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Würzburg: Samstagsbrief: Minister Spahn, Sie hauen unser Gesundheitswesen kaputt!

Würzburg

Samstagsbrief: Minister Spahn, Sie hauen unser Gesundheitswesen kaputt!

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    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, CDU, ist gerade mal ein dreiviertel Jahr im Amt und hat es geschafft, sich in dieser Zeit viele Feinde zu machen. Wegen einer geplanten stärkeren Patienten-Steuerung bei Notfällen überhäufen ihn gerade Bayerns Ärzte mit Kritik.
    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, CDU, ist gerade mal ein dreiviertel Jahr im Amt und hat es geschafft, sich in dieser Zeit viele Feinde zu machen. Wegen einer geplanten stärkeren Patienten-Steuerung bei Notfällen überhäufen ihn gerade Bayerns Ärzte mit Kritik. Foto: dpa

    Sehr geehrter Herr Minister Spahn, grundsätzlich habe ich Respekt vor Bankkaufleuten. Sie rechnen schneller als andere. Können einschätzen, wie man Profit macht und wie man Verluste minimiert. Und sie wissen genau, wo und wie man Geld sparen kann. Ein gesteigertes Verständnis für kranke, leidende Menschen sagt man Bankern nicht nach. Was üblicherweise nicht schlimm ist; das entspricht ja nicht dem Anforderungsprofil.

    Nur bei Ihnen - da ist das unglücklich. Sie, Herr Spahn, haben als junger Mann Bankkaufmann gelernt. Und leider sind Sie, Ihren Äußerungen und Gesetzesvorhaben nach zu urteilen, im Herzen auch ein Bankkaufmann geblieben. Das Problem ist, dass Sie, der Mann mit dem Banker-Herzen, unser Gesundheitsminister sind.

    Es geht um eine Milliarde Euro an Gesundheitsausgaben - pro Tag!

    Klar, auch ein Gesundheitsminister muss rechnen und taktieren. Denn es geht um viel Geld. In Deutschland liegen seit 2017 die Gesundheitsausgaben bei über einer Milliarde Euro - und zwar pro Tag. Wer als Minister das Gesundheitsressort lenkt, muss nicht nur diese Geldflüsse, sondern auch die vielen Einflussnehmer im Gesundheitswesen überblicken - angefangen bei den Krankenkassen, die 70 Prozent der Gesundheitskosten tragen, bis hin zu den Ärzte-, Apotheker- und Pharmaverbänden. Klar soll ein Gesundheitsminister mit Blick auf zukünftige Ausgabensteigerungen einen Sparkurs weisen und fahren. Sie aber, Herr Spahn, Sie weisen keine Wege. Den Sparkurs im Blick, hauen Sie grade einfach das Gesundheitswesen kaputt. Auch das, was funktioniert.

    Nehmen wir als Beispiel den Zusatz zum Versorgungs-Gesetz; ein Zusatz, der, käme er denn, die freie Psychotherapeutenwahl killt. Sie wollen, dass künftig kein psychisch Notleidender sich seinen Therapeuten selbst suchen kann; sie wollen, dass ein staatlich bestellter Vorentscheider ansagt, wo es langgeht: Hier Selbsthilfegruppe, dort Psychotherapie, da Klinik. Sie muten dem Patienten damit zu, dass er in der ersten Sitzung nicht auf einen wohlwollenden Heiler, sondern auf einen sparkursorientierten Entscheider trifft.

    Bisher können sich in Deutschland Patienten ihren Psychotherapeuten selbst wählen und in sogenannten probatorischen Sitzungen herausfinden, ob die Chemie zwischen Therapeut und Patient stimmt.
    Bisher können sich in Deutschland Patienten ihren Psychotherapeuten selbst wählen und in sogenannten probatorischen Sitzungen herausfinden, ob die Chemie zwischen Therapeut und Patient stimmt. Foto: dpa

    Damit entmachten Sie nicht nur die Psychotherapeuten,Sie entmündigen auch die Patienten. Haben Sie dabei nicht was vergessen, Herr Spahn? Zum Beispiel, dass Sie als Minister nicht Patienten bevormunden, sondern vertreten sollen? Und zwar nicht nur, weil das Ihrem Auftrag entspricht, sondern auch, sondern auch, weil die Patienten über ihre Krankenkassenbeiträge große Teile des Gesundheitssystems finanzieren. 

    Und jetzt müssen wir über Ihren jüngsten Anschlag aufs Gesundheitssystem reden. Sie wollen bundesweit die Notfallversorgung ändern; wollen Leitstellen von Rettungsdienst und Ärztlichem Bereitschaftsdienst zusammenlegen und integrierte Notfallzentren in Kliniken einrichten. Bayerns Ärzte können es nicht fassen, dass die im Freistaat funktionierende Versorgung von schweren Erkrankungen über den Rettungsdienst und leichteren Fällen über den Bereitschaftsdienst ohne Not Ihrem Neustrukturierungswahn geopfert werden soll. Warum wollen Sie alles von Berlin aus regeln? Und warum tun Sie das, ohne vorher mit den Beteiligten zu reden?

    Bereitschaftspraxis der kassenärztlichen Vereinigung Bayern in Lohr. Gesundheitsminister Spahn will Bereitschaftsdienst und Notfallpraxen zusammenlegen.
    Bereitschaftspraxis der kassenärztlichen Vereinigung Bayern in Lohr. Gesundheitsminister Spahn will Bereitschaftsdienst und Notfallpraxen zusammenlegen. Foto: Björn Kohlhepp

    Denn das ist der Hauptvorwurf, der Ihnen entgegenschallt: Dass Sie ohne Einbeziehung von Fachleuten und Betroffenen im Eiltempo gesundheitspolitische Entscheidungen treffen, die Sie als Nicht-Fachmann nicht mit allen Folgen übersehen. Sie, Herr Spahn, handeln als Gesundheitsminister wie ein Zocker, der mit dem Geld anderer an der Börse spielt, schnell, cool, risikobereit: Schnell diese Struktur aufgeben, schnell eine andere Strategie probieren, über Nacht eine neue Taktik entwickeln. Das Problem ist, dass Sie leider aufgrund Ihrer Machtposition mit unser aller Gesundheit spielen.

    Kassenärzte schreiben Spahn, wie er das Gesundheitssystem beschädigt

    Nach den Ärzten aus Mecklenburg, die Ihnen im November wegen Ihrer „undemokratischen und dirigistischen Vorgehensweise“ den Kampf angesagt haben, nach den Psychotherapeuten, die per Petition gegen Sie vorgehen, wenden sich jetzt auch Bayerns Ärzte gegen Sie. Die geplante Änderung der Notfallversorgung sei ein Musterbeispiel dafür, wie man „mit Überregulierung unser Gesundheitswesen beschädigt“, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns. In dem Dreivierteljahr, in dem Sie Gesundheitsminister sind, haben Sie es geschafft, bei der Ärzteschaft, den Pflegekräften und Patienten unbeliebter zu werden als die früher meistgehasste SPD-Gesundheitsministern Ulla Schmidt in acht Jahren. Das will was heißen!

    Vielleicht, Herr Spahn, nehmen Sie sich über Weihnachten eine Auszeit, um nachzudenken, warum Sie in Deutschland von so vielen Menschen kritisiert werden. Vielleicht entscheiden Sie sich dann doch dafür, künftig statt vieler schlechter Vorschläge einige wenige, dafür aber durchdachte Vorhaben in den Bundestag zu bringen - und zwar Vorhaben, die Patienten und Ärzten Entscheidungsfreiheit lassen.

    Mit besten Grüßen

    Gisela Rauch

    Der Samstagsbrief: Jede Woche lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.

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