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SCHWEINFURT: Für eine Welt, in der alle in Würde leben

SCHWEINFURT

Für eine Welt, in der alle in Würde leben

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    Liebe Frau Wiedemann,

    Vielen Dank für Ihren Brief. Zuerst habe ich natürlich die Überschrift gelesen: „Herr Landesbischof, wo ist unsere Empathie geblieben?“ Da war meine erste Reaktion: Die ist doch überall! Schau dich nur mal um, wie viele Menschen sich für andere engagieren! Und wieviel Liebe trotz aller Unkenrufe unter uns spürbar ist! Man muss nur mal auf dem Bahnhof sitzen und auf den Zug warten und um sich schauen. Die Freude sehen, mit der Menschen sich wiedersehen. Die Tränen der Liebe beim Abschied...

    Aber dann habe ich nach der Überschrift weitergelesen. Von der Nächstenliebe, die zum Schimpfwort geworden ist. Von Gier, Hass und Häme, die überhand nehmen. Vom eigenen Wohlstand, der über die Armut der anderen hinweg sieht. Und vom ewigen Meckern und Jammern, wo es uns doch so gut geht.

    Sie haben schon Recht! Denn Sie beschreiben vieles, woran wir uns schon so gewöhnt haben, dass wir es schon gar nicht mehr merken. Ja, es nervt, wenn wir den moralischen Spiegel vorgehalten bekommen. Es stört unser Leben, so wie wir es uns eingerichtet haben. Aber ist das nicht eine heilsame Störung? Wäre es nicht grauenhaft, wenn wir diese Fragen gar nicht mehr stellen würden?

    Wenn es normal wäre, dass jeden Tag über 20 000 Menschen sterben, nur weil wir es nicht schaffen, die reich vorhandenen Güter dieser Welt so zu verteilen, dass jeder Mensch in Würde leben kann? Würde es uns nicht frösteln, wenn Menschen sich vom Leid der anderen gar nicht mehr anrühren lassen? Das Wort „christlich“ jedenfalls sollten wir dann nicht mehr im Munde führen. „Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Christus.

    Und er meint die Hungrigen, die Durstigen, die Kranken, die Gefangenen und die Fremden. In ihnen begegnen wir Christus selbst. Das ist ein Hammer. Aber billiger kriegen wir die christliche Religion nicht. Man kann Gott nicht lieben, ohne auch seinen Nächsten zu lieben. Und natürlich hat das auch politische Konsequenzen. Dann nämlich, wenn die Not des Nächsten nur zu überwinden ist, wenn sich politisch etwas ändert.

    Müssen wir uns jetzt abstrampeln, um endlich gute Menschen zu werden? Das wäre keine gute Aussicht – und ohnehin zum Scheitern verurteilt. Das hat schon Martin Luther vor 500 Jahren so erfahren. Wir Menschen haben Schwächen und Fehler. Aber wir können ganz auf Gottes Liebe vertrauen und uns mit allen unseren Schwächen in Gottes offene Arme werfen. Luther hat das auch gemacht. Wo wir die von Gott ausströmende Liebe selbst im Herzen spüren, da fließt sie sowieso über zum Nächsten.

    „Sieh so fließ aus dem Glauben die Liebe und die Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies williges fröhliches Leben, dem Nächsten umsonst zu dienen.“ So hat es Martin Luther gesagt. Liebe gehört zu den Dingen, die größer werden, wenn man sie teilt. Deswegen: ein Mensch, der anderen gegenüber Empathie zeigt, der sich für eine Welt einsetzt, in der alle in Würde leben können, ist ein glücklicherer Mensch.

    Davon bin ich fest überzeugt. Und ich habe es gesehen. Als ich in Schweinfurt bei der Vesperkirche war. Und zu einer kleinen Andacht oben auf der Kanzel stand. Da habe ich Gesichter gesehen von Helfern, die andere bedient haben, und Gesichter von Menschen, die sich haben bedienen lassen und es genossen haben. Es waren alles glückliche Gesichter.

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