Die Bilder lassen einen erschaudern: Hunderte Menschen ziehen am Stadtfest-Sonntag durch die sächsische Großstadt Chemnitz, skandieren Hetzparolen gegen Migranten und den Staat. Viele unter ihnen schrecken selbst vor Gewalt gegen Menschen, die sie für Ausländer halten, und gegen Polizeibeamte nicht zurück. Jagdszenen in Sachsen.
- Aktueller Bericht aus Chemnitz: Mindestens sechs Verletzte bei Protesten am Montagabend
Ausgelöst hat den Tumult eine Messerattacke in der Nacht zum Sonntag, bei der ein 35-jähriger Deutscher tödliche Verletzungen erlitt. Lange bevor die Staatsanwaltschaft Angaben zur Herkunft der Tatverdächtigen, ein 23-jähriger Syrer und ein 22-jähriger Iraker, macht, verabreden sich rechte Gruppen, offenbar verwurzelt in der Szene gewaltbereiter Fußball-Hooligans, via Internet zum Rachefeldzug durch die Stadt. Statt die Aufklärung der Straftaten abzuwarten und still mit den Angehörigen des Opfers zu trauern, instrumentalisieren die Randalierer den Toten für ihre pauschale Hetze gegen Flüchtlinge. Das ist purer Rassismus.
Gut, dass die Vertreter der demokratischen Parteien mit klaren Worten reagieren. „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder den Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz“, betont Steffen Seibert, Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel. In Deutschland sei kein Platz für Selbstjustiz, für Intoleranz und Extremismus. Viele Parteienvertreter äußern sich ähnlich. Auch AfD-Politiker aus Sachsen distanzieren sich von den Randalierern in Chemnitz.
Tweet von AfD-Mann erinnert an die dunkelsten Tage deutscher Geschichte
Wie glaubwürdig solche Erklärungen von Rechtsaußen sind, muss sich zeigen. Ein Tweet des baden-württembergischen AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier erlaubt da Zweifel. „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach! Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende 'Messermigration' zu stoppen“, schreibt der 27-Jährige. Das ist längst nicht mehr nur Stimmungsmache, das ist ein Aufruf zur Selbstjustiz und erinnert an die dunkelsten Tage deutscher Geschichte.
Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach! Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringendendie "Messermigration" zu stoppen! Es hätte deinen Vater, Sohn oder Bruder treffen können! — Markus Frohnmaier (@Frohnmaier_AfD) 26. August 2018
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, findet die klaren Worte, denen nichts hinzuzufügen ist: „Nie wieder darf es in Deutschland akzeptiert werden, dass Menschen nur wegen ihres Äußeren oder ihrer Herkunft angegriffen werden. (...) Wir müssen diesem Mob Einhalt gebieten – jetzt! Bevor es zu spät ist.“
Einmal mehr ist Sachsen Schauplatz rassistischer Tumulte
Zuständig, Einhalt zu gebieten, wenn Rechte Hetzjagden veranstalten, sind im Rechtsstaat zu allererst die Sicherheitsbehörden. Die Polizei in Chemnitz hat die Gewaltbereitschaft der Randalierer unterschätzt, sie hat Menschen, die vermeintlich fremd aussehen, nicht genügend vor Ausschreitungen schützen können. Es ist schon auffällig, dass einmal mehr eine Stadt in Sachsen Schauplatz solcher Tumulte ist. Freital, Clausnitz und Heidenau: Das sind Orte im Freistaat, die in der Vergangenheit bereits Schauplätze ausländerfeindlicher Attacken waren, bei denen die Beamten mindestens hilflos wirkten.
Vor wenigen Tagen erst hat die Polizei in Dresden bei einer Anti-Merkel-Kundgebung ZDF-Journalisten behindert, die ihrer Arbeit nachkamen und kritische Fragen stellten. Auch wenn die eine Situation nicht mit den anderen vergleichbar ist: Den Eindruck, dass die sächsische Polizei auf dem rechten Auge vielleicht nicht blind ist, aber es bei vielen Beamten doch an einer klaren Sicht auf Rechtsstaat und Demokratie mangelt, kann man sich nicht erwehren. Diese Defizite aufzuarbeiten, Fehlverhalten und falsch verstandenen Korpsgeist auch als solche öffentlich zu benennen und gegebenenfalls personelle Konsequenzen zu ziehen, das ist das Gebot der Stunde für die Politik in Sachsen. Jetzt. Bevor es zu spät ist.