Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Meinung
Icon Pfeil nach unten
Samstagsbrief
Icon Pfeil nach unten

Würzburg: Samstagsbrief: Sind 30 Meter zu viel für die Gerechtigkeit, Herr Siebert?

Würzburg

Samstagsbrief: Sind 30 Meter zu viel für die Gerechtigkeit, Herr Siebert?

    • |
    • |
    Schiedsrichter Daniel Siebert.
    Schiedsrichter Daniel Siebert. Foto: TimGroothuis

    Sehr geehrter Daniel Siebert, die Wut der Bremer Fans war groß: "Reine Verarsche" sei der Elfmeter gewesen. Eine Schwalbe bescherte dem FC Bayern den Sieg im Halbfinale des DFB-Pokals.

    Das war am 19. April 2016. Im Strafraum hatte Arturo Vidal in Minute 71 zur Flugshow angesetzt. Angeblich umgegrätscht. Nur: Eine Berührung hatte es nie geben. Trotzdem flog der Chilene von der Allianz-Arena fast bis zum Sendlinger Tor. Werder hatte sich gewehrt, hatte gekämpft – und musste durch Thomas Müllers Elfmetertor die Segel streichen. Mit einer Schwalbe ins Finale – unsportlicher geht's nicht.

    Sie sehen, Herr Siebert: Es wurde schon vor Ihnen so manches Pokalspiel verpfiffen. Und Geschichte wiederholt sich. Gerne mit Dusel-Vorteil für den FC Bayern – aber das ist schon wieder ein eigenes Thema. Was diesmal anders ist als vor drei Jahren: Sie hätten die Chance gehabt, den Fehler zu korrigieren. Sie sahen nach eigener Aussage "unten" einen Kontakt – aber den gab es nicht.

    Bis dahin war das Pokal-Halbfinale vom Mittwoch ein schönes, ein würdiges Spiel. Zum Fingerablecken. Bis Sie meinten, in der 80. Minute eingreifen zu müssen. Ein Pfiff, der alles änderte: Aus einem mitreißenden Kick wurde ein Ärgernis. Ein Nerv-Ende, das selbst dem Gewinner nicht so recht munden wollte – vom Verlierer ganz zu schweigen.

    Theatralik? Windhauch? Schauspielerei?

    Das alles, weil Sportskamerad Kingsley Coman – tja, was eigentlich? Einen Windhauch spürte? Sich schauspielerisch verwirklichen wollte? Sie, Herr Siebert, hätten sich die Szene noch einmal anschauen können. Was vor einer derartigen finalen Semifinale-Entscheidung nicht zu viel verlangt gewesen wäre.

    Münchens Kingsley Coman im Zweikampf mit Bremens Verteidiger Theodor Gebre Selassie.
    Münchens Kingsley Coman im Zweikampf mit Bremens Verteidiger Theodor Gebre Selassie. Foto: PATRIK STOLLARZ, AFP

    Jetzt geht die Fragerei erneut los: Warum gibt es den Videobeweis, wenn doch wieder alles schief geht? Warum scheint immer noch nicht geklärt, wer wann eingreift? Wenn es um einen Elfer geht, der nur in einem von 100 Fällen – und auch dann nur aus Versehen – gegeben wird, wieso bekommt dann der Schiedsrichter auf dem Platz nicht einen Hinweis, noch einmal genau zu gucken? Wo war der Mann im Keller mit der Videotechnik? Eingenickt? Auf dem Klo? Gar nicht da?

    Grob fahrlässig

    Den Videobeweis in einem derart heiklen Moment nicht zu nutzen, ist grob fahrlässig. Selbst wenn sich der Assistent in Köln nicht meldet oder es ein Kommunikationsproblem gab – ein Schiedsrichter sollte in einem solchen Fall zwingend unterbrechen und nachschauen können. Ohne Not haben Sie das Spiel kaputt gemacht. Wie viele Meter hätten Sie zu dem Monitor laufen müssen? 25? 30? Ganze 30 Meter und uns wäre ein Witz-Elfmeter erspart geblieben. Eine Lächerlichkeit. 30 Meter für Gerechtigkeit.

    Ganz ehrlich, Herr Siebert: Genau dafür sind Sie da. Das ist Ihr Job. Es zu unterlassen ist so, als würde man trotz Digitalkamera immer noch stur auf Filmrollen setzen. Welcher Zacken wäre Ihnen aus der Krone gebrochen, wenn Sie noch einmal geschaut hätten? Zumal die Fans Verständnis haben, dass nicht jede Entscheidung sitzt. Weil alles so schnell geht. Beim Elfmeter liegen zwischen Schussabgabe und Torhüter 0,4 Sekunden Flugzeit. Ähnlich dürfte die Zeitspanne zwischen Foul und Pfiff sein. Sich an dieser Stelle mehr zu vertrauen als der Zeitlupe grenzt an famose Selbstüberschätzung.

    Strafe für den Flugkünstler

    Nach dem Spiel war zu lesen, der Elfmeter sei fragwürdig gewesen. Inzwischen ist für alle klar: der Elfmeter war falsch. Genau genommen hätte der bayerische Flugkünstler bestraft werden müssen. Klar, man könnte den Bremern jetzt vorwerfen: Hättet ihr euch halt auch im Strafraum fallen lassen. Aber genau das sollte nicht mehr sein, das sollte der Videobeweis verhindern. Was um alles in der Welt ist daran bloß so schwer?

    War es nicht so, dass der ganze technische Aufwand – manche sagen inzwischen: Firlefanz - den Fußball gerechter machen sollte? Ich weiß nicht, ob es gerechter geworden ist. Auf alle Fälle aber wurde es verwirrender. Weil man das Gefühl hat, die Schiedsrichter sind ohne Schulung ins Videobeweis-Zeitalter geschlittert. Aber das kann’s nach so langer Zeit auch nicht mehr sein.

    Sie, Herr Siebert, haben es geschafft, aus einem Halbfinal- ein Skandalspiel zu machen. Ohne Ihre Fehlentscheidung wäre dieser Samstagsbrief womöglich an den ältesten Pokaltorschützen aller Zeiten gegangen, weil Claudio Pizarro in der 94. Minute elegant zum 3:2 für die Bremer abgestaubt hätte. Was Sie angerichtet haben, Herr Siebert, lässt sich am treffendsten mit den Worten von Bremens Kapitän Max Kruse nach dem Schlusspfiff  zusammenfassen: "Oh Gott ey. Das ist lächerlich."

    Was ist der Samstagsbrief?

    Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden