LESERANWALT

Herausforderung AfD: Warum Journalisten einen Wertemaßstab für den Umgang mit Parteien brauchen

Wie angemessen berichten über Parteien, von denen erkennbar extremistische Tendenzen ausgehen? Eine Betrachtung von Leseranwalt Anton Sahlender zum Wahlergebnis der AfD.
Eine Zuschauerin mit dem Aufkleber 'Meinungsfreiheit' am Hut verfolgt eine Kundgebung der AfD zur Landtagswahl in Bayern. Der journalistisch angemessene Umgang mit dieser Partei, deren Vertreter demokratisch gewählt sind, ist nicht einfach.
Foto: Uwe Lein, dpa | Eine Zuschauerin mit dem Aufkleber "Meinungsfreiheit" am Hut verfolgt eine Kundgebung der AfD zur Landtagswahl in Bayern.

Für eines der letzten lokalen Wahlforen in Unterfranken vor der endgültigen Abgabe der Stimmzettel für den Bayerischen Landtag hatte der Veranstalter als Ziel ausgegeben, möglichst nicht mehr die AfD zum Thema zu machen. Deren Kandidat waren auch nicht eingeladen. Man wollte dadurch eine Partei, die demokratieschädigende Tendenzen und Personen prominent mit sich führt, wohl nicht weiter hochspielen.

Ist das der Weg, um dem wirksam entgegenzutreten?

Verpflichtung: Freiheitlich demokratische Grundordnung nie aus den Augen verlieren

Zumindest verstehen Journalistinnen und Journalisten das Streben der Forum-Veranstalter recht gut. Denn sie sind in ihrer Arbeit der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet. Die ist auch in der Redaktion dieser Zeitung ein eherner Grundsatz, den sie bei ihren Veröffentlichungen im Auge behalten muss. Das wird bei Beiträgen über die AfD zuweilen erkennbar, das verdeutlicht auch ein kritischer Kommentar des Chefredakteurs, der sich mit der Wirkung dieser Partei auseinandersetzt.

Wann in diesem Lande kritische Solidarität unverzichtbar bleibt

Die journalistische Verpflichtung auf die Verfassung wurde immer besonders dann gebraucht, wenn Parteien auf deren Grenzlinien populistisch operiert haben. Unübersehbar muss diese Verpflichtung nach öffentlichen Reden von Vertreterinnen und Vertretern der AfD sein. Die sind für wachsame Demokraten unerträglich, das umso mehr, wenn führende Parteimitglieder schreckliche nationalsozialistische Taten verharmlosen oder gar leugnen.

Das hat dann auch eine Mehrheit der Medien angeprangert. So wurden Björn Höcke und seine Aussagen vielfach zur Warnung vor der AfD. Bei solchen Auftritten und anderen bedrohlichen Anzeichen bleibt in diesem Land kritische Solidarität eben unverzichtbar. Die Demokratie muss sich unbedingt ihre Freiheiten nehmen, sich zu schützen. 

Demokratisch gewählte Abgeordnete im Schatten undemokratischer Entgleisungen

Demokratische Grundsätze sind es aber auch, die Journalisten um den angemessenen Umgang mit dieser Partei, ihren Wählern und den dabei auftretenden Widersprüchlichkeiten ringen lassen. Dieses Ringen hat die Redaktion des Online-Medienmagazins Übermedien zum Thema gemacht und sie als "praktizierte Ambiguitätstoleranz" bezeichnet. Denn demokratisch gewählte Abgeordnete der AfD bewegen sich im Schatten undemokratischer Entgleisungen, die der Partei und oft ihnen selbst anzulasten sind.

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Das fällt schwer ins Gewicht. Dennoch hatten Menschen in Bayern und Hessen Gründe, die Partei mit ihren Stimmen noch mehr in den Blickpunkt der medialen Aufmerksamkeit zu rücken. Auch diesen Wählerinnen und Wählern gilt es journalistisch angemessen und klar zu begegnen.

Das Gesamtbild prägen Auftritte, die nicht in eine Demokratie passen

Die AfD in Medien zu übergehen, das funktioniert schon längst nicht mehr.  Angesichts des weiter gewachsenen öffentlichen Interesses ließe sich das mit journalistischem Selbstverständnis und dem Informationsauftrag überhaupt nicht vereinbaren. Es geht um Glaubwürdigkeit. Deshalb müssen aber auch hetzerisch, rassistischen Auftritte Gegenstand in Berichten bleiben. Sie prägen das AfD-Gesamtbild.

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Hinzu treten werden nun  Auftritte der vier AfD-Abgeordneten unter den 22 aus der Region in den bayerischen Landtag gewählten. Das alles bestimmt den Umgang der Journalisten damit, ebenso wie die Reaktionen aus dem Parlament. Von Anfang an nicht zu übersehen ist jedenfalls, wenn gegen einen der gewählten AfD-Kandidaten aktuell wegen Volksverhetzung ermittelt wird.

Gesucht ist ein angemessener Umgang

Die schlichte, zuweilen in Redaktionen klassischer Medien gepflegte Logik, den gefährlich am demokratischen Rand agierenden Parteien möglichst keine Plattformen zu bieten, den führen die aktuellen Wahlergebnissen ad absurdum. Wer die AfD ganz hinten anstellt, hebt sie in die Opferrolle. Die trifft zu, wenn eine mit anderen Parteien halbwegs vergleichbare Linie nicht mehr erkennbar bleibt. Leser würden dann zurecht aufbegehren. Was sie freilich schon dann tun, wenn die AfD zum Prügelknaben gemacht wird. Gesucht ist folglich ein Umgang, der Leserinteressen angemessen gerecht wird, aber dabei Grundwerte unseres Landes und des Journalismus im Auge behält. 

Ein Maßstab aus Werten der Verfassung

Wir gelangen dabei an einen Kern des Journalismus. Der liegt im Sinne des Gemeinwohls, da sind AfD-Wähler nicht außen vor. Gefordert ist im politischen Geschehen allemal die Wachsamkeit der Medien. Deren schützender Blick richtet sich gerade in turbulenten Zeiten auf die Verfassung. Die bietet Orientierung, fußt sie doch auf nachhaltigen Lehren aus nicht allzu ferner Geschichte. Das gerade dann, wenn Erinnerungen daran geweckt werden.

Im Grundgesetz sind Freiheit, Gleichheit, Würde und Recht für alle Menschen geschützt. Darin steckt der Auftrag an Redaktionen. Folglich sollten sie einen mit diesen Werten skalierten Maßstab vermehrt ansetzen. Mit dem sind die Aktivitäten aller Parteien und Politiker, aber auch sie selbst zu messen.

In der Präambel der Journalistischen Leitlinien der Main-Post Redaktionen heißt es übrigens:

"Unabhängiger, kritischer Journalismus beruht auf Freiheit und Verantwortung. Freiheit meint, dass nur dort freier, unabhängiger und kritischer Journalismus möglich ist, wo die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in einem demokratischen Umfeld gegeben sind. Journalistische Arbeit hat der Sicherung und Erhaltung dieser demokratischen Freiheitsrechte zu dienen."

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Lesen Sie dazu auch vom Leseranwalt:

Okt. 2023: "Zum Wählen animiert durch Konfrontation und andere Meinungen in der Zeitung"

2021: "Störungen des demokratischen Diskurses"

2021: "Gedanken zum Einfluss von Zeitungen auf Wählerinnen und Wähler"

2018: "Erkennbar bei öffentlicher Partei-Veranstaltung"

 
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