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Würzburg: Samstagsbrief: Frau Schulze, geben Sie Söder bei Corona Zunder

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Samstagsbrief: Frau Schulze, geben Sie Söder bei Corona Zunder

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    Katharina Schulze, Grünen-Fraktionschefin und Oppositionsführerin im bayerischen Landtag, im September bei einer Rede im Plenum.
    Katharina Schulze, Grünen-Fraktionschefin und Oppositionsführerin im bayerischen Landtag, im September bei einer Rede im Plenum. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Sehr geehrte Katharina Schulze, ich könnte mir vorstellen, dass es in diesen Tagen nicht so wahnsinnig viel Spaß macht, Oppositionspolitikerin zu sein. Wir haben eine Pandemie, und die Staatsregierung – ebenso staatsmännisch wie bürgernah vertreten durch den Ministerpräsidenten – handelt entschlossen und prompt. Was kann man dagegen schon einwenden? Dennoch: Bitte geben Sie Markus Söder weiterhin Zunder! Das ist wichtig für den Parlamentarismus, das ist wichtig für die Demokratie.

    Fotos, auf denen Sie nicht übers ganze Gesicht strahlen und scheinbar allerbeste Laune verbreiten, sind zwar weiterhin schwer zu finden. Ihre Entgegnung als Vorsitzende der Grünen-Fraktion und Oppositionsführerin auf die jüngste Regierungserklärung des Ministerpräsidenten ließ indes an Angriffslust wenig zu wünschen übrig. Obwohl es derzeit vermutlich nicht so einfach ist, die richtigen Anknüpfungspunkte zu finden, um einem "Kommunikationsmonster" (so die Wortschöpfung eines Kollegen) wie Markus Söder beizukommen. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer hat Ihnen denn auch umgehend Ministerpräsidenten-"Bashing" vorgeworfen.

    Der Ruf nach mehr parlamentarischer Mitbestimmung auch und gerade in Krisenzeiten wird lauter

    Trotz zwischenzeitlicher Schwankungen liegt Markus Söder laut ZDF-Politbarometer in diesem Monat weiterhin auf Platz zwei in der Beliebtsheitsskala – hinter Angela Merkel und gleichauf mit Jens Spahn. Dass er mitunter Beschlüsse verkündet, in die noch nicht mal der Koalitionspartner eingebunden ist – geschenkt, das sollen die unter sich ausmachen. Dass hin und wieder ein Gericht eine Regelung kippt – passiert halt, wenn es schnell gehen muss. Dass der Ministerpräsident selbst zugeben muss, dass die bayerischen Corona-Hilfen für Kunstschaffende und Solo-Selbstständige "nicht funktioniert haben" – eine ziemlich späte Erkenntnis nach fast acht Monaten , aber immerhin.

    Dennoch: Der Ruf nach mehr parlamentarischer Mitbestimmung auch und gerade in Krisenzeiten wird lauter. Im Freistaat und auf Bundesebene. Laut einer Spiegel-Umfrage wollen 62 Prozent der Bürger, dass die Landesparlamente und der Bundestag stärker an Entscheidungen über die Corona-Maßnahmen beteiligt werden.

    Im Landtag wurde Markus Söder jüngst gar als "Alleinherrscher" tituliert. Und Sie, Frau Schulze, haben ihm vorgeworfen, sich permanent als Krisenmanager zu profilieren, anstatt zu schauen, ob auch alles funktioniert. Auch konfrontierten Sie ihn mit früheren Äußerungen: Als in Berlin die Zahlen stiegen, habe er gesagt, die Stadt sei "am Rande der nicht mehr Kontrollierbarkeit". Jetzt fragten Sie ihn: "Sagen Sie das jetzt zum Berchtesgadener Land auch?"

    Brauchen wir in Krisenzeiten eine Exekutive, die weitgehend ungehindert durchregiert?

    Schön beobachtet, doch eher eine Randnotiz. Es ist schließlich auch Markus Söders erste Pandemie. Schwerer wiegt die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit parlamentarischer Mitwirkung in Notzeiten. "Ich glaube nicht, dass die Menschen auf Ihre Gesetze warten wollen", hat Ihnen CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer entgegnet. Es ist das Killerargument schlechthin: Parlamente sind einfach zu langsam, wenn es wirklich um was geht. 

    Aber stimmt das überhaupt? Können wir Krisenzeiten nur mit einer Exekutive bewältigen, die durchregiert und höchstens hin und wieder von einem Gericht korrigiert wird? Ist es wirklich so gefährlich, so defätistisch, so miesmacherisch, wenn die Frage nach Verhältnismäßigkeit und Legitimität der Anti-Corona-Maßnahmen gestellt wird? Oder, wie Sie das getan haben, Frau Schulze, die Frage nach dem politischen Stil?

    Es geht eben nicht nur wegen Corona wirklich um was. Es geht um das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie. Es geht darum, einem Bedeutungsverlust der Parlamente entgegen zu wirken. Und nicht zuletzt geht es darum, die Legitimität der Maßnahmen zu gewährleisten. Dass nicht dauernd Juristen über Fragen der Wissenschaft entscheiden müssen. Und dass nicht dauernd Corona-Leugner von "Diktatur" faseln können.

    Niemand will jede dringende Maßnahme erst durch einen kompletten Gesetzgebungsprozess schicken. Aber wir haben jetzt schon seit ein paar Monaten Pandemie. Und wir werden wohl noch viele weitere Monate, wenn nicht gar Jahre Pandemie haben. Es ist höchste Zeit darüber zu diskutieren, wie wir als parlamentarische Demokratie bestmöglich durch diese Zeit kommen wollen.

    Vielleicht steht am Ende eines solchen Prozesses ja, dass Debatten in Volksvertretungen spannender sind als Polit-Talkshows. Das würde Demokratie wieder ein ganzes Stück attraktiver machen. Eine verwegene Hoffnung, das gebe ich zu. Aber auf Ihren Beitrag dazu, liebe Frau Schulze, wäre ich gespannt.

    Einer bekommt Post: Der "Samstagsbrief"Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.Quelle:

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