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Würzburg: Corona-Berichte: Welche Medien der Journalistik-Professor lobt

Würzburg

Corona-Berichte: Welche Medien der Journalistik-Professor lobt

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    Klaus Meier, Journalistik-Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. 
    Klaus Meier, Journalistik-Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.  Foto: KU/Constantin Schulte Strathaus

    "Hochwertiger Journalismus muss jetzt in den Diskurs eintreten", fordert der Eichstätter Journalistik-Professor Klaus Meier. Er hat mit seinem Schweizer Kollegen Vinzenz Wyss eine erste Analyse und Bilanz des "Corona-Journalismus" erstellt. Die beiden Forscher vermissen in der Krise vor allem eine breite gesellschaftliche Debatte. 

    Frage: Werden wir in der Corona-Krise hochwertig informiert?

    Prof. Klaus Meier: Das ist eine Frage, die man sehr vielfältig beantworten kann. Ich gehe mal auf zwei Aspekte ein. Zum einen haben wir einen verlässlichen und vertrauenswürdigen Journalismus. Die Bevölkerung vertraut den Medien und der Politik laut Umfragen in bislang ungekanntem Maße. Seit Anfang März ist die Angst vor diesem Virus sehr groß und alle waren dankbar für schnelles Handeln ohne Diskussion. Man denkt einhellig, was die Politik entscheidet, ist richtig. Es wird praktisch nichts in Frage gestellt, nichts öffentlich diskutiert. Auf der anderen Seite vermisse ich das, was Journalismus in der Demokratie eigentlich leisten muss, nämlich jede Entscheidung der Politik zur Debatte zu stellen - möglichst schon davor. Tatsächlich aber sind weit greifende Eingriffe in die Grundrechte eigentlich nur zwischen einzelnen Experten und der Executive in Hinterzimmern verhandelt worden. Das muss die absolute Ausnahme bleiben. 

    Regelmäßige Stellungnahmen: Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), bei einer Pressekonferenz zum Stand der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland. 
    Regelmäßige Stellungnahmen: Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), bei einer Pressekonferenz zum Stand der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland.  Foto: John Macdougall, afp

    Was ist jetzt Ihre konkrete Erwartung an den Journalismus?

    Meier: Hochwertiger Journalismus muss nun in den Diskurs eintreten. Muss alle möglichen Szenarien abwägen, die sinnvoll sind, um aus diesem Shutdown wieder herauszukommen.  Wie können die massiven Auswirkungen Schritt für Schritt gemindert werden, ohne die Bevölkerung in zu hohem Maße zu gefährden? Darüber muss jetzt ganz offen diskutiert werden. Und zwar aus verschiedenen Perspektiven. Vor allem dürfen wir dabei nicht nur auf die Virologen hören, die die Folgen und Nebenfolgen eines Shutdowns gar nicht berücksichtigen dürfen, sondern immer die maximale Bekämpfung fordern müssen – koste es, was es wolle. Welche Maßnahmen sind jetzt verhältnismäßig und zielführend? Welche übertrieben und widersprüchlich? All das muss öffentlich diskutiert werden.

    Wird das nicht in vielen Fällen schon so gemacht? Wir nehmen in der Redaktion momentan jedenfalls viel Lob von Leserinnen und Lesern für unsere Arbeit wahr.

    Meier: Ich denke, was viele Menschen jetzt als wohltuend empfinden, ist die Tatsache, dass in der politischen Auseinandersetzung derzeit ein Streit nicht allein um des Streits willen provoziert wird. Das erleben wir ja sonst sehr oft in unserer Erregungsgesellschaft. Aber dieses durchaus wohltuende Verhalten ist eben um den Preis erkauft worden, dass wir gar nicht mehr diskutieren. Es wäre besser, diesen Diskurs mit einem sachlichen und intensiven Austausch von Argumenten wieder aufzunehmen und langfristig zu führen. Das kann man gar nicht oft genug betonen, denn die öffentliche Debatte gehört zur Demokratie wie das Wasser zum Leben.

    "Die Zahl der Infizierten und die Zahl der Toten erzählen die Geschichte nur einseitig, schmal und mitunter auch schief."

    Professor Klaus Meier

    Zu einem solchen Diskurs gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit Zahlen. Sie beklagen in Ihrer Analyse eine zu große Zahlenfixierung des Journalismus. Was meinen Sie damit?

    Meier: Die Kritik gilt da vor allem den Nachrichten und Sondersendungen im Fernsehen. Dort bekommen wir eigentlich immer zwei Zahlen geliefert: die Zahl der Infizierten und die Zahl der Toten. Beide Zahlen können aber nicht leisten, was wir von ihnen erwarten. Sie erzählen die Geschichte nur einseitig, schmal und mitunter auch schief. Wenn es zum Beispiel heißt: „Zahl der Infizierten“ – dann stimmt das nicht. Es ist die Zahl der bis dahin statistisch erfassten positiven Tests. Die Zahl der positiv Getesteten international zu vergleichen, macht gar keinen Sinn. Es gibt Länder, wo nur diejenigen getestet werden, die in die Klinik eingeliefert werden, in Deutschland und in der Schweiz wird dagegen vergleichsweise breit getestet, in anderen Ländern noch breiter. Auch der tägliche oder gar stündliche landesweite Vergleich hinkt: In manchen Regionen dauern die Tests zwei Tage, in anderen fünf bis zehn Tage. Bei der Zahl der Corona-Toten müsste unterschieden werden zwischen Menschen, die an Corona gestorben sind, und Menschen, die an etwas anderem gestorben sind, bei denen das Virus aber auch nachweisbar war. Medizinisch ist das nicht immer möglich und es wird national nicht statistisch erhoben – aber in der Zahlenberichterstattung wird dieses Problem nicht angesprochen.

    Ein weiteres Problem aus Ihrer Sicht ist, dass in Medien oft der dramatische Einzelfall pauschalisiert und damit Angst und Panik verursacht werde. Haben Sie dafür Beispiele?

    Meier: Das Beispiel, das uns sicher noch allen im Kopf ist, sind die Särge von Bergamo. Das Bild signalisierte uns tagelang in den Nachrichten, dass alles getan werden muss, um das Virus zu bekämpfen. Das hat dann auch die Fernsehrealität komplett dominiert. Wenn sie diese Bilder zeigen und anschließend ein Interview mit einem Politiker oder einem Virologen machen wollen, dann können sie das Gespräch doch gar nicht mehr kritisch führen. Sie müssen vielmehr alles abnicken, was der Experte fordert – ob das jetzt zielführend oder über das Ziel hinaus geschossen ist, kann man dann gar nicht mehr mit der nötigen Distanz erörtern.

    Ist das der Hintergrund, vor dem Sie beklagen, dass einige wenige Chef-Virologen in den zurückliegenden Wochen zu unfehlbaren Medienstars aufgebaut worden seien?

    Meier: Wir haben  gerade in den ersten Wochen der Krise erlebt, dass die Entscheidungen der Politik sich im Wesentlichen auf eine Handvoll Virologen stützen. Zumindest wurde uns das in der nationalen Berichterstattung ständig so erzählt; in den Nachrichtensendungen und den Talkshows kommen immer die gleichen wenigen Experten vor, die geradezu devot behandelt werden. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass Medien Wissenschaftler befragen und darüber berichten. Aber auch die weltweite Forschung ist sich in dieser neuen wissenschaftlichen Herausforderung mit dem Sars-CoV2-Virus nicht einig, Studien widersprechen sich im Detail. Das ist völlig normal. Und deshalb hätte ich mir mehr Vielfalt gewünscht und nicht das Vergöttern einzelner Virologen, die durch die Medienlogik geradezu dazu gedrängt werden, unfehlbare Gewissheiten zu vermelden, wo doch der Zweifel und der Umgang mit Unsicherheit ihr Beruf ist.

    Das sind natürlich Momentaufnahmen. Da drängt sich die Frage auf: Ist jetzt unmittelbar im Auge des Corona-Orkans eine seriöse Analyse des Journalismus überhaupt möglich?

    Meier: Das ist tatsächlich eine entscheidende Frage auch für uns Journalismusforscher als Wissenschaftler. Wir haben lange gezögert, das zu tun. Denn natürlich gibt es noch keine umfassende Studie. Trotzdem möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt mit anderen Wissenschaftlern auf das Problem aufmerksam machen, dass wir momentan eine sehr einseitige Öffentlichkeit haben. Wir wollen Impulse setzen gegenüber dem Journalismus, aber auch gegenüber der Bevölkerung. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass man jetzt auch eine kritische Distanz braucht zu dieser Medienrealität, die uns alle im Griff hat. Denn alles, was die Menschen über das Virus und über die Maßnahmen der Behörden wissen, erfahren sie aus den Medien.

    Welche Medien werden in Krisenzeiten genutzt - und wo bekommt man verlässlich die besten Informationen? Medienexperte Klaus Meier analysiert die Berichterstattung. 
    Welche Medien werden in Krisenzeiten genutzt - und wo bekommt man verlässlich die besten Informationen? Medienexperte Klaus Meier analysiert die Berichterstattung.  Foto: Britta Pedersen, dpa

    Was bedeutet das?

    Meier: Wir müssen uns alle der Frage stellen, was die Medien mit uns machen. Ob ich mich selbst richtig informiere, ob ich in Angst und Panik verfalle, weil gerade wieder ein dramatisches Einzelbeispiel im TV gezeigt wird, das aber so für die ganzheitliche Sicht nicht stehen kann. Darauf wollen wir als Journalismusforscher zum jetzigen Zeitpunkt aufmerksam machen. Uns geht es darum, kritische Denkanstöße zu geben, weil wir denken, dass gerade jetzt im Auge des Orkans ein Blick auf den Journalismus von außen wichtig ist. Unter schwierigen Bedingungen und großem Druck fehlt auch in Redaktionen oft die Zeit für Selbstreflexion. Wir sind genauso wie so viele Menschen jetzt dankbar für die enorme Leistung der Journalistinnen und Journalisten, die fast alle ihre Sendungen und Ausgaben in Telefon- und Videokonferenzen planen und aus der Küche, dem Wohn- oder Schlafzimmer heraus recherchieren und produzieren – mit allen Herausforderungen im persönlichen Umfeld und bei gleichzeitiger Furcht um ihre Arbeitsplätze und die Überlebensfähigkeit ihrer Unternehmen.

    "Bitte achtet auf Vielfalt in der Berichterstattung!"

    Professor Klaus Meier

    Ist Ihre Analyse nicht zu sehr geprägt von der Sicht aus dem Elfenbeinturm?

    Meier: Ich denke, dieser Elfenbeinturm kann es eigentlich nie richtig machen. Wenn wir nichts sagen, wirft man uns vor, dass wir uns in den Elfenbeinturm zurückziehen - gerade jetzt, wo wir eine wissenschaftliche Analyse und Impulse brauchen könnten. Melden wir uns zu Wort, heißt es: Diese Sichtweise ist jetzt sehr aus dem Elfenbeinturm heraus. Natürlich sind es auch fehlbare Perspektiven, die wir anbieten. Wir liefern Argumente und Fakten, über die man diskutieren muss. Da kann es sein, dass es dann in zwei Wochen heißt: Da habt ihr aber nicht Recht gehabt! Das ist ein völlig normaler Prozess in der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung. Wissenschaft ist keine unfehlbare Institution. Und in diesem Sinne betreiben wir gerade öffentliche Wissenschaft – und auch ein wenig riskante Wissenschaft.

    Wären Sie nicht Wissenschaftler, sondern Chefredakteur: Was würden Sie Ihrer Redaktion jetzt raten?

    Meier: Ich würde auf jeden Fall immer wieder betonen: Bitte achtet auf Vielfalt in der Berichterstattung! Der Regional- und Lokaljournalismus macht das ja bereits seit vielen Tagen sehr gut. Dort findet man zumindest einen Teil der Vielfalt, die in den nationalen Medien fehlt: das Nachfragen bei lokalen Gesundheitsberufen und in regionalen Kliniken ebenso wie Geschichten über die Probleme und Nebenwirkungen dieses Shutdowns für die Menschen – für Unternehmer, Selbstständige, Künstler, Sportler, Schüler, Lehrer, Eltern, die Auswirkungen auf psychisch Kranke, Behinderte oder Familien in problematischen Verhältnissen. Überregional würde ich als Chefredakteur eine Debatte um mögliche Exit-Strategien forcieren und meine Redaktion ermutigen, verschiedene Perspektiven zuzulassen und nicht zu einseitig zu sein.

    Klaus Meier, Jahrgang 1968, ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Journalistik I an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zuvor war der gelernte Zeitungsredakteur Professor für Journalistik an der Hochschule Darmstadt und der Technischen Universität Dortmund. Er ist Träger des Ars legendi-Preises für exzellente Hochschullehre 2017.

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