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WÜRZBURG: Wussten Sie, dass Kinder nichts kosten sollen, Frau Giffey?

WÜRZBURG

Wussten Sie, dass Kinder nichts kosten sollen, Frau Giffey?

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    „Kinder sind unsere Zukunftsinvestition. Mamas und Papas dürfen sie aber nichts kosten, außer ein paar Nerven“, heißt es auf einem Wahlplakat der Landes-SPD. Unsere Redakteurin Gisela Rauch hat das Plakat vor einigen Tagen vor dem Würzburger Mozart-Areal gesehen. Seither denkt sie darüber nach, was diese Aussage bedeuten soll.
    „Kinder sind unsere Zukunftsinvestition. Mamas und Papas dürfen sie aber nichts kosten, außer ein paar Nerven“, heißt es auf einem Wahlplakat der Landes-SPD. Unsere Redakteurin Gisela Rauch hat das Plakat vor einigen Tagen vor dem Würzburger Mozart-Areal gesehen. Seither denkt sie darüber nach, was diese Aussage bedeuten soll. Foto: Foto: Gisela Rauch

    Sehr geehrte Frau Giffey,

    wussten Sie, dass Kinder ihre Eltern nichts kosten sollen? Das wussten Sie nicht? Ja, das dachte ich mir. Deshalb schreibe ich Ihnen ja auch. Damit Sie als SPD-Bundesfamilienministerin sehen, was Ihre SPD-Kollegen in Bayern im Landtagswahlkampf versprechen. Denn es kann ja sein, dass Sie, die Sie anders als die Bayern-SPD Regierungsverantwortung tragen, bald mit den von unserer Landes-SPD geweckten Erwartungen bayerischer Eltern konfrontiert werden.

    Vorgestern war's, als ich dieses SPD-Wahlplakat sah. Ich war dabei, durch die Stadt zu hetzen und für die Kinder Schulmaterial und Klamotten zu besorgen, als ich vor dem Würzburger Mozartareal abrupt stoppte. Vor einem SPD-Plakat, das mich verstörte. „Kinder sind unsere Zukunftsinvestition. Mamas und Papas dürfen sie aber nichts kosten, außer ein paar Nerven“, stand da.

    Die Wahlveräppelung ist kaum zu toppen

    Dieser Text ist unglücklich formuliert; hätte man im zweiten Satz Subjekt und Objekt getauscht, wäre er verständlicher. Aber wenn ich vorgestern minutenlang auf dieses Plakat starrte, dann nicht der Grammatik wegen. Sondern wegen der Wählerveräppelung. Kaum zu toppen. Noch absurder klängen höchstens Behauptungen wie „Kinder machen Eltern reich.“

    Wäre ich milder gestimmt, würde ich derartig abstruse Versprechen mit der miserablen Wahlprognose der bayerischen SPD erklären. Ihr werden elf Prozent bei der Landtagswahl vorhergesagt; und wer fürchten muss, am Wahlsonntag hinter Grüne, Freie Wähler und AfD zurückzufallen, erfindet vielleicht aus Verzweiflung immer realitätsfernere Wahlversprechen. Aber in einem Land wie Bayern zu fordern, dass Kinder ihre Eltern nichts kosten sollten, ist albern. Dass sich diese Forderung nur auf Kita-Kinder bezieht, wie aus einer winzig kleinen Erläuterung am Plakatrand hervorgeht, ändert daran nichts.

    Versprechen geben, die auch gehalten werden können

    Bayern, das wissen Sie, Frau Giffey, ist jenes Land, das anders als Hessen oder Hamburg nicht einmal das erste Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt hat. Jenes Land, dem 30 000 Kita- und Krippenplätze fehlen, wo es 10 000 Hortplätze zu wenig gibt und nicht genug Ganztagsschulplätze. Natürlich ist der Mangel an Betreuungsplätzen der seit über 60 Jahren regierenden CSU anzulasten; nicht der SPD.

    Aber wer ernst genommen werden will, verspricht nur, was er wenigstens ansatzweise halten kann. Würde die SPD etwa fordern, nur das erste halbe Beitragsjahr im Kindergarten für alle Eltern beitragsfrei zu stellen statt die komplette Abschaffung aller Kita-Gebühren anzukündigen, könnte ich ihr glauben. Das wäre realistisch! Aber so habe ich den Eindruck, dass nicht einmal die SPD, die sich ja seit der Bundestagswahl 2017 als Familienpartei gibt, Eltern ernst nimmt.

    Denn nicht nur wir beide, Frau Giffey, sondern auch andere Eltern, kennen schließlich die Berechnung des Statistischen Bundesamts, derzufolge ein Kind im Monat durchschnittlich 584 Euro kostet. Bis zum 18. Jahr kostet das Kind 130 000 Euro. Selbst wenn Kitagebühren übernommen werden würden, bliebe die Rechnung hoch – zu hoch.

    Kollege ohne Kinder muss sich nie um Geld sorgen

    „Das wichtigste ist ja das Wohl der Kinder, und das heißt nun mal, dass alle Schwimmen lernen”, sagte Franziska Giffey.
    „Das wichtigste ist ja das Wohl der Kinder, und das heißt nun mal, dass alle Schwimmen lernen”, sagte Franziska Giffey. Foto: Ralf Hirschberger

    Liebe Frau Giffey, ich wünsche mir eine Familienpolitik, die die Erziehungsleistung von Eltern ernst nimmt, die das, was Eltern für die Gesellschaft leisten, in geldwertem Vorteil honoriert und die verhindert, dass Eltern – gerade Alleinerziehende – immer ärmer werden. Ich brauche keine Shopping-Wochenenden in New York oder ähnlichen Luxus. Aber ich ärgere mich als Mutter dreier Kinder darüber, dass der kinderlose Kollege mit den gleichen Qualifikationen und dem gleichen Einstiegsgehalt wie ich sich nie über Geld sorgen muss, ich aber schon.

    Gerade die SPD scheint allerdings zu glauben, dass die leidige Debatte über die Benachteiligung von Familien aus der Welt zu schaffen ist, wenn man dafür sorgt, dass Kinder während der Arbeitszeiten ihrer Mütter besser betreut sind. Natürlich ist eine bessere Betreuung wichtig, aber sie reicht nicht. Was von Politikern selten gesehen wird, ist die anstrengende Kinder-Sorgearbeit vor der Arbeit, nach der Arbeit, an Wochenenden und in Ferien.

    Sorgearbeit bringt vor allem Frauen ans Limit

    In den Jahren hat sich auch im Westen Deutschlands, politisch gewollt, weil wirtschaftlich günstig, ein Modell durchgesetzt, das davon ausgeht, dass Frauen und Männer trotz Kindern möglichst viel erwerbstätig sind und nebenbei die unbezahlte Sorgearbeit schaffen. Das bringt gerade die Frauen, die den größten Teil dieser Sorgearbeit sowie des Haushalts leisten, ans Limit. Gleichzeitig werden Kuren und Rehas immer weniger bezahlt.

    Wenn sich die Situation für Familien bessern soll, dann müssen Sie das auf Bundesebene schaffen. Ich erwarte ja keine Wunder. Aber es wäre freundlich, wenn Sie die Aussage „Kinder sollten Mamas und Papas weniger kosten“ wenigstens ansatzweise umsetzten.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Gisela Rauch, Redakteurin

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