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Würzburg: Samstagsbrief: Eure Heiligkeit, diese Haltung zu Kindesmissbrauch verstört!

Würzburg

Samstagsbrief: Eure Heiligkeit, diese Haltung zu Kindesmissbrauch verstört!

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    Für den emeritierten Papst Benedikt XVI. sind die 68er Jahre eine Ursache für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche. 
    Für den emeritierten Papst Benedikt XVI. sind die 68er Jahre eine Ursache für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche.  Foto: Daniel Karmann, dpa

    Die Welt kennt Sie als Benedikt XIV., den ersten deutschen Papst und ersten Ex-Papst. Lange vor der Papstwahl aber waren Sie schon berühmt: Sie galten als großer Denker, der, etwa als Präfekt der Glaubenskongregation, erzkonservativ, aber immer bewundernswert schlüssig zu argumentieren verstand. Umso trauriger, umso tragischer, dass Sie in Ihrem jüngsten Aufsatz jedwede Logik vermissen lassen.

    Erst vor wenigen Wochen, Ende Februar, haben in Rom Überlebende von sexuellem Missbrauch und Mitglieder des ECA (Ending Clergy Abuse) demonstriert. Gleichzeitig fand das Gipfeltreffen der Katholischen Kirche zum Thema Missbrauch statt.
    Erst vor wenigen Wochen, Ende Februar, haben in Rom Überlebende von sexuellem Missbrauch und Mitglieder des ECA (Ending Clergy Abuse) demonstriert. Gleichzeitig fand das Gipfeltreffen der Katholischen Kirche zum Thema Missbrauch statt. Foto: Alessandra Tarantino, dpa

    Dieser Text kann nicht ignoriert werden

    Man könnte mit Blick auf Ihr fortgeschrittenes Alter von fast 92 Jahren den Text, den Sie geschrieben haben, stillschweigend unter den Tisch fallen lassen.  Bloß: Ihr Text "Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs", erschienen im "Klerusblatt", duldet kein Drüberwegsehen. Denn darin stellen Sie kirchlichen Kindesmissbrauch als quasi unvermeidliche Folge eines gesellschaftlichen Wandels dar! Statt dass Sie Ihre Funktion als Ex-Papst nutzen würden - wie es sich weltweit Katholiken von Ihnen erhoffen - , um sich im Namen der Kirche für fortgesetzten Kindesmissbrauch und für fortgesetzte Vertuschung von Kindesmissbrauch zu entschuldigen, entschuldigen Sie Ihre katholische Kirche.

    Ihre These: Die sexuelle Revolution der 68er-Bewegung habe kirchlichen Kindesmissbrauch möglich gemacht. Bis dato gültige Maßstäbe in Fragen der Sexualität seien in dieser Zeit "vollkommen weggebrochen", was sich aufs Klima auch in Priesterseminaren ausgewirkt habe. Und wer sich nun irritiert fragt, was eine freie Liebe mit Kindesmissbrauch zu tun haben könnte, dem erklären Sie: "Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde."

    Das Gedankengebäude wackelt: Die Prämisse ist dünn wie ein Arme-Sünderhemd

    Das ist tatsächlich die Prämisse, auf der Sie Ihr ganzes Gedankengebäude aufbauen; bloß: Ihre Prämisse ist dünn wie das Hemd eines armen Sünderleins. Die 68er Jahre stehen in der Wahrnehmung der Europäer fürs Infragestellen verkrusteter Strukturen und Moralvorstellungen; gewiss. Sie bedeuten - als Folge der Pille - die Möglichkeit von Sex ohne Ehe, Sex ohne Liebe, Sex unter Gleichgeschlechtlichen, Sex mit mehreren Partnern. Bei all diesen Spielarten der körperlichen Liebe geht es aber um einvernehmlichen Sex unter Erwachsenen.

    Dass in dieser Zeit Kinder erstmals als sexuelle Wesen wahrgenommen wurden und die Möglichkeit von Sex mit Kindern – in damals auch schon als  fragwürdig betrachteten Publikationen - theoretisch erörtert wurde, mag historisch korrekt sein. Aber Sie tun grade so, als wäre dann, wenn man einem Kind Sexualität zugesteht, Kindesmissbrauch der naheliegende nächste Schritt. Und diesen Denkschritt erlaubt die Logik nicht! Nicht die Logik, nicht die Moral, nicht das Gesetz. Verzeihen Sie mir diese Direktheit – aber der Gedankensprung von der Wahrnehmung eines Kindes als sexuelles Wesen hin zu Missbrauch verrät mehr über das Weltbild des Denkers als über die damalige Gesellschaft. Und wenn wir beim logischen Schließen sind: Haben Sie daran gedacht, dass dann, wenn, nach Ihrem Dafürhalten, die 68er Revolution Sex mit Kindern wirklich enttabuisiert haben sollte, Pädophilie zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen hätte werden müssen?

    Rein von der Logik her hält das Bild vom verführten Priester keine Zehntelsekunde

    Durchgehend liest sich Ihr Text im "Klerusblatt" so, als wären missbrauchende Priester nicht Täter, sondern Opfer - hilflose Opfer eines gesellschaftlichen Wandels. Aber schon rein von der Logik her hält doch das Bild vom verführten Priester keine Zehntelsekunde: Wäre jeder gesellschaftliche Wandel so stark, dass Zeitgenossen ihm quasi blind folgen müssen, hätten doch, nur als Beispiel, Priesterseminare in den späten 30er Jahren durchweg Nazis beherbergen müssen und alle Priesterseminar der späten 70er  und frühen 80er Jahre RAF-Sympathisanten.  Und natürlich hätte  in den 70er Jahren auch die Idee von der Gleichstellung der Frau alle Kirchenmänner erreichen müssen.   

    Auch das Christentum basiert auf der Vorstellung des freien Willens. 
    Auch das Christentum basiert auf der Vorstellung des freien Willens.  Foto: Gregorio Borgia, dpa

    Ahnen Sie jetzt, wo Ihr unseliger Gedankengang vom gesellschaftlich verführbaren Kleriker in letzter Konsequenz hinführt, wenn man ihn weiterspänne? Er würde damit enden, dass wir alle, so wie wir hier auf Erden wandeln, angesichts der bösen, bösen gesellschaftlichen Entwicklungen nichts anderes tun können als arme, hilflose, verführte und damit entschuldbare Opfer unseren diversen Begierden nachzugeben.

    Damit sprechen Sie nicht nur Ihren katholischen Priestern, sondern allen Menschen einen freien Willen ab. Muss ich hinzufügen, dass dann, wenn dieser Schluss gezogen würde, alle Religionen, die gute Menschen belohnen und Böse bestrafen, ihren Daseinszweck verloren hätten?

    Höflichst, Gisela Rauch

    Was ist der Samstagsbrief?

    Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.

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