt mit ihren Höhen und Tiefen und gegenseitigen Abhängigkeiten war auf jeden Fall manchmal eine Herausforderung, vor allem weil die Spielwiese so unendlich ist.
Linnenbaum: Ja, auf jeden Fall, das kommt nicht von ungefähr. Genau deshalb müssen wir darüber nachdenken, wen wir dafür auswählen, und wen wir wie repräsentieren. Dramatik ist eine Sache, aber die andere ist, wer ist denn immer in Nebenrollen, oder wer ist immer der Mörder? Da gibt es gewisse Muster, die wir uns angucken müssen.
Linnenbaum: Ja, absolut. Wobei da auch wieder die Frage ist, wer das „Wir“ ist – da die Helden ja oft recht ähnliche privilegierte Merkmale haben. Eine superspannende Frage ist die Frage von Rache und Gewalt. Wie sehr propagieren wir, dass Gewalt das adäquate Mittel ist, um seine Meinung durchzusetzen? Dass immer der Recht hat, der zuschlägt? Es ist ein alter Hut, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sehr viele Helden immer noch nach diesem Prinzip funktionieren.
Linnenbaum: Ich glaube, dass wir an die Utopie glauben müssen, um sie möglich zu machen. Solange wir uns selbst immer nur Geschichten erzählen, in denen die Gesellschaftsstrukturen nicht veränderbar sind, umso länger wiederholen wir dieses Narrativ und stärken unsere eigene Hoffnungslosigkeit. Das ist gerade im Arthaus-Kino sehr beliebt.

Linnenbaum: Indem wir die Narrative ändern. Und sie uns in kleinen Schritten zurückholen. Sei es, sich auf gewerkschaftlicher Ebene zu verbünden und die Bedeutung von Arbeit für unser Leben zu hinterfragen. Oder darauf zu achten, wie wir gewisse Gruppen in Filmen darstellen, seien es Frauen ab 50 oder oder marginalisierte Gruppen oder Schönheitsideale. Auch unser Wording und Framing spielt eine Rolle: Wie drücken wir uns aus, wie stellen wir etwas dar? Und dann ist es sehr wichtig, die Sachen nicht gegeneinander auszuspielen: gendern und gewerkschaftliche Arbeit schließen sich nicht gegenseitig aus.
Linnenbaum: Auf jeden Fall. Ich habe vor allem ein ambivalentes Verhältnis zum Kunstfilm. Im Hollywood-Kino gibt es sehr viel Positivität, die aber meist nur auf Einzelschicksale ausgerichtet ist. Und im Arthaus-Kino verhandeln wir die großen gesellschaftlichen Fragen, aber wer lacht, hat verloren. Wer traut sich ein Happy End? Positive Geschichten werden als nicht wahrhaftig angesehen, und das finde ich schade.
Linnenbaum: Ich will das Ende nicht spoilern, aber ich hatte keine Lust, noch einen Film mit der Botschaft "Ändern können wir eh nix" zu machen. Sagen wir: Es gibt auf jeden Fall ein Aufstehen und ein Weitergehen.
Sophie Linnenbaum wird bei der Vorführung ihrer Filme anwesend sein und anschließend zum Gespräch zur Verfügung stehen. Die Kurzfilme laufen am Samstag um 11 Uhr, der Dokumentarfilm "Väter unser" am Samstag, 15 Uhr, und Sonntag, 13 Uhr, der Spielfilm "The Ordinaries" am Freitag, 19 Uhr, und Samstag, 16.45 Uhr. In den regulären Kinos läuft "The Ordinaries" am 30. März an.
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